Dienstag, 19. März 2024

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200. Todestag von Napoleon Bonaparte
Blutrausch und Aufklärung

Vor 200 Jahren, am 5. Mai 1821 starb Napoleon. Er war Machtmensch, Eroberer und Reformer zugleich, wurde bewundert und gehasst. Auch in den deutschen Gebieten veranlasste der Franzose zahlreiche Reformen, die bis heute sichtbar sind - von Verwaltungsstrukturen bis hin zum Steuerrecht.

Von Ingeborg Breuer | 29.04.2021
Der Tod Napoleons - Illustration nach dem Gemälde von Charles de Steuben aus dem Jahr 1821
Napoleon starb im Alter von 51 Jahren in seiner zweiten Verbannung auf der Insel St. Helena (imago/Jean Vigne/KHARBINE-TAPABOR)
"Für Hegel ist Napoleon wirklich die Weltseele. Also der Weltgeist zu Pferde, wie er dann sagt, der dem Prinzip der Vernunft zum Durchbruch verhilft."
Für Hegel, den großen deutschen Philosophen, galt Napoleon als Vorkämpfer der Freiheit, erläutert Ute Planert, Professorin für Geschichte an der Uni Köln. Der Schriftsteller Heinrich von Kleist dagegen sah in Napoleon "den Anfang alles Bösen …". Und wieder andere schwankten in ihrem Urteil: Zunächst widmete Ludwig van Beethoven seine 1802/1803 komponierte "Eroica"-Sinfonie "Bonaparte". Und dann radierte er den Namen zornig aus, weil er schwer enttäuscht war. Warum?
"Spätestens bei der Kaiserkrönung sagt er, das ist doch auch nur ein gewöhnlicher Mensch, der nach der Macht strebt und Prinzipien wie Freiheit und Gleichheit verrät."

Die zwei Seiten des französischen Kaisers

"Napoleon steht zwischen so etwas wie der Vormoderne, dem Ancien Régime, dem Umbruch der Revolution und Umbrüchen, die auch zur Vorgeschichte unserer eigenen Gegenwart gehören."
Für den Freiburger Historiker Prof. Jörn Leonhard markiert Napoleon einen Wendepunkt der europäischen Geschichte: aus Untertanen wurden freie und vor dem Gesetz gleiche Bürger. Er galt als Überbringer des Neuen. Aber ebenso auch als machtversessener Eroberer, der große Teile Europas beherrschte. Auch Teile des deutschsprachigen Raums. Dort ordnete er weitgehende Gebiets- und Rechtsreformen an. Und mit der Gründung des "Rheinbundes", in dem sich zunächst 16 deutsche Fürsten militärisch mit Frankreich verbünden, endete nach annähernd 850 Jahren das Heilige Römische Reich deutscher Nation. In den von Frankreich abhängigen Gebieten führte Napoleon den Code Civil ein, das modernste Zivilrecht der damaligen Zeit:
"Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz, die Aufhebung der Zunftbeschränkung, die Gewerbefreiheit, das Ende der feudalen Abhängigkeit, das Ende der bäuerlichen Untertänigkeit. Das sind alles Dinge, die lange schon gefordert worden sind und die dann in der Napoleonischen Zeit durchgesetzt werden."
Zeitgenössiche Karikatur: Napoleon bei der Schlacht von Waterloo 1815, hinter ihm sitzt ein Gerippe mit Sense mit auf dem Pferd
"Großer Feldherr" oder skrupelloser Massenmörder? Die napoleonischen Kriege kosteten geschätzt 3,5 Millionen Menschen das Leben. (imago / Jean Vigne / Kharbine Tapabor)

Preußen modernisiert sich notgedrungen

Auch Preußen sah sich nach der verheerenden Niederlage gegen Napoleons Truppen in der Schlacht bei Jena und Auerstedt zu grundlegenden Modernisierungen in Verwaltung, Militär, Gesellschaft und Bildung veranlasst. Insofern galt Napoleon für viele als Reformer, mit dem endlich Ziele erreicht wurden, um die schon seit der Aufklärung gerungen wurde. Aber, so Jörn Leonhard:
"Für Napoleon wird irgendwann der militärische Erfolg die eigentliche Legitimationsgrundlage seiner Herrschaft. Dass Napoleon einen massiven Expansionskurs betreibt, provoziert unmittelbar Widerstandsgruppen."
Die vielerorts vorhandenen Sympathien für den Kaiser der Franzosen kippten mit dessen ungezügelter Eroberungslust, erläutert Ute Planert, deren Buch "Napoleons Welt. Ein Zeitalter in Bildern" Ende März erschien.
"Man merkt, dass mit Napoleon kein Frieden zu haben ist. Die Kriegsbelastungen werden immer stärker, die Steuern und die Abgaben steigen. Immer mehr junge Männer werden von der Wehrpflicht erfasst. Die Kontinentalsperre gegen Britannien, also die kommt, weil man Großbritannien als den Hauptgegner nicht durch militärische Maßnahmen besiegen kann. Das führt aber nur dazu, dass sozusagen in ganz Europa die Wirtschaft zum Erliegen kommt. Damit macht sich Napoleon nicht beliebt."

