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Voyage surprise
Die Psychologie des Tippspiels

Unsere Autorin ist nicht nur schlecht im EM-Tippspiel: Sie gehört zum Bodensatz der Tipprunde. Grund ist eine schlechte Kombination aus Emotionstipps, Glauben an die Favoriten und dem Wunsch nach Toren. Zeit, die Strategie umzustellen.

Von Victoria Reith |
    Zwei Tipp-Kick-Figuren auf grünem Spielfeld.
    Spanien oder Schweden? Wer da gewinnt, könnte so leicht zu tippen sein. Ist es aber nicht. (dpa-Zentralbild)
    Seit zehn Jahren nehme ich an Tippspielen teil. Während ich anfangs noch hoffnungsvoll war, etwas gewinnen zu können, verabschiede ich mich inzwischen zu Turnierbeginn von meinem Einsatz, mit dem Wissen, dass ich ihn nie wiedersehen werde. Genauso gut könnte ich den Fünfer auch verbrennen, nicht mehr teilnehmen, und müsste nicht die mit der Niederlage verbundene Schmach ertragen.
    Leiden gehört dazu
    Aber Leiden gehört ja zum Fußballschauen – und dank Tippspiel habe ich wenigstens ein gewisses (Eigen-)Interesse an Paarungen, die mich sonst möglicherweise eher kaltlassen würden.
    Gestern Abend zum Beispiel: Spanien gegen Kroatien, eine interessante Paarung, für die ich aber keine besonderen Emotionen hatte – abgesehen von dem kleinen Gefühl des Triumphs: Ich bin nämlich mit dem Gefühl eingeschlafen, endlich mal wieder ein Spiel richtig getippt zu haben, 1:1. Als ich wach wurde und in meinem Sender hörte, dass Kroatien das Spiel am Ende noch gewonnen hatte, musste ich nicht mal nachschauen, um zu wissen: Ich bin immer noch auf Platz 19 von 20 unserer Tipprunde. Und das ist schon ein Platz weiter vorne als die meiste Zeit des bisherigen Turniers.
    Nomen est omen - "netterversuch" ist auf Platz 19 von 20.
    Nomen est omen - "netterversuch" ist auf Platz 19 von 20. (Screenshot kicktipp.de)
    Ich habe versucht zu analysieren, wieso ich so schlecht bin.
    Erstens: Wenn ich Sympathien für eine Mannschaft habe, tippe ich auf deren Sieg – eben weil ich ihn mir wünsche. Das ist natürlich nicht ganz zielführend, denn das sind oft Underdogs oder nicht so starke Mannschaften (Meine Tipps: Siege von Schweden gegen Italien und von Island gegen Ungarn). Aber auf eine Niederlage der eigenen Mannschaft zu tippen, finde ich illoyal. Außerdem würde ich dann parallel immer ein bisschen hoffen, dass meine Mannschaft verliert, damit ich nicht beim Tippspiel komplett versage. Ein Kollege meinte neulich, dass er gegen seine Favoriten tippt und es für ihn eine Win-Win-Situation sei. Entweder punktet er im Tippspiel – oder seine Mannschaft im Turnier. Ich empfinde es eher als eine Loose-Loose-Situation. Vielleicht sollte ich an meiner Einstellung arbeiten.
    Wie jeder andere tippen bringt keine Punkte
    Zweitens tippe ich in anderen Fällen auf den klaren Favoriten, zum Beispiel im Eröffnungsspiel Frankreich gegen Rumänien. Das bringt aber auch nicht viel, denn, außer man hat komplett richtig getippt, tippen das alle anderen auch. Und absetzen kann man sich so nicht.
    Drittens tippe ich häufig, ebenfalls weil ich es mir wünsche, auf torreiche Partien (zum Beispiel Deutschland-Ukraine 4:0, Schweiz - Frankreich 2:2). Die Empirie zeigt: Auch das entspricht oft nicht dem echten Ergebnis.
    Da ich nicht mehr viel schlechter werden kann und ich auch nicht als Spielverderberin gelten will, weil ich mich dem Tippspiel fortan verweigere, habe ich beschlossen meine Strategie umzustellen. Ich tippe nur noch nach Sympathie und nicht mehr auf Favoriten. Zwar werde ich den Sieg nicht mehr davontragen, aber so gehe ich wenigstens mit Würde unter.
    Wer stets 2:1 tippt, hat kein Herz
    Vielleicht habe ich ja bis zum nächsten Turnier in zwei Jahren gelernt, mich rationaler zu verhalten. Ich habe schon von Menschen gehört, die den Sieg in ihrer Tippgemeinschaft davongetragen haben, indem sie jedes Spiel mit 2:1 getippt haben. Wer sowas macht, hat das Tippen nie geliebt.