Freitag, 26. April 2024

Archiv

Weltkulturerbe Blaubeuren
Besuch in der Eiszeit

Die Höhlen der Schwäbischen Alb wurden zum Weltkulturerbe ernannt. Sie gelten als Geburtsstätte menschlicher Kultur. Ab von Sommerhitze und Straßenlärm finden Besucher dort die stille und kalte Welt der Karsthöhle Hohler Fels - eine der größten Natur-Kathedralen Süddeutschlands.

Von Uschi Götz | 20.07.2017
    Die Höhle "Hohle Fels" in Schelklingen. Bei archäologischen Grabungen wurden an der schwäbischen Alb die ersten Spuren von Kunst und Musik der Menschheit gefunden.
    Die Höhle "Hohle Fels" in Schelklingen. Bei archäologischen Grabungen wurden an der schwäbischen Alb die ersten Spuren von Kunst und Musik der Menschheit gefunden. (dpa/ picture alliance/ Stefan Puchner)
    Zwei Welten sind durch ein Eisentor getrennt. Vor dem Eisentor Straßenlärm, sommerliche Hitze und der schnelle Takt des Lebens. Gleich hinter dem Eisentor bleibt die Zeit stehen. Mit wenigen Schritten gelangt man über einen Steg in die Karsthöhle Hohler Fels, eine von sechs Alb-Höhlen, die nun zum Weltkulturerbe erklärt wurden.
    Nur Tropfgeräusche sind zu hören
    Mit 500 Quadratmetern Grundfläche ist der Hohle Fels eine der größten natürlichen Kathedralen Süddeutschlands. Irgendwo etwa 30 Meter weit oben ist die Höhlendecke. Links und rechts zweigen Gänge von einem geschotterten Hauptweg ab. Dezentes, Elektrisches in ein paar Ecken sorgt für etwas Orientierung. Nur Tropfgeräusche sind zu hören, ansonsten ist es still, sehr still. Der Hohle Fels bei Schelklingen, rund 20 Kilometer von Ulm entfernt, gilt als Geburtsstätte menschlicher Kultur:
    "Man lässt diese Tropfenklangkulisse auf sich wirken und greift das auf ... Die eigene Lebensspanne kriegt da einen anderen Kontrast durch diese endlose Zeit, die da spürbar wird. Draußen ist unser hektischer Alltag, voll mit akustischem Müll, mit Unruhe, mit Getriebensein und hier drin, da steht die Zeit still."
    Höhlenkonzerte im Hohle Fels
    Die Klangrhythmen der Albhöhlen prägen das künstlerische Schaffen von Martin Bürck. Seine Höhlenkonzerte im Hohle Fels erinnern an die Anfänge der menschlichen Kunst. Steine und Gongs, mehr braucht er nicht:
    "Es gibt so Urorte, in denen das weiterlebt, das ist das völlig Zeitlose."
    Der Archäologe Nicholas Conard steht am 20.05.2017 bei Niederstotzingen (Baden-Württemberg) vor der Höhle "Vogelherd".
    Nicholas Conard, Professor für prähistorische Archäologie von der Universität Tübingen, verweist auf erste Spuren von Kunst und Musik der Menschheit an der schwäbischen Alb. Die Eiszeithöhlen sind jetzt UNESCO-Weltkulturerbe. (picture alliance / dpa / Stefan Puchner)
    Bis heute suchen Wissenschaftler im Eingangsbereich des Hohle Fels nach Spuren der Vergangenheit. Die internationale Grabungsmannschaft wird von Nicholas Conard von der Universität Tübingen geleitet. Conard ist Professor für prähistorische Archäologie:
    "Wir sehen zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte eine neue Artefaktform zustande kommen. Es gibt auch viele Innovationen im Bereich Werkzeuge, Steinwerkzeuge, Werkzeuge aus Geweih, Knochen, Elfenbein. Aber wofür die Höhlen weltbekannt sind, sind sicher die frühen Kunstwerke und die Grabungen haben auch mehrere bedeutende Musikinstrumente geliefert, die für die Forschungswelt unumstritten als älteste und beste Indizien sind für die Entstehung der Kunst und Musik."
    Fundort der rund 40.000 Jahre alten Venus
    2008 wurde bei Ausgrabungen im Hohle Fels eine fast vollständige Flöte aus der Speiche eines Gänsegeiers gefunden.
    Die ältesten figürlichen Kunstwerke der Menschheit hat man in Schwaben gefunden.
    Die ältesten figürlichen Kunstwerke der Menschheit hat man in Schwaben gefunden. (Hilde Jensen, Universität Tübingen)