Unzählige Kriegstote lassen die Stimmung umschlagen

1812 beginnt Napoleon seinen Feldzug gegen Russland. In der größten Armee, die Europa je gesehen hat, dienen viele Soldaten aus den Rheinbundstaaten, weil deren Fürsten sich verpflichtet hatten, Napoleon Soldaten zu stellen. Hinzu kommen preußische und österreichische Kontingente. Der Krieg wird zum Desaster für den französischen Kaiser. Nur wenige Soldaten kommen aus Russland zurück.
"Als dann eine ganze Generation junger Männer aus dem Russlandfeldzug nicht nach Hause kommt, spätestens dann ist die Stimmung total gekippt."
Zunehmend kommt es zum Widerstand gegen Napoleon. Schon seit dem späten 18. Jahrhundert hatte sich unter den geistigen Eliten ein deutsches Nationalgefühl entwickelt. Dies verstärkte sich unter der napoleonischen Fremdherrschaft. Und es paarte sich mit einem Hass auf die Franzosen, wie er von den Schriftstellern Heinrich von Kleist und Ernst Moritz Arndt, dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte oder dem Turnvater Jahn artikuliert wurde.
Karikatur zur Abdankung und ersten Verbannung Napoleons auf die Insel Elba - Napoleons Rückkehr und die "Herrschaft der hundert Tage" kostete noch einmal unzählige Menschenleben
Von den einen bewundert, von den anderen abgrundtief gehasst - auch die historische Bewertung Napoleons fällt inzwischen recht kritisch aus. (imago/WHA/UnitedArchives)

Unterschiede im deutschen und französischen Nationalgefühl

Der Historiker Heinrich August Winkler machte in einem Interview mit dem ZDF einmal deutlich, welche Eigenart dieses deutsche Nationalgefühl im Gegensatz zum französischen hatte:
"Frankreich bezieht sich stark auf politische und Willensentscheidungen. Man ist Franzose, weil man die Idee der französischen Revolution gut bejaht, nicht weil man Französisch spricht. In Deutschland kann man sich, weil es einen deutschen Staat nicht gibt, nicht auf politische Fakten berufen, sondern nur auf die Sprache, die Kultur, bestimmte Traditionen."
Allerdings weist Ute Planert darauf hin, dass dieser Nationalismus vor allem von einer schmalen Schicht von Gebildeten getragen wurde. Die einfachen Schichten dagegen identifizierten sich damals eher mit ihrer Konfession und Region:
"In Nichtkriegszeiten würde das Bäuerlein von der Schwäbischen Alb, er ist evangelisch und vielleicht Württemberger Untertan, der würde sich eher so was als Hauptidentität aussuchen. Und nicht: er ist jetzt Deutscher, der jetzt gegen die Franzosen ist; hat er ja gar keinen Anlass zu."

Napoleons Erbe bleibt bis heute sichtbar

1813 schließt Preußen eine Allianz mit Russland und erklärt Frankreich den Krieg. Später schlossen sich auch Österreich und Schweden dem Kampf gegen Napoleon an. Im Oktober 1813 wurde der Imperator in der Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen. Er musste sich über den Rhein zurückziehen. Damit endete die französische Herrschaft über große Teile Deutschlands. Doch in der napoleonischen Zeit wurde vieles durchgesetzt, das uns noch heute begleitet:
"Also die Gesellschaft der Staatsbürger, die Rechtsgleichheit, die Gleichheit vor dem Gesetz blieb, die Gewerbefreiheit, die Auflösung der kirchlichen Territorien, die Trennung von Staat und Kirche, die Modernisierung der Staatsverwaltung und auch die Einführung des Steuerstaates. Aber auch der Zuschnitt vieler Bundesländer. Dass Bayern heute fast bis Frankfurt reicht, ist ein Relikt der damaligen Zeit. Man darf ja auch nicht vergessen, der Code Napoleon ist tatsächlich linksrheinisch - das gehörte ja zu Frankreich - bis 1900 gültig. Da gibt es viel Spuren bis in die Gegenwart."