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100 Jahre Radio
Senden wie anno dazumal

Vier Jahre lang hat eine Gruppe Radiofans getüftelt, um in Brandenburg den ersten deutschen Radiosender nachzubauen - mit Alkohol als Brennstoff. Das Ergebnis macht erlebbar, wie Radio bei seiner Erfindung vor 100 Jahren klang.

Von Christoph Richter |
Sendemasten und Sendehäuser auf dem Funkerberg in Königs Wusterhausen
Die Sendehäuser auf dem Funkerberg in Königs Wusterhausen sind heute ein Industriedenkmal (imago stock&people)
"Hallo, hier Königs Wusterhausen auf Welle 2700. Meine Damen und Herren, zum Zeichen, dass unsere Station jetzt großjährig geworden ist, wollen wir Ihnen ein kleines bescheidenes Weihnachtskonzert senden."
So ungefähr muss vor 100 Jahren 1920 die erste Radiosendung geklungen haben. Ein Weihnachtskonzert, das am 22. Dezember jenen Jahres live übertragen wurde.
Übertragung mit Grammofon und Telefonhörer
"Das Entscheidende von dieser Sendung am 22. Dezember 1920 war, dass die Techniker Sprache und Musik übertragen haben. Und damals haben sie zur Musikübertragung einfach die Telefonsprechkapsel vor den Hörer eines Grammofons gehalten und haben damit die Musik übertragen", erzählt Rainer Suckow, Radio-Enthusiast und der Vorsitzende des Sende- und Funktechnikmuseums in Königs Wusterhausen.
Geschätzt wird, dass die erste öffentliche Radiosendung etwa 150 Menschen gehört haben. Exakt weiß man es jedoch nicht. Damals eine Mediensensation, heute gilt es als die Geburtsstunde des Rundfunks in Deutschland.
Der Melker Fritz Janz aus Oerie (Kreis Springe) melkt im Dezember 1951 bei Musikberieselung eine Kuh. Aber nicht für sein Vergnügen hat er das Radio im Kuhstall aufgestellt, sondern für die Kühe. Der findige Melker hatte von Versuchen gehört, mit denen bei Musik im Stall die Milchleistung der Kühe erhöht werden sollte. Und prompt den Rundfunkempfänger in den Stall getragen. Der Versuch hat geklappt: Nach anfänglicher Unruhe haben sich die Kühe an die neuen Töne gewöhnt, die Milchleistung ist um acht Liter pro Tag gestiegen. Ganz besonders schätzt das Vieh den Jazz.
Demokratie auf Empfang
Radio ist ein urdemokratisches Medium: Jeder kann es hören, es bringt alle zusammen. In einer neuen Reihe zeigen wir, was Hörfunk kann: als Jedermann-Sender, als Experimentierfeld, als politische Informationsquelle.
Das Senderhaus 1, das auf dem Funkerberg in Königs Wusterhausen auf einer Art kleinen Berggipfel steht, gilt heute noch als das erste Funkhaus Deutschlands.
Rainer Suckow: "Wobei bei uns die Besonderheit war: In heutigen Funkhäusern sind ja meistens - in Anführungsstrichen – nur die Redaktionen. Die Sender stehen irgendwo in der Pampa und keiner weiß, wo die Sender stehen. Von der Warte her waren wir nicht nur Funkhaus, sondern erstes Sendehaus für den Rundfunk. Das stimmt schon."
Nachbau des alten Lichtbogensenders
Ursprünglich war der Funkerberg eine militärische Funkstation. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die einstige Kaserne in Königs Wusterhausen – eine Kleinstadt am südöstlichen Stadtrand von Berlin - auf Betreiben des damaligen Ministerialdirektors Hans Bredow von der Reichspost übernommen. Heute: ein technisches Museum, das von einem Förderverein betrieben wird.
Gesendet wurde mit einem sogenannten Lichtbogensender. Das Original gibt es nicht mehr, weshalb eine Handvoll Radio-Enthusiasten vier Jahre lang getüftelt und gebastelt haben, um den ursprünglichen Sender - in einer Art Miniatur-Version - nachzubauen. Zu sehen sind – für den Laien willkürlich angeordnete - Spulen, handgelötete Drähte, elektrische Bauteile wie Regler, Widerstände und Stecker.
