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"Zusammenführung der Hauptschule ist der richtige Weg"

Die Abschaffung der Hauptschule ist vor allem in den südlichen Bundesländern umstritten. Der niedersächsischer Kultusminister und Vorsitzender der Kultusministerkonferenz Bernd Althusmann fordert, sich in der Debatte mehr auf die Inhalte von Schule zu konzentrieren.

Bernd Althusmann im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.10.2011
    Martin Zagatta: Ganz schön umstritten ist das: Bei ihrem Bundesparteitag im nächsten Monat will die CDU die Weichen stellen für ein neues Schulsystem, für die Abkehr von Hauptschulen. Die Hauptschulen sollen abgeschafft oder genauer gesagt mit den Realschulen verschmolzen werden – ein Vorhaben, das von der Schwesterpartei CSU glattweg abgelehnt wird, das aber auch in Baden-Württemberg auf so großen Widerstand trifft, dass es dazu heute eigens einen Landesparteitag geben wird. Der CDU-Politiker Bernd Althusmann ist nicht nur niedersächsischer Kultusminister, sondern auch Vorsitzender der Kultusministerkonferenz. Guten Morgen, Herr Althusmann!

    Bernd Althusmann: Guten Morgen!

    Zagatta: Herr Althusmann, nach der so plötzlichen Atomwende, nach der Abschaffung der Wehrpflicht – ist die Abschaffung der Hauptschulen da jetzt der dritte schwere Brocken, den die Union ihren traditionellen Wählern zumutet?

    Althusmann: Ich glaube, dass sich eine Partei wie die CDU nicht alleine über ein dreigliedriges Schulsystem, für das ja nun und um das jahrzehntelang gekämpft wurde – teilweise mit Argumenten, wo man der Gegenseite quasi immer vorgeworfen hat, alles sei unterlegen, und die Gegenseite behauptete, alles sei überlegen, jetzt um mal die Gesamtschule hervorzuheben –, ... Ich finde wir brauchen hier eine sehr differenzierte Diskussion, und die CDU ist gut beraten, wenn sie genau hinschaut, was in den nächsten zehn Jahren in Deutschland insbesondere vor dem Hintergrund des drastischen Schülerrückgangs und hinsichtlich des Anwahlverhaltens der Eltern passiert. Und da haben wir einfach zur Kenntnis zu nehmen, dass allein in Niedersachsen unterhalb von 11 Prozent der Eltern nur noch die Hauptschule anwählen. Von daher ist ein Zusammenführen mit der Hauptschule und der Realschule zur Oberschule, denke ich, ein richtiger Weg, und Baden-Württemberg hat ja einen ähnlichen Weg mit der Werkrealschule unter CDU-Landesregierung bereits beschritten.

    Zagatta: Wie erklären Sie sich dann diesen Widerstand in Baden-Württemberg und vor allem auch von der CSU in Bayern? Da gibt es ja ländlichen Regionen, da gibt es auch einen Rückgang der Schülerzahl. Wie erklären Sie sich das?

    Althusmann: Die Hauptschule an sich leistet eine sehr gute Arbeit. Wir haben viele ganz engagierte Lehrkräfte, die ihre Schülerinnen und Schüler zu wirklich guten Ergebnissen führen können. Und dennoch haben wir zur Kenntnis zu nehmen, dass die Eltern in Deutschland überwiegend die Hauptschule nicht anwählen, weil sie denken, ihre Kinder damit möglicherweise in eine Bildungssackgasse zu führen. Und ich finde, wir müssen ohnehin mal in der föderalen Vielfalt genau hinschauen, wo wir denn inzwischen so viele Blüten getrieben haben: Wenn ich alleine den mittleren Bildungsbereich nehme, die Klassen 5 bis 10, da haben wir in Baden-Württemberg die Werkrealschule, in Bayern haben wir in Wahrheit schon ein Nachfolgemodell für die Hauptschule, nämlich die Mittelschule, in Hessen nennen wir sie Mittelstufenschule, in Rheinland-Pfalz Realschule Plus, Stadtteilschule, Regionalschule, Oberschule. Ich finde, wir brauchen – auch um die Hürden des Bildungsföderalismus abzusenken, auch mehr Akzeptanz unter den Eltern zu schaffen – hier, denke ich eine Angleichung, vorsichtig, das ist im Grunde nur im Konzert der Länder möglich, aber darüber sprechen wir auch gerade als Kultusminister.

