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Der anglo-italienische Musiker Piers Faccini
Leidenschaft für Dialog

Der Kosmopolit Piers Faccini bewegt sich in seinen Songs entlang der Mittelmeerküsten von Südeuropa bis zum Nahen Osten und Nordafrika. Acht Studioalben hat der heute 51-Jährige bislang veröffentlicht, von anglo-amerikanischem Folk und apulischem Tarantella bis zu traditionellen Klängen aus dem Maghreb.

Am Mikrofon: Anke Behlert |
    Ein Mann in blauem Jeanshemd, mit schwarzen Haaren und leicht grauem Bart steht bei Dunkelheit vor einem Felsen, der das Blitzlicht reflektiert.
    1970 in England geboren: der Songwriter Piers Faccini (Oliver Metzger)
    "Alle musikalischen oder kulturellen Traditionen, alle Ideen haben ihren Ursprung im Austausch, im Dialog. Vielleicht hat ein Mensch vor vielen tausend Jahren eine Nachtigall gehört oder auf einer Handelsroute ein neues Instrument gelernt. Ich reise zurück in der Zeit und lasse mich von diesen musikalischen und künstlerischen Begegnungen inspirieren, die auch in meiner Familie stattgefunden haben. Mit meiner Musik hole ich sie wieder ans Licht."
    Das sagt der anglo-italienische Maler, Autor und Musiker Piers Faccini. In seiner Musik bewegt er sich entlang der Mittelmeerküsten von Südeuropa bis zum Nahen Osten und Nordafrika. Dabei erschafft er einen vielschichtigen Sound zwischen englischem Folk, apulischem Tarantella und traditionellen Klängen aus dem Maghreb. In den nächsten knapp 45 Minuten folgen wir in den Lied- und Folk-Geschichten Piers Faccini auf seiner inspirierten Suche nach musikalischen Begegnungen durch Zeit und Raum.
    Musik: "To be sky"
    Piers Faccinis Vorfahren stammen aus Italien, Polen, Russland und England. Er selbst wurde 1970 in London geboren, lebte aber schon als Kind einige Jahre in Frankreich. Die Verbindung dort riss nicht ab: Nach der Schule ging er an die École des Beaux-Arts in Paris, um Kunst zu studieren. Denn obwohl er schon seit seinem 15. Lebensjahr Gitarre spielte, verstand er sich zunächst als Maler und konnte davon auch ganz gut leben.
    "Ich hatte eine Band in der Schule, mit der ich Smiths-Coversongs gespielt habe, das war Mitte der 80er. Irgendwann haben wir angefangen, auch eigene Songs zu schreiben. Das hat mir gefallen. Aber eine Karriere als Musiker konnte ich mir nicht vorstellen, ich habe als Maler gearbeitet und bin nur nebenbei aufgetreten.

    Raue Falsett-Stimme

    Auf einer Party lernt er den Cellisten Vincent Segal kennen, mit dem er sich über Musik unterhält. Weil sie sich langweilen, greifen sie zu ihren Instrumenten und spielen los. Faccini steuert zwei Songs zu Segals Album "T-Bone Guarnerius" bei, das bei Label Bleu erscheint. Dessen Leiter Pierre Walfisz ist begeistert und überredet Faccini, ein ganzes Album aufzunehmen. 2004 erscheint sein Debüt "Leave no trace" – sanfte Folksongs mit Faccinis warmer, leicht rauer Falsett-Stimme und auch mal synkopierten Rhythmen und elektrischer Gitarre.
    Musik: "Come my demons"
    Schon damals fühlt sich Piers Faccini nicht nur im englischen Folk und amerikanischen Blues zu Hause, auch Musik aus Westafrika fasziniert ihn, zum Beispiel der malischen Künstler Boubacar Traoré und Ali Farka Touré.
    "Ich sehe mich selbst als Songwriter, denn ich schreibe Songs. Bei dem Wort stellen sich die meisten eine gezupfte Gitarre vor in der Tradition von Nick Drake oder Bob Dylan. Ich komme zwar aus der gleichen Ecke. Der Unterschied ist aber, dass meine musikalischen Referenzen auch außerhalb dieser westlichen Songwriter-Schublade liegen."
    Nicht überraschend also, dass auf seinem zweiten Album "Tearing sky" von 2006 Ballaké Sissoko zu hören ist, der als einer herausragendsten Kora-Spieler Afrikas gilt, der Stegharfe, die mit beiden Händen gezupft wird.
    Musik: "If" I
    Musik: "Dreamer"

