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20. Jahrestag der Rückgabe an China
Hongkongs ungewisse Zukunft

Vor 20 Jahren wurde Hongkong von Großbritannien an China übergeben, mit vielen Freiheiten und Sonderrechten. Aber das Verhältnis mit Peking ist bis heute angespannt, denn die Zentralregierung übt immer mehr politischen Einfluss aus. Gegen den Willen vieler Menschen in Hongkong.

Von Steffen Wurzel | 30.06.2017
    Proetstierende für und gegen die Zentralregierung in Peking protestieren in Hongkong im Vorfeld zu den Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Rückgabe an China.
    Im Rahmen der Feierlichkeiten am 1. Juli 2017 werden vermehrt Proteste erwartet (AFP / Aron Tam)
    Ein lauer Mittwoch-Abend im Zentrum Hongkongs. Jeden Mittwochabend treffen sich bis zu 55.000 Menschen auf der riesigen Pferderennbahn namens "Happy Valley". Bewohner Hongkongs, Geschäftsreisende und Touristen, eine bunte Mischung. Die Rennbahn liegt Mitten im Herzen der Siebeneinhalb-Millionen-Metropole. Die ohnehin schon riesigen Tribünen sind umringt von noch größeren Wolkenkratzern. Ein faszinierendes Schauspiel.
    Das Pferderennen im Happy Valley gehört zu den sichtbarsten Überbleibseln der britischen Kolonialzeit. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird hier gewettet, Bier getrunken – und es geht natürlich um sehen und gesehen werden.
    Vieles erinnert an das koloniale Erbe
    Die beiden Londoner Studentinnen Jenny und Charlotte gehören zu den vielen Briten, die an diesem Abend auf der Pferderennbahn sind. Und die beiden fühlen sich hier fast ein bisschen wie zu Hause.
    "For example I don’t really feel like I’m out of Britain being on this racecourse."
    Nicht nur die Pferderennbahn erinnert 20 Jahre nach der Übergabe Hongkongs an die Volksrepublik China an das koloniale Erbe der Stadt: der Linksverkehr, die klobigen, dreipoligen Stromstecker, die doppelstöckigen Busse – viele Dinge des täglichen Lebens sind mehr britisch als chinesisch. Den größten Einfluss auf das Leben der Hongkonger haben allerdings die immateriellen Erbschaften: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit zum Beispiel.
    Eine für Hongkong typische Szene, die nur wenige Kilometer entfernt, in Festlandchina, undenkbar wäre: Demonstranten haben sich vor dem zentralen Polizeigebäude Hongkongs versammelt. In Sprechchören rufen sie zur Solidarität mit mehreren Anführern der Demokratiebewegung auf. Diese Anführer sind von der Polizei vorgeladen und vorläufig festgenommen worden – wegen ihrer Beteiligung an den pro-demokratischen, sogenannten Regenschirm-Protesten vor knapp drei Jahren. Damals gingen in Hongkong Zehntausende für mehr Demokratie auf die Straßen.
    Die Demonstranten haben in Erinnerung an die Proteste von 2014 aufgespannte Regenschirme mit dabei, als sie gegen die Einflussnahme Pekings auf die Straße gehen.
    Tausende Menschen demonstrieren in Hongkong gegen die Einflussnahme der Regierung in Peking. (AFP / Anthony Wallace )
    Heute sind nur etwas mehr als 50 Demonstranten vor das Polizeigebäude gezogen, um gegen die Ermittlungen gegen die Regenschirm-Aktivisten von damals zu protestieren. Einer der Demonstranten ist der 39-jährige Eddie Chu. Er ist einer der führenden politischen Aktivisten Hongkongs und sitzt für das pro-demokratische Lager im Parlament der chinesischen Sonderverwaltungszone.
    "Die Energie, der Mobilisierungsgrad haben stark abgenommen seit den Regenschirmprotesten. Ich hoffe aber, dass die Menschen bald wieder auf die Straßen gehen. Am 1. Juli zum Beispiel."