    Zagatta: Aber das ist ja schwierig, weil eine Angleichung würde ja voraussetzen, dass es da irgendwelche Richtlinien bundesweit gibt. Jetzt ist die Schulpolitik, ist Bildung Ländersache. Lässt sich da überhaupt etwas ändern?

    Althusmann: Natürlich darf die Kulturhoheit der Länder, die Zuständigkeit für Schulen in keiner Weise berührt werden, aber ich nehme zunehmend zur Kenntnis, dass wir in allen Bundesländern, egal, wie sie gerade parteipolitisch regiert werden, eine hohe Sensibilität für dieses Thema haben, gerade für die Frage der Akzeptanz des Bildungsföderalismus. Ich denke, wir werden uns – wie beim Abitur, auf dem Weg sind wir ja schon, in sieben bis acht Bundesländern wollen wir ein ländergemeinsames Abitur bis 2013/14 erreichen –, ... dass es auch im mittleren Bildungsbereich trotz heute schon bestehender grundsätzlicher Gleichmäßigkeit in einigen Fragen, dass wir aber dennoch inhaltlich, was die Fächer betrifft, was die Abschlussprüfungen betrifft, uns schon aneinander annähern können. Denn wenn ein Kind von Baden-Württemberg nach Niedersachsen oder nach Brandenburg oder nach Berlin zieht, dann stößt es zum Teil auf ein völlig unterschiedliches Schulsystem. Und ich glaube, wir müssen darüber stärker nachdenken, dass wir in dieser Frage nicht eine Vereinheitlichung, also nicht einen Bundesbildungsstaat mit einem Bundesbildungsministerium, was alles zentral regiert, aber sehr wohl uns immer weiter aneinander annähern, damit diese Hürden abgebaut werden.

    Zagatta: Muss dazu das Grundgesetz geändert werden, oder geht das ohne solche Änderungen?

    Althusmann: Ja, das ist eine immer wieder gestellte Frage, das sogenannte Kooperationsverbot, die Frage, wo können Bund und Länder zusammenarbeiten. In Bayern, der Kollege Spaenle hat vorgeschlagen, einen Staatsvertrag zwischen den Ländern zu machen. Darüber hinaus wäre denkbar, natürlich das Grundgesetz zu ändern, darüber wird in den nächsten Monaten noch bis zum Ende diesen Jahres, in dem ich den Vorsitz der KMK habe, noch zu beraten sein. Ich finde, ich persönlich – da spreche ich nicht für alle in der KMK und auch nicht für alle in den CDU-regierten Bundesländern –, ich persönlich glaube, wir müssen bestimmte Chancen nutzen, wir müssen an bestimmten Bereichen sagen, da können wir mit dem Bund zusammenarbeiten, weil es sich hier um eine nationale Bildungsaufgabe handelt. Wir müssen insbesondere die 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die in Deutschland kein ausreichendes Kompetenzniveau erreichen, die müssen wir zu Bildungsabschlüssen führen, denen müssen wir Chancen eröffnen, und hier müssen wir uns sicherlich an der einen oder anderen Stelle noch bewegen als KMK.

    Zagatta: Herr Althusmann, dennoch noch mal die Frage: Woher kommt dann dieser Widerstand in Süddeutschland? Sie haben gerade gesagt, in Bayern gibt es ja schon so ein etwas Ähnliches dann wie eine Mittelschule. Ist es dann im Endeffekt ein rhetorischer Streit oder warum ist der Widerstand gerade da in den südlichen Ländern, in Bayern, in Baden-Württemberg, so stark gegen diese Pläne?

