Donnerstag, 25. April 2024

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100. Geburtstag von Antonio Ruiz Soler
Ein Neuerfinder des spanischen Tanzes

In Spanien hieß er schlicht "Antonio, der Tänzer" - Antonio Ruiz Soler revolutionierte den Flamenco und brachte ihn als erster auf die Bühnen der großen Opernhäuser. Am 4. November 2021 wäre der "Paganini des Tanzes" hundert Jahre alt geworden.

Von Julia Macher | 04.11.2021
    Antonio Ruiz Soler und Ludmilla Tcherina in einer Tanz-Szene der Romanze "Honeymoon", der unter dem Titel "Strahlender Himmel - strahlendes Glück" 1959 in die deutschen Kinos kam
    Antonio Ruiz Soler mit Ludmilla Tcherina im Liebesfilm "Honeymoon" ("Strahlender Himmel - strahlendes Glück") von 1959 (imago stock&people)
    "Seit ich denken kann, wollte ich tanzen. Als kleiner Junge lief ich von zu Hause weg, um dem Drehorgelmann zu folgen. So ging das weiter, bis ich auf die Schule kam."
    Antonio Ruiz Soler, geboren am 4. November 1921 in Sevilla, gilt bereits als kleiner Junge als Ausnahmeerscheinung. Sein Talent ist stadtbekannt. Die Mutter kann dem jüngsten ihrer sechs Kinder keine Tanzausbildung finanzieren, also kommt eine Tante für das Lehrgeld auf. Mit sechs Jahren lernt Antonio an der Tanzschule Florencia Pérez Padilla kennen. Unter dem Künstlernamen Rosario wird sie 22 Jahre lang seine Tanzpartnerin bleiben:
    Florencia Pérez Padilla: "Ich kann mich noch genau daran erinnern: Er war bereits an der Akademie Realito, ich stieß dazu, weil ich tanzen lernen sollte. Weil wir beide klein und schmächtig waren, hat der Lehrer uns als Tanzpaar zusammengebracht. So fing alles an."

    Wie Antonio und Rosario die Welt eroberten

    Als "chavalillos sevillanos" feiern die Kinderstars Antonio und Rosario rasch Erfolge. Flamenco-Opern boomen im Vorkriegsspanien, Engagement folgt auf Engagement. Bis der Bürgerkrieg 1936 eine Tournee in Barcelona unterbricht. Die Künstlertruppe geht nach Frankreich, reist von dort aus weiter nach Argentinien, Mexiko, Brasilien. Während Spanien im Chaos versinkt, erobern Antonio und Rosario die Bühnen der Welt.
    Flamenco-Tänzerin
    Flamenco - Identität und Gefühl
    Der Flamenco ist ein Tanz zwischen Tradition und Avantgarde, ein Musikstil, den man weniger versteht als fühlt. Andalusiens Armen-Viertel waren der Ursprung dieser speziellen Ausdrucksform, die von Freiheit, Stolz, Poesie und auch Liebe handeln kann.
    Schließlich entdeckt Hollywood die beiden jungen Spanier. Die große Geste des Musicals, die opulenten Szenographien prägen Antonios Kunstverständnis. Als er 1949, zehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs, zurückkehrt, rollt sein Heimatland ihm den roten Teppich aus. Das graue Franco-Spanien dürstet nach Glamour. Und der weltläufige Mann mit dem dunklen Haar und dem brennenden Blick fügt sich kongenial in das Andalusien-Bild, das der Diktator als Inbegriff des Spanischen in die Welt tragen will: "Andalusien ist für mich das Größte. Ich fühle mich als Andalusier, mehr denn als Spanier."

    Das stampfende Markenzeichen von "Antonio, dem Tänzer"

    1953 gründet Antonio Ruiz Soler seine eigene Kompagnie, das Ballet Español. Mit ihr wird er zum großen Erneuerer des spanischen Tanzes. Er tanzt den Martinete, eine Flamenco-Variante, die bisher Sängern vorbehalten war und macht endlose, rasant gestampfte Zapateados zu seinem Markenzeichen. Seine Neuinszenierungen von Manuel de Fallas "Dreispitz" und "Liebeszauber" begeistern in London, Paris, Mailand. Der Erfindungsreichtum von "Antonio, el bailarín", von "Antonio, dem Tänzer" scheint unerschöpflich:
    "Ich habe immer viel improvisiert. Das war Teil meines Erfolgsrezepts. Wenn es mir gut geht, kann ich aus dem Stegreif acht, zehn Szenen eines Ballets kreieren. Aus dem Moment heraus. Am nächsten Tag weiß ich nicht mehr, wie ich darauf gekommen bin."

    Von seinem Ensemble fordert Ruiz Soler Höchstleistungen, sein Jähzorn ist gefürchtet. Als er 1972 aus Ärger über eine schleppende Produktion "Jesus samt aller Toten" verflucht, muss er wegen Blasphemie ins Gefängnis - und wird dank guter Kontakte nach zwei Wochen begnadigt. Gefragt, welchen Menschen er am meisten bewundert, antwortet er im spanischen Fernsehen: "Nun, was soll ich Ihnen sagen, das ist natürlich Seine Exzellenz, der Generalissimus Franco."
    Manitas de Plata (eigentlich Ricardo Baliardo); französischer Gitarrist. Foto, 1965.
    Manitas de Plata - Der König des Flamencos
    Der Gitarrist Manitas de Plata aus Frankreich zählt zu den Musikern, die den Flamenco populär gemacht haben. Seine Alben verkauften sich über 90 Millionen Mal und begeisterten Prominente von Pablo Picasso bis Brigitte Bardot. Am 07. August 1921 wurde er in Sète geboren.
    1979, nach 50 Jahren im Rampenlicht, verlässt "Antonio, der Tänzer" die Bühne. Drei Jahre lang leitet er noch das spanische Nationalballett. Wegen persönlicher Zerwürfnisse wird ihm gekündigt. Tief verletzt zieht er sich aus der Öffentlichkeit zurück und verbringt seine letzten Jahre im Rollstuhl, umgeben von wenigen Vertrauten, seinen Hunden. Und der Gewissheit: " Ich verdanke dem Tanz alles. Und der Tanz verdankt mir etwas mehr Leben."
    Am 5. Februar 1996 stirbt Antonio Ruiz Soler. Seinem letzten Willen entsprechend wird er in Sevilla bestattet.