Was ist eigentlich ein Bioprodukt? – Nach Biostandard hergestellte Lebensmittel werden ohne Kunstdünger und unter Verzicht auf die meisten Pestizide erzeugt. Nutztiere sollen mehr Platz und eine bessere Behandlung bekommen. Seit 2001 gibt es als sichtbares Zeichen dafür das staatliche Biosiegel – ein Sechseck mit der Aufschrift "Bio nach EU-Ökoverordnung". Inzwischen ist es ein freiwilliges Zusatzkennzeichen, denn es gibt längst auch ein Ökosiegel in der gesamten Europäischen Union. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner lässt das Jubiläum heute feiern.
Felix Prinz zu Löwenstein, Chef des Bundesverbandes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, betonte im Deutschlandfunk, wie wichtig die Einführung des Siegels und die dazugehörige Informationskampagne der damaligen Bundesministerin Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) gewesen sei. Dadurch sei das Vertrauen von Verbraucherinnen und Verbrauchern gestärkt worden. "Entsprechend war das Wachstum dieses Marktes".
Georg Ehring: Warum ist das Siegel nötig?
Felix Prinz zu Löwenstein: Ein Siegel, eine Zertifizierung ist ja nichts anderes als ein Kommunikationsinstrument, mit dem man Verbraucherinnen und Verbrauchern, die nicht direkt auf den Hof kommen können und zuschauen können, wie man produziert, vermittelt, das und das sind die Richtlinien, die ich einhalte, das sind die Bedingungen, unter denen ich die Lebensmittel herstelle, die Sie einkaufen. Dafür braucht es das Siegel, aber das reicht nicht; das muss man auch erklären. Beides hat stattgefunden vor 20 Jahren. Die Bundesministerin – Renate Künast war das damals – hat gesagt, wir brauchen ein Zeichen, das die Kunden in Deutschland im Laden leicht erkennen können, und wir brauchen dazu eine Informationskampagne, in der wir dieses Zeichen erklären. Beides gehörte damals zusammen.
Ehring: Aber landwirtschaftliche Verbände wie Bioland oder Demeter hatten ja längst eigene Siegel.
Löwenstein: Ja, aber das war genau der Punkt. Alle privaten Standards wie Bioland, Naturland, Demeter oder wie sie alle heißen, bauen ja auf der europäischen rechtlichen Grundlage auf, die 1990 gesetzt worden ist. Was die Ministerin Künast damals wollte ist, diesem Markt dadurch einen Schutz zu geben, dass für alle die Basis ganz leicht erkennbar wird: Das ist ein Bioprodukt. Das hat den Verbänden mit ihren darüber hinausgehenden Standards nicht abgegraben. Die konnten die ja weiterhin kommunizieren; hat aber dazu geführt, dass das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Bioprodukte sehr gestärkt worden ist, weil sie gemerkt haben, das ist geregelt, das ist gesetzlich abgesichert, das ist europaweit überall gleich definiert, und entsprechend war das Wachstum ja dann dieses Marktes.
Ehring: Ein Biosiegel bescheinigt die Einhaltung von Produktionsstandards, nicht aber die Freiheit von Pestiziden. War das eine richtige Grundsatzentscheidung?
Löwenstein: Das kann man ja nicht anders machen. Wir können ja nicht Bio jetzt auf irgendeiner Insel stattfinden lassen, sondern das findet ja in der Landschaft statt, in der auch konventionelle Landwirtschaft passiert. Infolgedessen ist es ausgeschlossen, dass es da keine Beeinflussung gibt.
Natürlich haben wir in Bioprodukten erheblich weniger Rückstände von all den Produkten, die in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden, weil sie ja nicht direkt aufs Feld kommen. Aber das wäre genau unser Problem, was wir haben, dass das, was in der konventionellen Landwirtschaft an chemischen und synthetischen Mitteln ausgebracht wird, über die Luft, über die Umwelt überall ankommt. Jeder Hektar Bio vermindert diese Emissionslast.
Entscheidend: Die Betreuung der landwirtschaftlichen Betriebe
Ehring: Es wird immer wieder gefordert, das Biosiegel nachzubessern, zum Beispiel auch bei den Tierschutzstandards. Was halten Sie davon?
Löwenstein: Ich wüsste jetzt nicht, wo das konkret gefordert wird. Wir haben ja gerade eine Neufassung der Biorichtlinien auf europäischer Ebene gehabt. Was für das Tierwohl, die Frage, wie es den Tieren geht, entscheidend ist, ist ja nicht nur diese Richtlinie, die sagt, so sind artgerechte Haltungsverfahren. Da ist die Frage, wie gut macht das die Bäuerin und der Bauer? Und da geht es viel mehr darum, wie man denen hilft, wie man die natürlich auch überprüft bei dem, was sie tun. Aber wie man denen hilft, ihren Job gut und besser zu machen. Da spielen unsere Verbände natürlich eine große Rolle, weil wir da eine sehr unmittelbare Betreuung der landwirtschaftlichen Betriebe haben.
