Dienstag, 19. März 2024

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Weltwirtschaft
"Immer mehr Schulden machen, um Wachstum zu generieren"

Die Schuldenorgie, in der wir uns befinden würden, werde immer unproduktiver, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Max Otte im DLF. An den wichtigen Probleme zur Bewältigung der Finanzkrise sei man noch nicht weitergekommen. Denn die Finanzbranche sei sehr mächtig und würde politische Weichenstellungen verhindern.

Max Otte im Gespräch mit Dirk Müller | 26.05.2016
    Der Ökonom Max Otte
    Der Ökonom Max Otte (imago / Hoffmann)
    Dirk Müller: Es gibt sie schon wieder, die Warnungen, die ja meistens zu spät kommen. Demnach steht die nächste Wirtschafts- und Finanzkrise vor der Türe, gibt immerhin der japanische Regierungschef heute zu Protokoll. Immerhin ist er der Gastgeber des G7-Gipfels in Ise-Shima. Es sind nur die G7, also die alten G7, die wir kennen, weil Russland nicht mehr dabei sein darf im Moment. Und mit den anderen Wirtschaftsgiganten, China, Indien oder Brasilien, besteht offenbar nur sehr, sehr wenig Beratungsbedarf.
    Sie haben richtig gehört, Jean-Claude Juncker ist also auch dabei beim G7-Weltwirtschaftsgipfel in Japan. Das ist jetzt unser Thema, die Weltwirtschaft, das Finanzsystem möglicherweise wieder in der Krise, wieder vor dem Kollaps stehend? Unser Thema nun mit Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Max Otte, der 2006 vor dem großen Crash zwei Jahre später ausdrücklich gewarnt hatte. Die wenigsten haben damals darauf gehört. Guten Tag, Herr Otte!
    Max Otte: Tag, Herr Müller!
    "Wir haben jetzt Erstarrung und auch konfrontative Tendenzen in der Weltwirtschaft"
    Müller: Sind wir aus dem letzten Crash nie so wirklich herausgekommen?
    Otte: Das ist richtig. Wir haben das Schlimmste verhindert, indem die Notenbanken der Welt Geld gedruckt haben ohne Ende, die Schuldenorgie ist ungebremst weitergegangen. Das hat uns zunächst einmal Zeit gekauft, aber diese Zeit haben wir in keinerlei Weise genutzt, und im Gegenteil, wir haben jetzt Erstarrung und auch konfrontative Tendenzen in der Weltwirtschaft, im Weltsystem. Die G7 sollten ja eigentlich eine G8 sein mit Russland oder noch besser eine G9, denn es geht eigentlich ohne diese Staaten nicht mehr. Aber so schottet man sich ab und das ist sehr bedenklich.
    Müller: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum man das tut, wenn es kontraproduktiv ist?
    Otte: Na ja, es hat was mit der Theorie hegemonialer Stabilität zu tun. Die USA versuchen natürlich, ihre dominante Rolle im Weltwährungssystem zu behaupten, und scharen sozusagen ihre Verbündeten um sich. Und die, die da nicht so reinpassen, die hält man eher vor der Tür. Also, so kann man das in Kurzform vielleicht erklären.
    Müller: Also, ohne China braucht man sich heutzutage im Grunde, sagen Sie, gar nicht mehr an einen Tisch setzen?
    Otte: Ja, man kann sich an einen Tisch setzen, aber es ist kontraproduktiv. Denn was die westlichen Industrienationen, die ja immerhin noch 44 Prozent der Weltwirtschaftsleistung ausmachen, beschließen, müsste eigentlich mit China und auch mit Russland abgestimmt werden, sonst schafft man neue Konfrontationen. Und das ist ja nicht der Sinn der Sache eigentlich.
    Müller: Sie haben vor einigen Monaten hier im Deutschlandfunk, Herr Otte, ja auch gesagt, wir sind da noch nicht über den Berg, ganz im Gegenteil, wir sind eben noch mittendrin in dieser Krisenbewältigung oder vielleicht sogar in der Krise. Jetzt gibt es viele Parameter, die darauf hinweisen, unter anderem ja auch die Schwächen der globalen Konjunktur, dass das alles nicht so rund läuft. Wo sind die großen Probleme jetzt im Moment?
