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35 Jahre Die Goldenen Zitronen
Politik im Pop-Kostüm

Seit 35 Jahren erfindet sich die Hamburger Punk-Band Die Goldenen Zitronen immer wieder neu. Ihr Markenzeichen: gesellschaftskritische Songs wie „Das bisschen Totschlag“, „Der Investor“ oder „Börsen Crashen“. Das neue Album heißt „More Than a Feeling“ - auch hier geht es um mehr als Gefühlsduseleien.

Von Andi Hörmann | 02.02.2019
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    Der Pop-Zirkus um Clowns in der Politik will natürlich auch vermarktet werden: Foto-Shooting mit den Goldenen Zitronen (Frank Egel)
    Frank Egel: "Okay, macht was ihr wollt, was gerade so passiert."
    Schorsch Kamerun: "Ich habe Flatter-Kostüm-Ärmel bekommen."
    Ted Gaier: "Ich hatte eher so etwas Japanisches im Sinn, wie das hier sich so anschmiegt. Man kann das auch in der Tradition von einem mitteleuropäischen Gehrock sehen."
    Mense Reents: "Ich bin ja irgendwie der glamouröse Blaumann-Lackierer. Ein Blaumann in Schwarz, der stilisiert ist mit Gold und Flatter-Kram."
    Schorsch Kamerun: "Dann habe ich hier für den Wanst so eine Kordel. Das liegt dann einfach besser auf."
    Thomas Wenzel: "Das vielleicht Bemerkenswerteste sind vielleicht diese Tücher, die diese folkloristischen, stark wirkenden Bilder drauf haben. So ein bisschen orientalisch wirkt das vielleicht."
    Gewänder als Bestandteil der musikalischen Gegenwehr
    Seidenhaft glänzen die Stoffe, verschnörkelt schimmern die bedruckten Arabesken: Farbenprächtige Kostüme haben sie sich übergeworfen, die betagten Herren der seit 35 Jahren unbequem diskursiven Punk-Band Die Goldenen Zitronen - auch auf ihrem neuen Album "More Than A Feeling" schillert das Aufbegehren, wie in dem Stück "Mauern bauen (testweise)":
    "Was meinen sie mit Volk? / Was meinen sie? / Meinen sie damit, dass meine Nase nicht okay ist?"
    In Bausch und Bogen, gegen Trump und AfD, gegen Konservatismus, für Vielfalt: Die Goldenen Zitronen sind und bleiben eine meinungsstarke Band. Und es passt wie die Faust aufs Auge. Die Gewänder zur musikalischen Gegenwehr als Performance einer splitternden Ästhetik:
    "Unkontrollierbarer Stress in starken Rückzugsbewegungen / Sehe ich Aneignung von Macht, die Sicherheit bieten soll."
    Schorsch Kamerun: "Es geht natürlich um neue Mauern, um Grenzen, Ausgrenzung und so weiter, und das Volk, das sich wieder erhebt, und glaubt, so einen Anspruch zu haben auf 'Wir sind das Volk'. Was ist damit aber eigentlich gemeint? Und da, in der Mitte, ist dann irgendwo wieder der Flatter-Vogel, der das präsentiert - in seiner Hühnerhaftigkeit."
    Enthüllung der Politik im Pop-Kostüm
    "Das war unsere BRD / Die frivole BRD."
    Bowie-esker Glam-Punk von fünf Desillusionisten. Die Enthüllung der Politik im Pop-Kostüm. Nicht nur bei den Musikern, auch in der Musik. Die Goldenen Zitronen machen aus durch die Medien geisternden Parolen Pop und pfeffern ihn mit Musik zur Zeit. Das schmeckt sicher nicht jedem. Soll es auch nicht. Die Wut der Bürger: Schorsch Kamerun mimt sie als comichaft bellenden Hund. Und Ted Gaier textet auf dem neuen Album der Goldenen Zitronen einen grummelnden G20-Abgesang:
    "Es gab ein Geraune und ein Aufstöhnen in der Stadt / Gleich nach der Bekanntgabe der tollen Idee / Auf beiderlei Seiten der Barrikade / Wer vom Fach war, wusste was passieren würde / Nur der Bürgermeister, er schien wirklich zu glauben, was er sagte."
