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Wahlkampf in der Türkei
Inhaltlich leere Rhetorik?

Noch knapp zwei Monate, dann entscheiden die Bürger in der Türkei über die umstrittene Verfassungsänderung, mit der Präsident Erdogan deutlich mehr Macht bekommen soll. Heute beginnt die Regierungspartei AKP den Wahlkampf, den Kritiker viel zu lang finden. Zudem hat Ministerpräsident Binali Yildirim bei vielen Wählern mit einer verwirrenden Äußerung für Unverständnis gesorgt.

Von Christian Buttkereit | 25.02.2017
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Das Archivbild zeigt ihn während einer Demo umgeben von roten türkischen Fahnen.
    Heute beginnt der Wahlkampf der AKP für das Verfassungsreferendum im April. (AFP / Ozan Kose)
    Es dürfte wieder ein Meer aus rotweißen Fahnen zu sehen und ein Chor aus Tausenden Kehlen zu hören sein. Die türkische Regierungspartei AKP weiß große Auftritte zu inszenieren. Dieser Auftritt gilt der Wahlkampagne für das Referendum am 16. April.
    40.000 Anhänger werden in der modernen Ankara-Arena erwartet. Dazu wurden 1.000 Busse bereitgestellt. 500 Journalisten sollen die Botschaft ins Land und in alle Welt tragen. Doch welche Botschaft eigentlich?
    "Der Staat wird laufen wie ein Uhrwerk"
    Natürlich, das JA zur Verfassungsänderung, das JA zum Präsidialsystem. So wie bei seinem etwas heiseren Auftritt vor zwei Wochen in Aksaray wird Parteichef und Ministerpräsident Binali Yildirim auch heute in Ankara für die Abschaffung des eigenen Regierungsamtes werben. Denn einen Ministerpräsidenten soll die Türkei nicht mehr brauchen. Den Job macht Erdogan als Staatspräsident gleich mit. Dann gebe es, so Yildirm:
    "…fortwährende Stabilität, eine Regierung aus einer Hand, somit kommt es zu keinen Verzögerungen oder Unsicherheiten bei wichtigen Projekten. Mit anderen Worten: Der Staat wird laufen wie ein Uhrwerk."
    Nicht nur die Opposition bewertet die bisherige Argumentation für die Verfassungsänderung als nicht überzeugend. Auch der Chefberater des ehemaligen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu, Etyen Mahcupyan, läßt kein gutes Haar an der AKP-Kampagne – die seiner Meinung nach viel zu früh startet:
    "Eine inhaltlich leere Rhetorik kann man nicht zehn Tage lang wiederholen. Drei Tage lang vielleicht. Das bringt was. Wenn man also mittels einer schnellen, kurzen, aber harten Kampagne von der Notwendigkeit der Verfassungsreform überzeugt und von Bedrohungen spricht, kann man vielleicht einen Teil der Unentschlossenen für sich gewinnen."
    Der Wähler als Nein-Sager?
    Deren Anteil wird zurzeit auf etwa ein Fünftel der Wähler geschätzt – auch unter den AKP-Anhängern. Orientierung tut not. Stattdessen hatte Ministerpräsident Yildirim vor wenigen Tagen mit einer Rede vor der AKP-Fraktion für Verwirrung statt Orientierung gesorgt:
    "Die PKK sagt Nein, die Gülen-Terrororganisation sagt Nein, der IS sagt Nein, die HDP, die sich an die PKK lehnt, sagt Nein. Wenn die Terrororganisationen im Chor Nein-Propaganda machen, dann ist das für unsere Bürger doch ein Warnsignal. Ich bin überzeugt, dass unsere Bürger nicht dort stehen werden, wo Terrororganisationen allesamt Nein sagen."
    Hat Yildirm also Wähler, die beim Verfassungsreferendum mit Nein stimmen wollen, in die Nähe von Terroristen gerückt? Viele Menschen außerhalb der AKP haben das so empfunden. Yildirim selbst sagt, was Politiker in solchen Situationen immer sagen: die Äußerung sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Heute kann er das klarstellen, denn die Bühne gehört ihm. Ein Auftritt von Staatspräsident Erdogan, um den es sich beim Referendum ja eigentlich dreht, sieht das Parteitagsprogramm nicht vor. Schließlich ist der Präsident zur Neutralität verpflichtet. Wie könnte man das vergessen?