Ein Mikrofon wie eine Klobürste
"Jetzt arbeiten wir mit 150 Kilohertz. Das ist Welle 2000. Also die Signallänge beträgt zwei Kilometer. Deswegen Langwelle", erzählt Radio-Tüftler Maik Schilling. Erhaben, behutsam und mit ein wenig Stolz im Gesicht betreibt er wie ein Magier den Nachbau des ersten Rundfunksenders in Deutschland.
Dazu hat er ein Schlückchen reinen Alkohols in die Brennkammer gefüllt. Plötzlich sieht man einen leuchtenden Funken. Und der Sender sendet. Verrauscht und knisternd: eben Radio, wie früher. Das Mikrofon ähnelt einer Klobürste, ist aber die Sprachkapsel eines alten Telefons.
Ein alter Radioapparat aus den 1970er-Jahren.
Die Radioschlacht um Nachkriegsdeutschland
Im Nachkriegsdeutschland wurde das Radio von verschiedensten Interessengruppen zur Einflussnahme auf die Bevölkerung benutzt – was zu einer regelrechten Propagandaschlacht zwischen Ost und West führte.
"Und jetzt können wir es so klingen lassen, wie man es damals idealerweise vielleicht am Radio gehört hat: Hallo, hier Königs Wusterhausen, auf Welle 2000."
Jedes Mal, wenn sie vom Funkerberg in Königs Wusterhausen mit der Technik von damals senden, durchströme sie alle ein tiefes Glücksgefühl, erzählt Rainer Suckow vom Sende- und Funktechnikmuseum in Königs Wusterhausen. Mehr noch, man fühle sich wie ein Rundfunkpionier vor 100 Jahren, als Tüftler mit bahnbrechenden Erfindungen – wie dem Lichtbogensender - das Radio zum Laufen gebracht haben.
Originalschauplatz der ersten Übertragung
"Das Schöne am Funkerberg in Königs Wusterhausen ist, dass es der authentische Ort ist. Dass wirklich hier in diesem Haus das Urfeuer des Rundfunks gelodert hat. Hier ging das alles los. Hier hat das erste Mal der Funke gelernt, Rundfunk zu werden, Sprache und Musik zu transportieren."
Und der Funkerberg mache auch die Bedeutung des Radios nochmal klar, das zugleich auch immer ein Medium der Freiheit sei. Meint zumindest Rainer Suckow, ein gelernter Nachrichtentechniker. Heute ist er Ausbilder bei der Telekom. Und Radiofanatiker, wie er selbst sagt.
Terrestrisches Radio als "Stück Freiheit"
"Zur Erklärung: Wenn ich etwas mit einem Sender terrestrisch abstrahle über eine Antenne und irgendwo sitzt wieder einer mit einer Antenne, empfängt das und hört sich das an, dann weiß niemand, wer derjenige ist und wo er sich aufhält, der das hört. Und das, finde ich, ist ein großes Stück Freiheit. Wenn es im Zweiten Weltkrieg das Internet gegeben hätte, dann hätte keiner BBC gehört, weil alle hätten es gewusst. Von der Warte ist Radio und Rundfunk, also terrestrisch gesendeter Rundfunk, immer auch ein Stück Freiheit."
Die Abschaltung der Mittelwellen- und UKW-Sender sehe er daher auch kritisch und mit einem weinenden Auge, sagt Suckow noch.(*) "Ich hoffe sehr, dass es den Rundfunk – im Sinne von per Antenne ausgestrahlt – noch lange, lange gibt."
Vor 100 Jahren erlebte das Radio im Brandenburgischen seine Geburtsstunde. Der reguläre und regelmäßige Senderbetrieb begann allerdings erst drei Jahre später: am 29. Oktober 1923 im Berliner Voxhaus. Doch vom Funkerberg in Königs Wusterhausen aus hat das Radio in Deutschland seinen Siegeszug angetreten. Ein authentischer Ort, der Technik-Geschichte geschrieben hat.
(*) An dieser Stelle wurde der Text um einen nicht korrekten Satz gekürzt.