    Der Pop-Zirkus um Clowns in der Politik will natürlich auch vermarktet werden: Foto-Shooting mit den Goldenen Zitronen bei der Plattenfirma Buback - mitten in Hamburg, unweit der Kirche Sankt Michaelis. Ein winterkalter Nachmittag. Am Auslöser: Frank Egel.
    Frank Egel: "Ich bin People-Fotograf und habe auch schon vor fünf Jahren die Goldenen Zitronen fotografiert, kenne die Jungs auch aus St. Pauli."
    Andi Hörmann: "Wie ist es denn, die Zitronen zu fotografieren?"
    Frank Egel: "Das bringt Spaß. Die lassen sich immer wieder zwischendurch was einfallen und sind Top-Modelle."
    Alte Hasen im subversiven Punk-Zirkus
    Das Setting: Der Hinterhof der Plattenfirma, vor einer tristen Wohnfassade mit genormten Balkonen im 90er-Jahre-Stil. Ein kleiner Grünfleck mit Bäumen und Gestrüpp umrandet von einem Mauervorsprung. Hat was von einer Konzertbühne in einem trostlosen, urbanen Ambiente. Frontmann Schorsch Kamerun greift nach einer Handvoll Laub und lässt es Schamanen-haft durch seine Finger rieseln.
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    35 Jahre alt und kein bisschen leise: Die Goldenen Zitronen (Frank Egel)
    Neues Studioalbum, neue Pressebilder für die alten Hasen im subversiven Punk-Zirkus. 35 Jahre Bandgeschichte. Die Goldenen Zitronen sind nimmermüde im Aufbegehren gegen Widrigkeiten und Manipulationen. Schlagzeuger Stephan Rath steht im Bild harlekinhaft links außen: spitze, rote Lackschuhe, schwarze Leggins und eine kunterbunte Tunika übergeworfen.
    Stephan Rath: "Leicht Paradiesvogel, aber es ist auch so patchworkig und natürlich so aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt. Ich finde es von den Farben her sehr schön. Genau: Ich sehe aus wie ein kleiner Schmetterling."
    "What? / Du siehst aus wie Katakombe / Who? / Dein Look ist nicht gerade Bombe / Why? / Dafür trägst Du einen Fetisch / Me? / Dein Gelaber: mega episch."
    Was, wer, warum, ich? Um was geht es überhaupt? Um Politik, klar - aber von ganz unten. Die politische Peitsche als Popmusik, das Zuckerbrot interessiert die Goldenen Zitronen nicht: Flüchtlingspolitik, Prekariat, G20-Proteste. Alles drin! Inklusive: Parolen für Millionen.
    "Besser tanz' ich als G20 / Partizipieren werden die nie kapieren."
    Pop-Inkarnation eines flatterhaften Politikers
    Beim Foto-Shooting steht Schorsch Kamerun in seinem Flatter-Vogel-Kostüm in Messias-Pose in der Mitte der Band. Haltung zeigen, auch fröstelnd an diesem winterkalten Nachmittag in Hamburg - die Arme ausgebreitet.
    Schorsch Kamerun: "Also, dass man die Oberfläche verbreitert, das kommt ja aus der Tierwelt: Immer schön die Oberfläche verbreitern, dann wirkst du irgendwie mächtiger."
    Und dann flüstert Schorsch Kamerun in seinem Flatter-Vogel-Kostüm noch ins Mikrofon wie die Pop-Inkarnation eines flatterhaften Politikers. Das Ego im Spiegel von Pop und Politik.
    Schorsch Kamerun: "Ich habe natürlich schlauerweise das Kostüm ausgesucht, wo man seine Oberfläche am allergrößten verbreitert: Damit ich am besten vorkomme auf der Bühne! Logisch."