Ehring: Die Verbände haben ja auch zum Teil gerade beim Tierwohl deutlich höhere Standards.
Löwenstein: Ja! Aber das wichtigste an der Stelle ist tatsächlich die Betreuung. In einem Verband Mitglied zu sein, heißt natürlich, sich an Verbänderichtlinien halten zu müssen. Heißt aber noch viel mehr, eingebunden sein in eine Gemeinschaft, wo man sich gegenseitig kennt, wo man sich gegenseitig unterstützt und wo man auch engmaschig betreut wird, so dass früher auffällt, wenn auf irgendeinem Betrieb etwas nicht in Ordnung ist, so dass man dann die Unterstützung bekommt, das abzustellen.
Zweifelhafte Züchtungserfolge durch Gentechik
Ehring: Eine neue Herausforderung sind neue Züchtungstechniken wie Crispr/Cas, die derzeit als Gentechnik in der Europäischen Union kaum eingesetzt werden können. Viele versprechen sich davon aber Sorten, die zum Beispiel an Trockenheit und Hitze besser angepasst sind. Müssten wir die Biolandwirtschaft und die Biolebensmittelwirtschaft dafür öffnen?
Löwenstein: Das finde ich lustig, wie diese Versprechungen überall für gegeben gehalten werden. Es gibt diese Sorten gar nicht, die besser an Trockenheit oder an Hitze angepasst wären. Ganz im Gegenteil! Das sind so komplexe genetische Merkmale, dass die mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit und auch bereits mit mehr Erfolg bei ganz normaler Züchtung erreicht werden.
Ökologische Landwirtschaft findet statt ohne den Einsatz von Pestiziden aus chemisch-synthetischer Herstellung und sie findet ohne Gentechnik statt, und das ist auch gut so, weil wir endlich lernen müssen, dass wir in der Art und Weise, wie wir Natur nutzen, uns möglichst nah an dem halten müssen, wie Natur sich selbst organisiert. Je weiter wir uns davon entfernen, desto höher werden die Risiken. Die Quittung kriegen wir längst durch die Klimakrise, durch die Biodiversitätskrise, durch die Belastung des Grundwassers und all die Dinge, wegen denen ja der ökologische Landbau so wichtig ist.
Ökologischer Landbau als Plan B
Ehring: Und da sehen Sie Crispr/Cas als eine weitere Bedrohung und nicht als möglichen Ausweg?
Löwenstein: Crispr/CAs ist nichts anderes als die bisherige Gentechnik auch, nämlich ein technischer Eingriff ins Genom und damit unter Umständen das Auslösen von sehr komplexen, heute gar nicht überschaubaren Wirkungen. Das ist der Grund, warum wir mit vielen anderen fordern, das muss ganz genau angeschaut werden. Da kann man nicht mit Hurra reinspringen und das einfach machen, ohne es zu regulieren. Es gibt eine funktionierende Regulierung für Gentechnik, die muss da auch angewandt werden.
Darüber hinaus ist es über die Maßen wichtig, dass wir mit dem ökologischen Landbau den Plan B haben, auf den wir zurückgreifen können, wenn die Eingriffe, die die konventionelle Landwirtschaft heute macht, inklusive Gentechnik, in die falsche Richtung führen. Und wie sehr das gerechtfertigt ist, diesen Plan B haben zu wollen, wie gesagt, merken wir an all den Krisen, die wir uns immer über drängendere Veränderungsnotwendigkeiten klarmachen.
Ehring: Es gibt immer mehr Bioprodukte. Das Biosiegel ist erfolgreich. Wird Bio durch die Massenproduktion verwässert?
Löwenstein: Es ist sehr witzig. Ich werde das ganz oft gefragt, ob es mich nicht beunruhigt, dass Bio einen so großen Erfolg hat. – Nein, nein! Wir brauchen einen großen Erfolg. Am Ende des Tages werden wir alles ökologisch produzieren müssen, denn das, was wir heute konventionell machen, das hält der Planet nicht mehr aus, und zwar weder bei uns, noch sonst irgendwo auf der Welt.
Natürlich werden wir immer wieder die Herausforderung haben, Bio weiterzuentwickeln, Fehlentwicklungen zu erkennen und umzudrehen. All diese Sachen werden uns ja nie verlassen. Aber dass wir uns Sorgen machen müssten, dass wir in die Breite gehen – nein, ganz sicher nicht. Das Gegenteil ist der Fall.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.