    Proteste zum Nationalfeiertag erwartet
    Der 1. Juli ist der Nationalfeiertag Hongkongs – seit der Übergabe der Stadt an China am 1. Juli 1997. Gleichzeitig hat sich der Tag in den vergangenen Jahren auch zum wichtigsten Protesttag des Peking-kritischen Lagers in Hongkong entwickelt. Auch dieses Jahr, zum 20. Jahrestag des sogenannten Handovers, wird es neben einer offiziellen Jubelveranstaltung der Pro-Pekinger-Stadtregierung auch wieder Proteste geben.

    Nur wenige Kilometer entfernt, im Westen von Hong Kong Island, befindet sich das Büro von Anson Chan. Die 77-Jährige war während der Zeit der Übergabe der Stadt an China die Nummer zwei der Hongkonger Regierung: Zuerst als Verwaltungschefin für den letzten britischen Gouverneur Chris Patten, danach für den ersten chinesischen Regierungschef der Sonderverwaltungszone, Tung Chee-hwa.
    "Ich bin damals herumgereist und habe unseren Handelspartnern auf der ganzen Welt die Vorzüge der Übergabe-Vereinbarung und unseres neuen Grundgesetzes erklärt. Ich habe damals allen versichert: Alles wird gut. Nach dem Handover wird sich außer einer neuen Flagge und einem neuen Regierungschef nichts ändern."
    Sowohl Großbritannien als auch China hätten damals nur gute Absichten gehabt, versichert Anson Chan. Aber es habe sich seitdem viel getan.
    "Das China, das damals über die Übergabevereinbarung verhandelt hat, ist ein komplett anderes China als heute. Das Land ist heute die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, der wirtschaftliche Einfluss Chinas wächst. Und um der Geschäfte willen vermittelt der Rest der Welt der chinesischen Führung den Eindruck, dass sich diese fast alles herausnehmen darf und sich benehmen kann, wie sie will."
    Hongkong bereitet sich auf die Feierlichkeiten vor. Seit 20 Jahren ist es Sonderverwaltungszone, gehört aber zur Volksrepublik China.
    Hongkong bereitet sich auf die Feierlichkeiten vor. Seit 20 Jahren ist es Sonderverwaltungszone, gehört aber zur Volksrepublik China. (Deutschlandradio / Steffen Wurzel)
    Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" nur noch auf dem Papier?
    Anson Chan ist seit einigen Jahren eine der lautesten Kritikerinnen der Pekinger Zentralregierung. Ihr Hauptkritikpunkt: Vom eigentlich vereinbarten Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" sei nicht mehr viel übrig. Die Regierung in Peking mische sich immer dreister in die Belange Hongkongs ein – trotz der garantierten Autonomierechte der Stadt. Dieser Auffassung ist auch Nathan Law.

    Nach der Übergabe der Stadt an China habe es eine Phase gegeben, in der Hongkong tatsächlich frei gewesen sei von jeglicher Einmischung durch Festlandchina – eben wie im Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" verankert und versprochen, sagt Nathan Law. Der Studentenaktivist und Mitanführer der Regenschirmproteste von vor drei Jahren sitzt inzwischen im Parlament, als Abgeordneter der erst vor einem Jahr gegründeten Partei "Demosisto". Mit knapp 24 Jahren ist er das jüngste Mitglied des Hongkonger Parlaments.
    "Seit 2003 verfolgt Peking eine andere Politik gegenüber Hongkong. Es wurde eine Art zweite Regierungsgewalt aufgebaut, direkt der Pekinger Zentralregierung unterstellt, um direkt und massiv in die Angelegenheiten Hongkongs einzugreifen."