    Otte: Ja, die Gelddruckorgie der Notenbanken ist ja weitergegangen. Wenn man nur einen Hammer hat, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus, und im Prinzip hat man nur die Geldpolitik, mit den Strukturreformen kommt man nicht recht voran. Und diese Schuldenorgie wird halt immer unproduktiver. Man muss immer mehr Schulden machen, um überhaupt noch Wachstum zu generieren. Also, an den wichtigen Problemen, der Regulierung der Finanzmärkte, der Fokussierung der Finanzmärkte auf realwirtschaftlichen Nutzen, da sind wir noch nicht weitergekommen, weil eben die Finanzindustrie oder -branche, wie ich sie lieber nenne, sehr, sehr mächtig ist und da die politischen Weichenstellungen auch größtenteils verhindert hat. Und nun schwächelt das Wachstum in einigen Regionen und das kann dann natürlich schon zu wirklichen Problemen führen.
    "Nicht nur Japan hat diese aufgeblähten Bilanzwerte und Vermögenswerte, sondern die ganze Welt"
    Müller: Und Sie denken bei diesem Vorwurf – nur Geld drucken und sonst ist nicht viel mit dabei an Krisenbewältigungsszenarien – nicht nur an die Europäische Zentralbank?
    Otte: Nein, in der Tat. Gerade in Japan ist das Gelddrucken extrem ausgeprägt. Die Japaner sind mit 250 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung, haben sie als Staatsschulden. Das fällt dort nicht so sehr auf, weil Japan als Land im Ausland ein großes Vermögen hat, also, die Staatsschulden hat Japan bei den eigenen Bürgern. Man könnte also, wie das in Deutschland ein paarmal geschehen ist, die Japaner morgen enteignen und der Staat wäre entschuldet und hätte trotzdem noch sein Auslandsvermögen. Aber Japan macht diese Politik des billigen Geldes ja nicht erst seit 2007, 2008, sondern seit dem Platzen der Blase 1990. Und man hat sich so die letzten 25 Jahre so da durchgeeiert. Das Problem ist, dass jetzt die ganze Welt vor einem ähnlichen Problem steht. Nicht nur Japan hat diese aufgeblähten Bilanzwerte und Vermögenswerte, sondern die ganze Welt. Und das reale Wirtschaftswachstum schwächelt trotzdem.
    "Durch das Eurosystem ist unsere Währung eigentlich im Prinzip zu billig"
    Müller: Ich möchte das noch mal wiederholen, Sie haben ja gesagt: 250 Prozent Staatsquote, also mehr noch. Das ist ja absoluter Rekord, hat es ja vermutlich noch nie gegeben. Die Deutschen haben es immerhin geschafft, ich glaube, von 80 Prozent da jetzt mal runterzukommen auf 70, 68 Prozent. Das heißt, hier muss ja etwas passiert sein bei der Entschuldung. Alles nur der billige Euro schuld?
    Otte: Ja, ich darf etwas korrigieren: Staatsquote wäre des Verhältnis der Staatsausgaben, hier geht es um die Verschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung.
    Müller: Zum BIP, ja, okay.
    Otte: Genau. Ja, die Deutschen hatten nie so viel, wir haben auch da immer vorsichtiger agiert, denn es gab ja noch eine Bundesbank, die bis vor einigen Jahren ja auch noch ihren Job sehr gut gemacht hat. Jetzt im Eurosystem kann sie das nur noch sehr mäßig. Also, wir haben immer gesagt, dass Geldpolitik, dass Geld drucken nicht die Lösung für wirtschaftspolitische Probleme sein kann, sondern die muss über die Wettbewerbsfähigkeit, über die Strukturpolitik, auch über eine gute und faire Sozialpolitik erreicht werden. Und das hat Deutschland eigentlich auch in den letzten Jahren gut geschafft. Durch das Eurosystem ist unsere Währung eigentlich im Prinzip zu billig, das heißt, wir haben sehr, sehr viel exportiert. Das hat dem Exportsektor natürlich weiter einen Schub gegeben. Von daher hatte Deutschland da andere Voraussetzungen.
    Müller: Hat andere Voraussetzungen, aber der Bundesbank-Chef hat immer Probleme damit gehabt, mit diesem Kurs von Mario Draghi. Warum hat er nicht mit Nein gestimmt?
    Otte: Tja, das ist eine gute Frage. Er hat sich ja zum Teil sehr deutlich geäußert. Also, an seiner Stelle hätte ich es getan, aber ich stecke nicht in seinem Kopf. Wahrscheinlich hat er Nein gedacht und dann aus Gründen der Gruppenräson doch mitgemacht.
    "Irgendwann muss da eine gewisse Neuordnung auch im Währungssystem anstehen"
    Müller: Stecken wir in der Euroschlinge und kommen da nicht mehr raus aus eigener Kraft?
