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Wahlprognosen
Meinungsforscher stellen Sonntagsfrage infrage

Meinungsforscher haben zur Zeit nicht den besten Ruf. Das hat damit zu tun, dass manche von ihnen mit Blick auf die US-Wahl und den Brexit daneben lagen. Doch wie lässt sich das Image dieser Zunft verbessern?

Von Paul Vorreiter | 19.09.2017
    Ein Abgeordneter schaut sich am 22.06.2017 im Thüringer Landtag in Erfurt (Thüringen) die vom Mitteldeutschen Rundfunk (mdr) veröffentlichten Umfragezahlen zur Sonntagsfrage an. Die Altersgrenze von 65 Jahren für hauptamtliche Bürgermeister und Landräte in Thüringen könnte fallen. Vertreter der rot-rot-grünen Koalition signalisierten am Donnerstag im Landtag Unterstützung für eine entsprechende Gesetzesinitiative der oppositionellen CDU-Fraktion. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
    Hat die klassische Sonntagsfrage zur Messung von politischen Stimmungen in Zukunft noch Bestand? (dpa-Zentralbild)
    Was tun, damit Wahlumfragen präziser herausfinden können, wie die Menschen bei der Bundestagswahl abstimmen werden? Das internationale Marktforschungsinstitut Yougov hat heute eine Methode vorgestellt, mit der es auf Abstand geht zur klassischen Sonntagsfrage, bei der eine gewisse Anzahl von Wahlberechtigten, etwa 1.000 oder 1.500 Menschen, repräsentativ ausgewählt werden und die dann für die Gesamtheit des Wahlvolkes sprechen sollen. Holger Geißler, heute Mittag bei einer Online-Pressekonferenz:
    "Man befragt sogar deutlich mehr Menschen, aber die müssen nicht unbedingt repräsentativ sein, das geht nur darum, gewisse Wählertypen zu identifizieren, das heißt, Menschen die ein gewisses demografisches Profil haben, die ein gewisses Wahlverhalten haben und hatten, die also 2013 was Bestimmtes gewählt haben und ich übertrage dann diese Typen in Wahlkreise."
    "Ganz großes Unsicherheitsmoment"
    Mit dieser Wahltypen-Methode verspricht sich das Unternehmen, künftig auch Informationen zur Größe des Bundestags zu geben, also zur Sitzverteilung im neuen Parlament, da die Wahlabsichten aus den Wahlkreisen heraus unter der Berücksichtigung von Überhangmandaten auf die Bundesländer und den Bund hochgerechnet würden. Die Meinungsforscher geben zu, dass auch ihre Methode Fallstricke beinhaltet. So könnten mit dieser Methode nicht wirksam Phänomene wie der scheidende Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele prognostiziert werden, bei dem das Erststimmenergebnis das übliche Zweitstimmenergebnis der Partei weit übertrifft. Und ist es nicht das einzige Problem, vor dem Meinungsforscher in diesem Jahr stehen.
    Roberto Heinrich von Infratest dimap sieht noch andere Herausforderungen. Nämlich, dass "sich etwa 30 Prozent, 33 Prozent derjenigen, die an die Urnen treten am Wahltag, selber zur Wahl gehen, sich erst in den Tagen davor oder am Wahltag selbst entscheiden. Das heißt: Hier gibt es ein ganz großes Unsicherheitsmoment, weil die Zahl derjenigen, die sich die Wahl offenlassen, in den letzten Jahren massiv gestiegen ist."
    Hoffnungsschimmer für die SPD
    Also möglicherweise doch ein Hoffnungsschimmer für SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, der darauf hofft, die Unentschlossenen noch auf seine Seite zu ziehen. In der Tat ist auch bei den SPD-nahen Wählern noch Bewegung messbar. Roberto Heinrich:
    "Wir stellen momentan fest, dass vergleichsweise gut festgelegt Anhängerschaften in den Reihen von Union und AfD zu finden sind. Hier gibt es viele, die, sagen wir, bleiben dabei, hier wird sich nichts verschieben. Wir stellen größere Unsicherheiten fest bei Anhängern der SPD, bei Anhängern von Grünen, aber auch bei FDP-Anhängern."
    "Keine Prognosen, sondern Messungen von Wahlabsichten"
    Heinrich hält es für unwahrscheinlich, dass Fehler, wie sie in der Meinungsforschung in den USA oder Großbritannien gemacht wurden, in Deutschland so passieren könnten. Man habe dort unter anderem mit Online-Umfragen gearbeitet, die etwa diejenigen nicht abdeckten, die kein Internet benutzen. Da seien die klassischen Telefonumfragen, wie sie in Deutschland gemacht würden, die inzwischen nicht mehr nur Festnetzanschlüsse, sondern auch Mobilanschlüsse berücksichtigten, verlässlicher.
    Und doch: Ein grundsätzliches Problem gibt es und das wird sich wohl nie auflösen lassen. So müsse man beachten, dass "unsere Umfragen keine Prognosen sind, sondern Messungen von Wahlabsichten, zum aktuellen Zeitpunkt. Wahlabsichten können sich verändern und Wahlabsichten sind eben keine Wahlverhalten."
    Wer letzte Gewissheit haben will, der wird dann wohl noch warten müssen. Genau genommen fünf Tage. Dann wird der neue Bundestag gewählt.