    Weltweit bekannt ist die Alb-Höhle mittlerweile auch für die Venus. Die bisher älteste bekannte, von Menschenhand geschaffene etwa sechs Zentimeter große Frauenfigurine wurde hier gefunden. Ihr Alter wird auf etwa 40.000 Jahre geschätzt, geschnitzt ist sie aus einem Mammutstoßzahn. Wer hat sie geschaffen? Wie wurde der moderne Mensch damals zum Künstler? Diese Fragen beschäftigen die Archäologen auch.
    "Dort hier sehen sie den Sack liegen? Da liegt auch ein Sack drunter. Da ist am 9. 9.2008 die Venus gefunden worden ..."
    Die Venus vom Hohlen Fels gilt als älteste Menschendarstellung. Die Satue aus Elfenbein liegt auf einer behandschuhten Hand.
    Die Venus vom Hohlen Fels gilt als älteste Menschendarstellung. (dpa)
    Reiner Blumentritt ist 1. Vorsitzender der Museumsgesellschaft Schelklingen. Vom Steg im Eingangsbereich deutet er auf verschiedene Ausgrabungsstellen in etwa drei Meter Tiefe. Bereits als Schüler hatte Blumentritt selbst gegraben und dabei viel gefunden. Später machte er Wissenschaftler auf den Eingangsbereich des Hohle Fels aufmerksam, führte sie zu weiteren Höhlen auf der Alb nahe Schelklingen bei Ulm, die nun als UNESCO Weltkulturerbe ausgezeichnet wurden.
    "Ich habe darin auch schon einmal geschlafen, ich wollte einfach wissen, wie ist das, wenn mal eine Höhlenspinne über dein Gesicht kriecht. Und die Stille vor allem."
    Herausforderung durch wachsende Touristenströme
    Mit der Stille könnte es nun bald vorbei sein. Blumentritt kommt dabei eine besondere Aufgabe zu. Er soll künftig die bereits einsetzenden Touristenströme koordinieren. Noch sind Alb-Höhlen nur an einzelnen Tagen für Besucher geöffnet. Doch statt einer sonntäglichen Führung durch den Hohle Fels musste Blumentritt jüngst schon fünf Mal durch an einem Tag.
    Jetzt sucht er Höhlenführerinnen und Höhlenführer, um mehr durchzuschleusen. Auch im urgeschichtlichen Museum im benachbarten Blaubeuren kommen zunehmend mehr Besucher. Dort ist unter anderem die kleine Venus im Original zu sehen. In den kommenden Jahren soll in der Nachbarschaft des Hohle Fels ein Infocenter gebaut werden:
    "...das Platz hat für 60 Leute. Das heißt, ein Bus kann da rein und wird versorgt, kann auf die Toilette gehen, es wird ein Café dort entstehen."
    Besichtigung ohne Hindernisse
    Ein bisschen Sorgen macht sich Reiner Blumentritt schon, ob das alles gut geht, wenn künftig so viele Menschen kommen. Jüngst reiste er deshalb nach Frankreich:
    "Ich war vor zwei Wochen in der Grotte Chauvet, um einfach einmal einen Eindruck zu gewinnen, wie ist es, die sind ja auch Weltkulturerbe. Die haben 400.000 Besucher im Jahr."
    Höhlenzeichnungen in der Nachbildung der Chauvet-Grotte, die bis zu 36.000 Jahre alte Tierbilder beherbergt und 1994 von dem Archäologen Jean-Marie Chauvet entdeckt wurde.
    Höhlenzeichnungen in der Nachbildung der Chauvet-Grotte, die bis zu 36.000 Jahre alte Tierbilder beherbergt und 1994 von dem Archäologen Jean-Marie Chauvet entdeckt wurde. (picture alliance / dpa / Bonniere Pascal)
    Noch steht man auf der Alb ganz am Anfang. Einige der sechs Alb-Höhlen, die nun Weltkulturerbe sind, kann man ohne Hindernisse erreichen und besichtigen. Ob das so bleiben kann, wird sich zeigen. Der Hohlenstein von Rammingen, wo die weltberühmte Statuette "Löwenmensch" gefunden wurde, ist schon lange vergittert.
    Eine Skulptur aus Mammut-Elfenbein zeigt einen Mann mit Löwenkopf. Die Figur ist etwa 40.000 Jahre alt und wurde in der Stadel-Höhle in Baden-Württemberg gefunden.
    Eine Skulptur aus Mammut-Elfenbein zeigt einen Mann mit Löwenkopf. Die Figur ist etwa 40.000 Jahre alt und wurde in der Stadel-Höhle in Baden-Württemberg gefunden. (AP)
    Bei Archäologe Conard überwiegt eindeutig die Freude:
    "Ich sehe keinen Nachteil durch den Tourismus und für mich ist auch wichtig, dass die Allgemeinheit davon profitiert, dass sie mehr Wissen gewinnen können über die Zeit der Neandertaler und frühen modernen Menschen, und ich denke auch, dass Baden-Württemberg ein unglaublich schönes Alleinstellungsmerkmal hat, indem wir sagen können, dass wir die besten Belege für die Entstehung der Kunst und Musik haben."