    Tatsächlich ist das vertraglich vereinbarte Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" inzwischen in vielen Bereichen aufgeweicht. Sichtbar wurde das in den vergangenen Jahren zum Beispiel durch das Verschwinden von Peking-kritischen Buchhändlern aus Hongkong. Sie tauchten plötzlich in Festlandchina wieder auf und wurden dort von der Polizei festgehalten. Offiziell hieß es, diese Buchhändler hielten sich freiwillig in Festlandchina auf. De facto aber wurden die Männer über die Grenze hinweg verschleppt.
    Anson Chan war in der Zeit der Übergabe der Stadt an China die Nummer zwei der Hongkonger Regierung, heute ist sie eine der lautesten Kritikerinnen der Pekinger Regierung.
    Anson Chan war in der Zeit der Übergabe der Stadt an China die Nummer zwei der Hongkonger Regierung, heute ist sie eine der lautesten Kritikerinnen der Pekinger Regierung. (AFP / Andrew Ross)

    Ganz ähnlich der Fall des chinesischen Milliardärs Xiao Jianhua, der Ende Januar ebenfalls aus Hongkong verschwand, um chinesischen Ermittlern "freiwillig", wie es heißt, bei Ermittlungen gegen ihn zu helfen. Spätestens seit diesem Fall ist allen in Hongkong klar: Die im Grundgesetz der Stadt verankerte Unabhängigkeit der Sicherheitsbehörden in der Sonderverwaltungszone gibt es nicht mehr.
    Man sieht eine Menschenmenge in Hongkong, die für Aufklärung über fünf vermisste Buchhändler demonstriert.
    In Hongkong demonstrieren tausende Menschen für Aufklärung über fünf vermisste Buchhändler. (picture-alliance / dpa / Jerome Favre)
    Forderung nach freien und allgemeinen Wahlen
    Eine der Hauptforderungen des Peking-kritischen Lagers in Hongkong sind allgemeine und freie Wahlen. Nach wie vor gilt in der chinesischen Sonderverwaltungszone das halb-demokratische System, das die Briten vor Ende der Kolonialzeit eingeführt haben. Im Parlament wird nur ein Teil der Abgeordneten frei gewählt. Den Regierungschef beziehungsweise die Regierungschefin bestimmt ein Wahlleute-Gremium, das sich aus 1.200 überwiegend Peking-treuen Mitgliedern zusammensetzt.
    Ende März hatte dieses Gremium die 60-jährige Politikerin zur neuen Regierungschefin bestimmt.
    Die Bevölkerung erwarte von der neuen Regierungschefin, freie Wahlen auf die politische Tagesordnung zu setzen, sagt Anson Chan. Echte Demokratie sei nötig. Nur das könne dafür sorgen, dass die Hongkonger Regierungschefin langfristig von der Bevölkerung anerkannt werde.
    "Ohne diese Anerkennung wird die Regierung immer wieder Probleme haben, ihre politischen Pläne umzusetzen."
    Vor zwei Jahren hatte das Hongkonger Parlament schon einmal versucht, das Grundgesetz der Stadt zu ändern, um das Wahlrecht zu reformieren. Geplant war, die allgemeine und freie Wahl des Regierungschefs, des sogenannten Chief Executive.
    "Da haben sich die Parlamentsparteien nicht einigen können, weil es zu unterschiedliche Vorstellungen gab."
    Peter Hefele ist der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Hongkong.
    "Der Versuch ist leider gescheitert, insbesondere an der Frage, wer denn die Vorauswahl der möglichen Kandidaten vornehmen sollte. Da hatte sich Peking vorbehalten, die möglichen Kandidaten zu bestimmen, und dann gab es aus dem demokratischen Lager hier eben das durchaus berechtigte Argument, dass wir dann kein allgemeines, freies Wahlrecht annehmen dürfen."
    Weil so eine Wahl durch die Vorauswahl der Pekinger Zentralregierung nicht demokratisch wäre. Diese Kritik wird in China zurückgewiesen.
    Die Peking-kritische Opposition habe die Einführung des allgemeinen Wahlrechts 2015 verhindert, sagt He Wen vom Institut für Ostasien-Studien, einem regierungsnahen Think Tank in Shanghai.
