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Weltmeisterschaft in Russland
Hilft die WM den politischen Gefangenen?

158 politische Gefangene gibt es in Russland, sagen unabhängige Menschenrechtsorganisationen. Zu den bekanntesten gehören Filmemacher Oleg Senzow, der zu 20 Jahren Lagerhaft verurteilt wurde, und der ukrainische Journalist Roman Suschtschenko. Lässt sich die Aufmerksamkeit für Russland während der WM für sie nutzen?

Von Matthias Friebe | 17.06.2018
    Frauen und Männer stehen vor dem Zaun der Botschaft und halten Plakate mit dem Kopf Sushchenkos und Schriftzügen in Englisch und Kyrilisch in den Händen, auf denen die Freilassung des Journalisten gefordert wird.
    Ukrainische Journalisten demonstrieren am 6.10.2016 vor der russischen Botschaft in Kiew für die Freilassung ihres wegen Spionagevorwürfen in Russland verhafteten Kollegen Roman Sushchenko. (AFP/Sergei Supinsky)
    "Wenn die Bundeskanzlerin zu einem Spiel fährt, dann muss sie unmissverständlich die Freilassung aller politischen Häftlinge in Russland fordern. Das sollte schon möglich sein", fordert Manuel Sarrazin, Sprecher für Osteuropapolitik der Grünen-Bundestagsfraktion bei einem Besuch in Moskau. Schaden könne die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit durch das Turnier sicher nicht, meint er:
    "Wir haben die Hoffnung, dass das Hinweisen auf die Situation und auch das Vortragen von individuellen Fällen vielleicht auch für einzelne Personen Verbesserungen bringen kann."
    Ein solcher Fall könnte der des ukrainischen Journalisten Roman Suschtschenko sein. Der Frankreich-Korrespondent der ukrainischen Nachrichtenagentur UKR INFORM wurde Ende September 2016 in Moskau verhaftet und ist inzwischen zu 12 Jahren Lagerhaft verurteilt worden.
    "Weltweiten Fokus auf Moskau nutzen"
    Sein Prozess sorgte international für Aufsehen, weil dem Journalisten die Spionage von Staatsgeheimnissen insbesondere über die neue Nationalgarde vorgeworfen wurde. Sein Anwalt Mark Feygin glaubt daran, dass Suschtschenkos Chancen auf eine Freilassung oder einen Gefangenenaustausch während der WM steigen:
    "Wenn tatsächlich die ersten Köpfe im Staat, die Teilnehmer des Friedensprozesses, des Minsker Formats, auf die Situation hinwiesen und die Weltmeisterschaft und den weltweiten Fokus auf Moskau dazu nutzen würden, könnte es Schritte geben, um konkrete politische Gefangene freizubekommen, insbesondere Suschtschenko."
    "Drittrangige Figuren aus den GUS-Staaten"
    Ein Besuch von Frankreichs Staatspräsident Macron oder Bundeskanzlerin Merkel könnte also auch in diese Fälle Bewegung bringen, glaubt der Anwalt. Zwar war Angela Merkel erst vor drei Wochen mit Präsident Putin in Sotschi zusammengetroffen. Die WM und ein mögliches gemeinsames Bild auf der Ehrentribüne würden aber, glaubt Anwalt Feygin, die Chancen vergrößern:
    "Putin ist das sicher wichtig. Die Liste hoher Gäste gibt bislang kein besonders respekteinflößendes Bild ab, weil es im Grundsatz drittrangige Figuren aus den GUS-Staaten, vom südamerikanischen Kontinent sind."
    "Wertvolles Auftauchen Frau Merkels"
    Bei der Eröffnungsfeier am Donnerstag nahmen im Luschniki-Stadion unter anderem die Machthaber aus Aserbaidschan, Weißrussland oder Ruanda Platz. Westliche Politprominenz Fehlanzeige mit Ausnahme von Putins persönlichem Freund, Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder.
    "Das wertvolle Auftauchen Frau Merkels in Moskau, zu einem Spiel, einem Spiel der deutschen Mannschaft, die Freilassung Roman Suschtschenkos könnte ein Argument für eine solche Entscheidung sein", glaubt Anwalt Feygin, selbst in den 1990er Jahren Abgeordneter der Staatsduma.
    Auch er, der zuvor unter anderem die Musikerinnen von Pussy Riot in ihrem Prozess vertrat, ist inzwischen Teil des Suschtschenko-Falls geworden, in dessen Zuge ihm Ende April die anwaltliche Zulassung entzogen wurde. Eine mögliche Freilassung Suschtschenkos bei der WM, davon ist Feygin überzeugt, könnte Strahlkraft haben auf die anderen Gefangenen und größere Kreise ziehen. So wie vor vier Jahren bei den Winterspielen im südrussischen Sotschi.
    Keine Anzeichen für symbolische Handlungen
    Feygin sagt: "Kurz vor den Olympischen Spielen gab es eine Amnestie, und es sind eine Reihe politischer Gefangener freigelassen worden, darunter die Mitglieder von Pussy Riot, allerdings auch nur einen Monat vor Ende ihrer regulären zweijährigen Haft.
    Auch Chodorkowskij wurde freigelassen. Da gab es ebenfalls das Freilassungsersuchen vonseiten Deutschlands und Herrn Genschers an die Adresse Moskaus. Das hat funktioniert. Warum sollte das nicht jetzt auch wieder funktionieren?"
    Ob es zu solchen symbolischen Handlungen käme, ist alles andere als sicher. Anzeichen dafür gibt es gegenwärtig keine. Und was passiert erst, wenn das Finale gespielt, der Weltmeister gekürt und die Augen der Weltöffentlichkeit wieder woanders hinsehen?
    "Der Scheinwerfer hilft."
    Manuel Sarrazin von den Grünen meint: "Der Scheinwerfer hilft dabei, dass auch wenn die WM vorbei ist, den russischen Autoritäten klar ist, dass wir darauf gucken werden, wie die Lage der Menschenrechte und auch der politischen Häftlinge ist. Aufmerksamkeit hilft!"
    Inwieweit das mehr als nur eine Hoffnung ist, wird sich zeigen. Schon drei Tage nach der Schlussfeier der Winterspiele von Sotschi 2014 annektierte Russland die Halbinsel Krim.