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150. Geburtstag des Malers Emil Nolde
Der befleckte Staatskünstler

Emil Nolde galt lange Zeit als ein Maler für alle: zugänglich und doch modern. In der NS-Zeit verfemt, wurde sein expressives Werk in der Bundesrepublik zur Staatskunst. Mit einem Nolde an der Wand konnte man nichts falsch machen - bis publik wurde, dass Nolde glühender Verehrer Hitlers war.

Von Carmela Thiele | 07.08.2017
    Ein Mann steht am im Städel Museum in Frankfurt am Main vor Emil Noldes Meisterwerk "Das Leben Christi (1911/12)".
    Ein Mann steht am im Städel Museum in Frankfurt am Main vor Emil Noldes Meisterwerk "Das Leben Christi (1911/12)". (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    Ein Einzelgänger, der sich nach Freunden sehnte, ein Mensch, der sich an der rauen See wohl fühlte, aber dennoch fasziniert war von fernen Ländern und den Kunstzentren Europas. Emil Nolde vereinigte in seiner Persönlichkeit mehrere Extreme. Seit einiger Zeit steht sein Name für ein weiteres Paradox. Vor vier Jahren wurde publik, dass der Künstler schon früh ein glühender Anhänger Adolf Hitlers war, seine Malerei jedoch zu seiner Bestürzung im NS- Staat als Paradebeispiel "entarteter Kunst" dargestellt wurde. Felix Krämer, Kurator am Städel-Museum Frankfurt am Main:
    "Wir haben denjenigen, der sich mit der Partei identifiziert, aber gleichzeitig auch von ihr abgelehnt wird. Die Schemata, die es sonst so einfach machen, funktionieren hier nicht. Wir haben einen Täter, wir haben aber auch ein Opfer. Und Nolde ist eben beides zusammen."
    Nolde hing bei Schmidt und hängt bei Merkel an der Wand
    Nach seinem Tode 1956 war Nolde zum Staatskünstler aufgestiegen, eine Art Wiedergutmachung für Malverbot und Diffamierung. Helmut Schmidt benannte ein Zimmer im Kanzler-Bungalow nach ihm, und noch heute schmückt Angela Merkels Büro eine von dunklen Wolken überwölbte Marschlandschaft. Und in der Tat: Was die Qualität seiner Kunst angeht, ist gegen den Norddeutschen nicht viel einzuwenden. Nolde malte wie die anderen Expressionisten kraftvoll gegen das Gekünstelte, gegen die Konvention, gegen die Herrschaft des Rationalen an. Sein Mittel war die Farbe.
    Emil Noldes Ölgemälde "Blumengarten: Stiefmütterchen"
    Emil Noldes Ölgemälde "Blumengarten: Stiefmütterchen" (picture-alliance/ dpa/dpaweb)
    "Farben in ihrem Eigenleben, weinend und lachend, Traum und Glück, heiß und heilig, wie Liebeslieder und Erotik, wie Gesänge und Choräle. Farben in Schwingungen, in Silberglockenklang und Bronzegeläute, kündend Glück, Leidenschaft und Liebe, Blut und Tod", schrieb der Maler um 1911. Gemeinsam mit seiner jungen Frau Ada lebte der damals 44-Jährige im Sommer auf dem Lande in Alsen - heute Dänemark -, im Winter in Berlin. Nach langem Ringen hatte der am 7. August 1867 im Dorf Nolde geborene Bauernsohn Hans Emil Hansen seinen Stil und auch Anerkennung gefunden. Über die Kunsttischlerei und das Zeichnen war er zur Kunst gekommen, ruhelos war er umhergereist, hatte in München, Paris und Kopenhagen nach Anregungen gesucht.
    Auf dem Höhepunkt des Nolde-Kults: "Der Meister wurzelechter deutscher Kunst"
    "Mir war so trostlos einsam", erinnert er sich, " mehr als sonst irgendwo, obschon in anderen Ländern ich auch oft einsam war. In mir selbst war immer das große Sehnen nach allem Besonderen und Großen leitend gewesen, hier fand ich dieses nicht. Oft war es mir, als ob ich nirgendwo hinpaßte."
    In Kopenhagen traf der Maler 1902 Ada Vilstrup, die nicht nur lange magere Jahre mit ihm teilte und ihn auf seinen vielen Reisen begleitete, sondern auch wichtige Kontakte zum Kunstmarkt für ihn knüpfte. 1923 stellte Nolde in New York aus, 1927 fand in Dresden eine umfangreiche Retrospektive zu seinem 60. Geburtstag statt. Der Nolde-Kult war auf einen Höhepunkt gelangt. In Kiel wurde ihm die Ehrendoktorwürde verliehen, eine Festschrift feierte "den Meister wurzelechter deutscher Kunst".
    Zehn Jahre später werden Noldes religiöse Bilder aus den 1910er-Jahren in der Ausstellung "Entartete Kunst" als "gemalter Hexenspuk" diffamiert, seine Werke aus den Museen entfernt. Noldes primitivistische Figuren, gemalt in grellen Farben, ohne Rücksicht auf Proportion und Anatomie, passten nicht zum süßlichen Realismus der NS-Malerei. Nolde zog sich nach Seebüll an die Nordsee zurück, konnte aber – unter der Hand – weiter verkaufen und heimlich malen. Nachbarn über den greisen Nolde:
    "Das Wasser [...], diese Einsamkeit hat ihn hierhergelockt. Er war ja so ein bisschen einsamer Mensch, also er zeigt sich nicht gern Fremden und unterhält sich auch nicht gerne so mit Fremden, er ist ein bisschen schwer zugänglich. Er sagt zu mir, was für mich der Hof ist, das ist für ihn der Garten, weil er die Blumenbilder malt."
    Ist es das, was von Nolde bleibt? Feuerroter Klatschmohn, gelbe Himmel, das ewige Drama der Elemente? Heute treffen Noldes Gemälde und Aquarelle beim Publikum wieder auf ein Bedürfnis nach purer Natur und Emotion. Zu wissen, dass der Maler ein glühender Nazi war, dämpft die Begeisterung nur wenig. Dennoch ist Emil Noldes Werk für immer politisch konnotiert.