    "Ob es künftig freie Wahlen geben wird in Hongkong, liegt einzig und allein an der Opposition. Die muss begreifen, dass Hongkong eine Sonderverwaltungszone Chinas ist und nur auf dieser Grundlage Demokratie eingeführt werden kann. Hongkong kann nicht einfach das demokratische System anderer Staaten einführen, die wirtschaftlich und politisch komplett unabhängig sind."
    Rationale Kompromisse sind gefordert
    Die neue Regierungschefin Carrie Lam tritt am 1. Juli ihr neues Amt an. Peter Hefele von der Konrad-Adenauer-Stiftung hofft, dass sich mit der neuen Chief Executive auch die politischen Fronten der Stadt aufweichen.

    "Es wäre sicherlich im Sinne der Stadt, wenn die eher pro Peking orientierten Kräfte und die demokratischen Kräfte da in vielen Sachthemen zu rationalen Kompromissen kommen könnten. Es gibt eine Fülle von Themen, die dringend angegangen werden müssen: vom sozialen Wohnungsbau über Teile der Infrastruktur. Aber auch im Bildungsbereich gibt es Probleme, die gelöst werden müssten. Die finanziellen Ressourcen sind da. Es fehlt aber an politischem Willen, an Konsens, diese Themen zeitnah und beherzt anzugehen."
    Zeitnah und beherzt – zwei Stichworte, die in Hongkongs Nachbarstadt Shenzhen zu 100 Prozent gelebt werden. Die festlandchinesische Millionenstadt verkörpert das, was die frühere britischen Kolonie Hongkong in den 80er- und 90er-Jahren ausgemacht hat: Innovation, Modernität und Fortschritt. Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und unzensiertes Internet gibt es in Shenzhen zwar nicht, dafür schießen aber täglich neue Start-ups aus dem Boden. Wirtschaftskraft und Unternehmergeist sind quasi mit den Händen greifbar. In Hongkong dagegen, nur wenige Kilometer entfernt, hat man manchmal den Eindruck, dass die Zeit vor 20 Jahren wirtschaftlich stehengeblieben ist.
    Ein Straßen-Imbissladen in der Hongkonger Gough Street. Hier ist es tagsüber immer brechend voll. Gut 50 Kunden schlürfen Tomaten-Nudelsuppen aus Blech-Geschirr, dazu trinken sie den typischen Hongkonger Milchtee oder Zitronen-Limo mit Salz. Wer an den kleinen Tischen auf den noch kleineren Plastikhockern sitzt, spürt, wie kostbar jeder Quadratzentimeter in Hongkong ist. Und das gilt nicht nur für die Gastronomie, sondern erst recht fürs Wohnen. Hongkong ist eine der teuersten Städte der Welt, was Immobilienpreise angeht.
    Carrie Liam freut sich nach ihrem Wahlsieg. 
    Die chinesische Sonderverwaltungsregion Hongkong wird künftig erstmals von einer Frau regiert. (picture-alliance/ dpa / MAXPPP / Kyodo)
    Enorme Lebenshaltungskosten als drängendes Problem
    Vor einigen Tagen führte ein Tiefgaragenparkplatz in einem Hongkonger Geschäftsviertel zu Aufsehen, der für umgerechnet 600.000 Euro verkauft wurde. Schon eine 50-Quadratmeter-Wohnung in einigermaßen ordentlicher Lage ist kaum unter 2.000 Euro Miete pro Monat zu bekommen. Und vor allem junge Berufseinsteiger verdienen nicht unbedingt mehr als solche in Europa. In Hongkong ist deswegen eine ganze Generation junger Menschen enormem Leistungsdruck ausgesetzt.