    Inspiriert vom Sizilien des 12. Jahrhunderts

    Über die Jahre hat Faccini den Kreis seiner Kollaborateure immer weiter ausgedehnt und damit musikalischen Einflüssen aus Italien, dem Nahen Osten oder Nordafrika immer mehr Platz eingeräumt. Sein 2017er- Album "I dreamed an island" ist von Sizilien inspiriert, dem Sizilien im 12. Jahrhundert. Damals, so Faccini, lebte dort die fortschrittlichste und am meisten aufgeklärte Gesellschaft des mittelalterlichen Europas.
    "Roger II. war ab 1130 der erste normannische König von Sizilien. An seinem Hof wurde Griechisch, Latein und Arabisch gesprochen. Wäre man zu dieser Zeit durch die Straßen Palermos gelaufen, hätte man erst den Muezzin gehört, dann Kirchenglocken und wäre schließlich an einer Synagoge vorbeigekommen. Man hätte viele verschiedene Sprachen gehört."
    Zumindest einige davon hört man auch auf dem Album, nämlich Englisch, Französisch, Italienisch und Arabisch. Mit dabei: der tunisische Violinist Jasser Haj Youssef.
    Musik: "Cloak of blue"
    Auf seinem neuen Album "Shapes of the fall" treibt Faccini sein Interesse an mikrotonalen Spielarten noch weiter. Mikrotonale Musik ist vor allem im Nahen Osten verbreitet. Darin gibt es mehr als die in der westlichen Musik üblichen zwölf Halbtöne innerhalb einer Oktave. Um diese "Vierteltöne" überhaupt spielen zu können, hat er eine akustische Gitarre modifiziert. Außerdem hat er sich ein Instrument ganz ohne Bünde anfertigen lassen.
    "Ein Freund von mir ist Geigenbauer und er hat mir ein Instrument gebaut, das eine Kreuzung aus Gitarre und Oud ist. Darauf gibt es gar keine Bünde, aber das Griffbrett ist dem einer Gitarre ähnlich, sodass ich es besser spielen kann. Diese undefinierte Lücke zwischen den Tönen finde ich sehr poetisch."
    Diese Zwischentöne verändern die Atmosphäre eines Stücks schlagartig und vor dem inneren Auge öffnet sich eine Tür zu sandigen Straßen und palmenbewachsenen Gärten.
    Musik: "Lay low to lie"

    Mikrotonale Tonleitern

    Ein anderes Stück, bei dem Faccini englische Texte mit mikrotonalen Tonleitern kombiniert, ist "Foghorn calling". Hier verbindet Faccini auch das Thema Umweltzerstörung mit einer hoffnungsvollen Botschaft. Das Nebelhorn warnt: Das ist die falsche Richtung, aber wo ein Wille zur Veränderung ist, gibt es auch einen Weg.
    Musik: "Foghorn calling"
    Das Album beginnt mit "They will gather no seed". Der Rhythmus des Songs ist inspiriert vom apulischen Tarantismus, einem der letzten Trance-Musik-Rituale in Europa.
    "Ich bin schon lange von Musik und Rhythmen fasziniert, die einem helfen sich vom alltäglichen, dualen Weltbild zu lösen. Die Grenze zwischen mir, dem Ego und der Welt löst sich auf. Und ich habe festgestellt, dass das bei ungeraden Taktarten häufiger passiert, als bei geraden. Ich glaube das liegt daran, dass man die 3er oder 5er-Rhythmen nicht durch zweiteilen kann und es dem Gehirn schwerer fällt, da Ordnung reinzubringen. Dieser Tanz der ungleichen Elemente, die sich aber perfekt verbinden, ist der alchemistische Moment."
    Der Song ist zwar im eher gewöhnlichen 4/4-Takt, allerdings scheinen Gesang und das synkopierte Klatschen in ganz unterschiedliche Richtungen zu streben, was zusammen mit den ächzenden Streichinstrumenten eine hypnotische Wirkung erzielt.
    Musik: "They will gather no seed"
    Der algerische Musiker Malik Ziad ist ein Meister an der Gumbri, einem bundlosen Saiteninstrument, bei dem die Saiten gezupft, der Korpus aber auch wie eine Trommel gespielt wird. Mit Ziad hat Faccini einige Songs geschrieben, wie "All aboard", bei dem auch noch zwei andere Gäste dabei sind.
    "Der Song "All aboard" hat mit einem Riff auf der Gumbri angefangen, das Malik vorgeschlagen hat. Außerdem ist Abdelkabir Mechane mit dabei, der nicht nur Gnawa-Musiker ist, sondern auch traditionelle Trance-Zeremonien leitet, er ist also auch eine Art Schamane. Und Ben Harper, der den afro-amerikanischen Blues repräsentiert, den es auch immer gibt in meiner Musik. Der Song ist also eine Brücke zwischen diesen verschiedenen Kontinenten und Kulturen. Und das Ganze hat wunderbar funktioniert."
    Musik: "All aboard" (feat. Ben Harper & Abdelkebir Merchane)

    Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt

    Wenn er nicht gerade musiziert oder malt, kümmert sich der 50-Jährige um den Garten, in dem Gemüse und Kräuter wachsen. Und er ist gerade mit seiner Familie in ein anderes Haus in den französischen Cevennen gezogen, das einige hundert Meter höher liegt, als das vorherige. Die Sommer seien in den letzten Jahren einfach zu heiß geworden, erzählt er. Themen wie die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt greift er auch in seinen Songs auf. So ist der Albumtitel "Shapes of the fall" ein doppeltes Wortspiel, denn "fall" kann "Herbst" aber auch "Fall" bedeuten.
    "Das Wort bezieht sich auch auf den Fall der Menschheit, also die Vertreibung aus dem Paradies. Wir kennen den Mythos von Adam und Eva. Aber im Grunde sind wir es selbst – wir vertreiben uns aus dem Garten Eden, weil wir nicht begreifen, dass wir schon im Paradies leben. Jedes mal, wenn man eine Nachtigall hört oder einen Löwenzahn mit einer Biene drauf, sollte man auf die Knie fallen und ihnen huldigen. Das ist ein Wunder! Vielen Menschen sind total blind demgegenüber und das ist unser "Fall".
    Trotzdem ist Piers Faccini hoffnungsvoll und das ist auch seine Musik.
    "Wenn man die Lebensspanne unseres Planeten betrachtet, sind Menschen total irrelevant. Leben wird es immer geben, es wird vielleicht seine Form verändern und vielleicht verändern wir Menschen uns auch, passen uns an. Aber das Leben wird weitergehen."
    Musik: "Firefly"