    Otte: Europa steckt da in einer großen Schlinge. Also, der Süden, gerade Griechenland, aber auch einige andere Länder sind noch lange nicht über den Berg. Im Gegenteil, der IWF hat in Griechenland weitere Schuldenschnitte angemahnt. Also, wir versorgen weiter den Süden mit zu billigem Geld, das Banksystem des Südens mit zu billigem Geld, und jetzt geht ja auch der Zugriff auf die deutschen Spareinlagen, auf die Volks-, auf die Raiffeisenbanken, auf die Sparkassen los, indem die Sicherungssysteme vergemeinschaftet werden sollen. So schleppen wir uns noch einige Jahre dahin, aber letztlich sehe ich nicht, wie wir aus dieser Explosion der Geldvermögen herauskommen sollen. Irgendwann muss da eine gewisse Neuordnung auch im Währungssystem anstehen.
    Müller: Das würde bedeuten, was Wolfgang Schäuble ja in den vergangenen Jahren immer wieder gesagt hat: Es wird keinen zweiten Schuldenschnitt geben, es wird keine weitere Schuldenerleichterung für Griechenland geben, zumindest nicht zulasten des Steuerzahlers. Sie glauben ihm nicht mehr?
    Otte: Nein, und es ist auch eigentlich die falsche Politik. Das war eine politische Aussage, wenn wir Griechenland retten wollen, müssen wir noch einen Schuldenschnitt machen, müssen dann aber Griechenland wieder in die Selbstbestimmung entlassen. Das wäre der richtige Weg, dafür plädiere ich seit fünf Jahren. Ich glaube Herrn Schäuble da nicht und er hat ja auch gesagt, dass niemand das Bargeld abschaffen will. Gut, aber wenn Sie Abhebegrenzen am Automaten machen und Bezahlobergrenzen von 1.000 bis 2.000 Euro, jetzt sind 5.000 im Gespräch, aber dabei bleibt es dann nicht, dann haben Sie faktisch das Bargeld stark eingeschränkt und fast abgeschafft.
    Müller: Sie haben das jetzt noch ein bisschen relativiert oder so formuliert - könnte man auch sagen: Belügt Wolfgang Schäuble die Öffentlichkeit?
    Otte: Ach, da möchte ich mich nicht zu äußern. Aber Politiker sagen viel und selbst der Adenauer hat damals schon gesagt, sein dummes Geschwätz von gestern kümmert ihn nicht. Also, ich rate nur, bei diesen Aussagen sehr, sehr kritisch zu sein.
    Müller: Aber kann man der Politik dann noch vertrauen?
    Otte: Kann man nicht, weil sie letztlich kontrolllos ist, was unsere Weltwirtschaft angeht. Leider ist es immer noch so, dass die Finanzbranche die entscheidenden gesetzlichen Weichenstellungen in der Hand hat über ihre Lobbymacht und dass wir noch nicht zu einer vernünftigen Ordnung des Weltwährungs- und Weltwirtschaftssystems gekommen sind.
    "Amerika setzt weltweit auf eine Politik der Konfrontation"
    Müller: Reden wir noch einmal über die Rolle der Amerikaner zum Schluss des Gesprächs! Wie problematisch ist das, was Amerika macht?
    Otte: Also, ich halte es schon für sehr problematisch. Amerika setzt weltweit auf eine Politik der Konfrontation, Japan hat seine Verteidigungsdoktrin geändert, sie ist jetzt auch wieder – obwohl man das nicht so offen sagt – gegen China gerichtet. In Osteuropa haben wir Riesenprobleme, im Mittleren Osten. Also, die Welt brennt schon an etlichen Stellen und es wird weiter gezündelt. Und das halte ich doch für sehr problematisch.
    Müller: Und ökonomisch betrachtet? Immerhin redet man von Zinserhöhungen möglicherweise, um das vielleicht alles ein bisschen zu beruhigen, ein bisschen mehr Kontrolle zu bekommen.
    Otte: Das könnte sogar recht gut sein für Amerika, aber über diese Zinserhöhung wird auch schon seit Jahren jetzt gesprochen. Mit dem Effekt, dass aus vielen Entwicklungsländern wie Brasilien schon in vorauseilender Voraussicht sozusagen Geld nach Amerika geflossen ist. Damit hat Amerika Liquidität und Vermögenswerte repatriiert oder an sich gezogen, was zu Depressionen, also Wirtschaftsdepressionen in Brasilien geführt hat und anderen Ländern. Wenn jetzt die Zinserhöhung kommt, kann das zwar richtig sein, aber es geht dann zunächst einmal wahrscheinlich zulasten der übrigen Staaten.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Max Otte. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag!
    Otte: Guten Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.