    15 Räume auf 32 Quadratmetern - Wohnen in Hongkong.
    Wohnen in Hongkong ist teuer und trotzdem mehr als beengt. (Deutschlandradio / Tobias Nagorny)
    Die Lebenshaltungskosten müssten runter, nur so schaffe man neue Hoffnung unter den jungen Leuten, so fasst Andy Xie eines der drängendsten Probleme Hongkongs zusammen. Der unabhängige Wirtschaftsanalyst und Kolumnist ist berühmt-berüchtigt in der Stadt, weil er sich regelmäßig mit allen Seiten anlegt.
    "Die Gehälter werden nicht viel weiter steigen. Also muss die Lage auf dem Wohnungsmarkt normalisiert werden. Das bedeutet wiederum, dass das Monopol der Immobilien-Spekulanten und Baukonzerne gebrochen werden muss. Die sind wie eine Mafia! Das muss beendet werden!”
    Andy Xie ist nicht der Einzige, der in den horrenden Immobilienpreisen das drängendste Problem Hongkongs sieht. Dazu kommen Missstände im Gesundheits- und Erziehungswesen. Sowohl das Gesundheitssystem als auch die Privatschulen gelten zwar als international führend – aber es profitieren nur die, die es sich leisten können. Peter Hefele sieht die Hongkonger Regierung in der Pflicht:
    "Die Überschüsse im Budget sind seit Jahren vorhanden. Es gibt genügend Spielraum für öffentliche Investitionen. Was fehlt teilweise ist der politische Konsens, wo das Geld eingesetzt werden könnte. Das bekannteste Beispiel ist der soziale Wohnungsbau, da fehlen Hunderttausende Wohnungen im Moment. Die Wohnverhältnisse sind nun in Hongkong für die einfache Bevölkerung alles andere als angenehm. Da müsste dringend etwas investiert werden – und das ist etwas, was ganz oben auf der politischen Agenda stehen sollte."

    Und tatsächlich: Die künftige Regierungschefin Carrie Lam versprach unmittelbar nach ihrer Benennung durch das Wahlleute-Gremium im März: Die Probleme im Bereich Wohnen, Erziehung und Gesundheit sollen angepackt werden:
    "Ich habe mir vorgenommen: Lasst uns zuerst gemeinsam die einfachen Dinge anpacken, um so zu beweisen, dass wir die verschiedenen Standpunkte und Meinungen zusammenbringen können. Und dann gehen wir weiter voran."
    Fußgänger auf einem Straßenmarkt in Hongkong
    Der tägliche Überlebenskampf ist für viele Hongkong-Chinesen in Anbetracht der hohen Lebenshaltungskosten nicht einfach. (AFP / Anthony Walace)
    Zweifel an Versprechungen der künftigen Regierungschefin
    Viele in Honkong sind skeptisch, was die Versprechungen der künftigen Chief Executive angeht, vor allem im Lager der pro-demokratischen Opposition. Auch der Wirtschaftsanalyst Andy Xie vermutet, Carrie Lam werde wohl genauso so weiter wurschteln wie ihr Vorgänger, der bei der Bevölkerung außergewöhnlich unbeliebte CY Leung. Mutige, drastische Reformen traut er der neuen Regierungschefin nicht zu.
    "Carrie Lam is in a similar mode. I don’t think she will think out of the box and do anything drastic.” Junge Menschen stehen besonders unter Druck
    Andy Xie rechnet mit neuen Protesten junger Leute, vielleicht auch mit neuen Blockade-Aktionen wie vor drei Jahren, als Demonstranten unter dem Motto "Occupy Central" wochenlang Straßen und Plätze im zentralen Hongkonger Finanzdistrikt lahmgelegt haben.
    "Wenn sie sich auf die Straße setzen wollen, dann lasst sie doch! Irgendwann werden sie müde und gehen nach Hause. Das scheint mir die Strategie der Regierung zu sein. Das ist traurig, weil so eine ganze Generation erledigt wird. Sie wird ohne Hoffnung groß werden!”
