Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Welthunger
Nahrungsergänzungsmittel in der Kritik

Zahlreiche Unternehmen wollen den Welthunger mindern, indem sie mangelnde Nährstoffe im Essen bekämpfen - mit Nahrungsergänzungsmitteln. Für die Organisationen Welthungerhilfe und terre des hommes ist das jedoch ein zweischneidiges Schwert.

Von Dieter Nürnberber | 22.07.2014
    Eine Frau wartet sitzend auf eine Hilfslieferung an Nahrungsmitteln.
    Die Ursachen des Hungerproblems sehen terre des hommes und die Welthungerhilfe mehr in einer ungleichen Verteilung als in nährstoffarmer Nahrung. (picture alliance / dpa)
    Weizenmehl oder auch Milch, zusätzlich angereichert mit Eisen. Oder der sogenannte Goldene Reis, der dank zugesetztem Beta-Carotin Vitamin A freisetzt - die Industrie hat längst damit begonnen, neue Lebensmittel zu entwickeln. Doch eignen sich um Mikronährstoffe angereicherte Nahrungs- oder auch gentechnisch veränderte Lebensmittel als wirksame Waffe gegen den Welthunger?
    Entwicklungspolitische Organisationen wie die Deutsche Welthungerhilfe oder terres des hommes versuchen sich derzeit zu positionieren. Was nicht einfach ist - denn rund zwei Milliarden Menschen hungern oder nehmen täglich deutlich zu wenig Nährstoffe zu sich. Die Folgen sind fatal, sagt Wolfgang Jamann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Welthungerhilfe.
    "Etwa zehn Prozent aller Krankheiten, so schätzt man, sind auf diesen Mikronährstoffmangel zurückzuführen. Eine ganz große Rolle spielt der Mangel an Vitamin A, der oft für Kinder unter fünf Jahren lebensbedrohlich ist. Mangel an Zink, Mangel an Jod etc."
    Selbstversorgung fördern
    Schwerpunkt der entwicklungspolitischen Programme beider Organisationen bleibt die Förderung der Fähigkeit zur Selbstversorgung vor Ort. Das Ökosystem der Erde sei in der Lage, alle notwendigen Nährstoffe zu liefern, auch unter einer ökologisch nachhaltigen Prämisse. Hunger habe vor allem strukturelle Ursachen - und sollte entsprechend bekämpft werden.
    Doch gleichzeitig wächst der Druck, denn inzwischen arbeiten wichtige Entwicklungsorganisationen, beispielsweise auch der Vereinten Nationen, mit der Industrie zusammen, um auch mithilfe von angereicherten Nahrungs- und Lebensmitteln dem Problem der Unterernährung Herr zu werden. Auch ein Milliardengeschäft - Wolfgang Jamann von der Welthungerhilfe:
    "Das sind die üblichen Verdächtigen - also von "Nestlé" über "Bayer Cropscience" bis zu "Monsanto" und "Syngenta". Wichtigstes oder vielleicht auch das umstrittenste Beispiel ist die Anreicherung von Reis um Beta-Carotin, also dieser sogenannte Goldene Reis. Die Umwandlung von Beta-Carotin in Vitamin A - im menschlichen Körper und auch im Labor funktioniert das. Doch ob der goldene Reis auch unter den Produktionsbedingungen in der sogenannten Dritten Welt die Erträge abwirft und ob die Umwandlung auch bei chronisch mangelernährten Menschen funktioniert, ist aber tatsächlich noch nicht erforscht."
    Nur temporäre Maßnahme
    Terre des hommes befürchtet neue Abhängigkeiten und eine zu enge Einbindung finanzieller Ressourcen und Arbeitskräfte. Kapazitäten, die für lokale oder auch nationale Anstrengungen in den betroffenen Ländern fehlen könnten. Bislang gebe es mehr Fragen als Antworten, sagt Danuta Sacher, Vorstandsvorsitzende der deutschen Sektion von terre des hommes.
    "Diese Projekte finden zu 70 Prozent in den Schwellenländern statt, etwa in Indien, Brasilien oder China. Das ist ein Hinweis, ob diese Maßnahmen tatsächlich die am stärksten von Hunger und Mangelernährung betroffenen Menschen erreicht. Für uns als Kinderhilfswerk ist auch eine andere Fragestellung wichtig: Nämlich, dass Menschen mit chronischer Mangelernährung gar nicht in der Lage sind, bestimmte Mikronährstoffe aufzunehmen und zu verarbeiten."
    Ein Allheilmittel sehen die Welthungerhilfe und terre des hommes in angereicherter Nahrung nicht. Diese sollte deshalb nur als temporäre Maßnahme in besonderen Situationen zur Verfügung gestellt werden. Und vor allem sollten die staatlichen finanziellen Mittel der Entwicklungszusammenarbeit nicht in solche Projekte fließen.
    Die Diskussion habe gerade erst begonnen, so beide Entwicklungsorganisationen. Sie wird noch zunehmen, auch weil die Forschung auf diesem Gebiet immer mehr und neue Produkte hervorbringen werde.