    Althusmann: Ich glaube, wir haben jahrzehntelange Debatten über Schulstrukturen geführt und teilweise daraus auch manche Identität in der Bildungspolitik gewonnen, wobei ich heute sage sehr pragmatisch, wir sollten uns auf die Inhalte von Schule konzentrieren, wir sollten uns auf die Rahmenbedingungen guter Schule, auf die Lernbedingungen konzentrieren. Ich persönlich glaube, gute Schule gelingt völlig unabhängig von Schulstrukturen, wenn Eltern, Lehrer, Schüler an einem Strang ziehen und insbesondere natürlich auch die Eltern ihre Bildungsverpflichtung, ihre Pflichten gegenüber ihren Kindern wahrnehmen. Der Widerstand in den süddeutschen Ländern hängt letztendlich mit der tiefen Ablehnung natürlich gegenüber einem Einheitsschulsystem, so wie es Rot-Grün verfolgt, zusammen, und das ist auch richtig so. Ich glaube, die einzige Antwort meistens der – das sage ich jetzt als niedersächsischer Kultusminister –, der Opposition auch bei uns im Lande lautet immer wieder, macht nur noch Gesamtschulen, Einheitsschule. Ich glaube, das ist ebenso falsch wie immer nur zu sagen, es gäbe nur drei Schulformen, die die einzig erfolgreichen wären. Ich glaube, wir müssen hier einen guten Mittelweg langfristig wählen, und Bildungspolitik ist immer Langstrecke, ist nie Kurzstrecke, deshalb sollten wir für die nächsten zehn Jahre sehr klug überlegen, wie wir die Weichen stellen. Und ich glaube, Hauptschule und Realschule – da, wo das möglich ist, da, wo die Region das freiwillig will, da mit einem hohen Maß an Freiwilligkeit zu arbeiten und auf die regional spezifischen Gegebenheiten, auch in Baden-Württemberg, auch in Niedersachsen oder anderswo Rücksicht zu nehmen, und da, wo die Schülerzahlen noch tragfähig sind, es auch erst mal so zu lassen. Aber langfristig ist anzustreben ... ich glaube, die Zusammenführung der Haupt- und Realschule erscheint mir richtig. Ich weiß aber, ich habe auch Protestbriefe vom Realschullehrerverband aus Bayern erhalten, ich weiß um die Umstrittenheit dieser Position, aber Bildungspolitik ist das Feld, in dem meistens am meisten gestritten wird, und diesen Streit sollten wir ruhig, sachlich und fair führen.

    Zagatta: Wie schätzen Sie da die Mehrheitsverhältnisse in Ihrer Partei, in der Union ein? Bei dem Parteitag, wird es da eine Mehrheit für diese Pläne geben?

    Althusmann: Ich persönlich hoffe, dass nach den bisherigen Konferenzen, die in den Ländern stattgefunden haben, die ja ein sehr differenziertes Bild gegeben haben – in Hessen hat die Diskussion anders stattgefunden als in Schleswig-Holstein –, ... Ich glaube, dass wir, wenn wir ganz ernsthaft mal dahinter schauen und nur uns fragen, worum geht es eigentlich, welche Rahmenbedingungen braucht gute Schule für die nächsten zehn Jahre – nur darum muss es gehen, welche Bildungschancen sollen unsere Kinder bekommen und welche Abschlüsse sollen sie erreichen können, damit wir im internationalen Konzert auch der Länder europaweit international leistungsfähig bleiben mit unserem Bildungssystem? –, dann müssen wir bestimmte Antworten geben und dazu gehört aus meiner Sicht mehr Ganztagsbeschulung, dazu gehört aus meiner Sicht eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bereich Bildung, dazu gehört aus meiner Sicht eine weitere Zusammenführung der Bildungsstandards. Und da müssen wir uns alle bewegen. Ich glaube, diese leidenschaftlichen Debatten, die wir vor zehn, 20, 30, 40 Jahren in allen Parteien geführt haben, ... und ich meine immer, die Opposition führt es fast viel leidenschaftlicher immer, ihre Einheitsschuldebatte, als wir. Es gibt diese Überlegenheit und Unterlegenheit wissenschaftlich nicht, sondern man wird hier einen Mittelweg wählen müssen, und es geht nur darum, beste Bildungschancen für unsere Kinder zu organisieren.

    Zagatta: Bernd Althusmann, der Kultusminister von Niedersachsen und Vorsitzende der Kultusministerkonferenz. Herr Althusmann, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Althusmann: Sehr gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.