    Auf den Schultern der neuen Chief Executive lastet auch die alles dominierende Frage, wie unabhängig die Hongkonger Regierung überhaupt arbeiten kann. Nach dem Grundgesetz der Sonderverwaltungszone ist die Antwort klar: Die Stadt genießt weitreichende Autonomie. Außer in Fragen der Außenpolitik und der Landesverteidigung kann sie also eigentlich selbst entscheiden. Doch so einfach, sagt Peter Hefele von der Adenauer-Stiftung, sei es nicht für die Regierungschefin:
    "Diese Funktion bietet die Möglichkeit, durchaus Interessen Hongkongs zu vertreten. Nur sind die Loyalitäten klar vorgegeben, auch gegenüber Peking. Aber sie hat natürlich die Chance, die sehr zerspaltene Gesellschaft Hongkongs vielleicht wieder etwas zu einen. Das ist etwas, was in den letzten Jahren nicht besonders gut gelungen ist. Da wird auch ihr politisches Kapital eingesetzt werden müssen."
    Radikale Loslösung von China gefordert
    Eine kleine Gruppe vor allem junger Menschen in Hongkong hat überhaupt kein Interesse an Kompromissen. Sie fordert stattdessen einen radikaleren Schritt: die komplette Loslösung von China und die Ausrufung eines eigenen Staates nach dem Vorbild Singapurs. Eine der schrillsten Verteter dieser Gruppe ist Yau Wai-ching.
    "I, Yau Wai-Ching, do solemnly swear that I will be faithful and pledge allegiance to the Hong Kong nation.”

    Die 26-Jährige wurde vergangenes Jahr ins Parlament gewählt und demonstrierte bereits bei ihrer Vereidigung, was sie vom derzeitigen Status der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong hält.
    "Of the Hong Kong special administrative region of the People’s re-fucking of Cheena. I will uphold the Basic law of the Hong Kong special administrative region of the People’s re-fucking of Cheena …”
    Die Mitglieder des Legislativrates in Hongkong, Xiu Chung-Yim, Sixtus Leung und Yau Wai-ching protestieren am 12.10.2016 für die Unabhängigkeit Hongkongs von China.
    Drei neu gewählte Politiker fordern bei ihrer Vereidigung vor dem Legislativrat in Hongkong die Unabhängigkeit der Stadt von China. (.AFP PHOTO / ANTHONY WALLACE)
    "Hong Kong is not China"
    Yau Wai-Ching wurde nach dieser Provokation aus dem Hongkonger Parlament ausgeschlossen, ebenso wie ein weiterer Abgeordneter, der bei seiner Vereidigung ein Transparent mit der Aufschrift "Hong Kong is not China" enthüllte. Solche Rufe nach Unabhängigkeit haben keine Chance, betont die 77-jährige Anson Chan, die ehemalige Nummer zwei der Hongkonger Regierung. Aber sie verstehe diejenigen, die diese Forderungen erheben.
    "Nicht viele Stimmen rufen nach Unabhängigkeit. Man muss sich aber klar machen, warum es überhaupt solche Stimmen gibt. Schuld ist die andauernde Frustration darüber, dass ständig das Prinzip 'Ein Land, zwei Systeme' und unsere Grundrechte verletzt werden."
    Die Pro-Pekinger-Regierung wird am 1. Juli versuchen, alle kritischen Stimmen in der Stadt und auch alle Protestaktionen zu übertönen: mit einer 70 Millionen Euro teuren Feier soll der 20. Jahrestag des Endes der britischen Kolonialherrschaft begangen werden, inklusive Feuerwerk und festlicher Gala.
    Ab dann sind es noch genau 30 Jahre, bis Hongkong komplett an China übergeht und seinen Status als Sonderverwaltungszone verliert. Am 1. Juli 2047 wird es soweit sein. Der pro-demokratische Parlamentsabgeordnete Nathan Law befürchtet allerdings, dass das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" bereits in den nächsten Jahren komplett aufgeweicht wird – bis hin zu "Ein Land, ein System".