Archiv

500. Todestag des Humanisten Sebastian Brant
Der erste Top-Seller der deutschen Literatur

Auf Grundlage antiker Weisheiten hielt der Straßburger Jurist Sebastian Brant mit seinem 1494 erschienenen Buch "Das Narrenschiff" seinen Zeitgenossen den Spiegel vor. Der Ideengeber des Humanismus starb am 10. Mai 1521. Sein Buch führte noch 300 Jahre später die Beststeller-Listen an.

Von Christian Linder |
    "Ich bin gelaufen fern und weit, / Das Fläschlein war nie leer die Zeit; / Dies Brieflein, Narren, ist euch geweiht …"
    Diese gleich zu Anfang mitgeteilte "närrische Botschaft" nahmen die Leser gerne an, und kurz darauf war das 1494 in Basel erschienene Buch "Das Narrenschiff" zum Volksbuch geworden und der Name des Autors in aller Munde: Sebastian Brant. Geboren 1457, nach einer anderen Quelle 1458, war er 1475 eigentlich zum Jura-Studium nach Basel gekommen und hatte es sogar zum Professor und Dekan der juristischen Fakultät gebracht. Seine besondere Leidenschaft galt allerdings der schönen Literatur, und in der Nachfolge von Horaz und Juvenal machte er sich daran, seinen Zeitgenossen einen poetischen Spiegel vorzuhalten:
    "Vom Eigensinn: Wer will auf eignen Sinn ausfliegen / Und Vogelnester sucht zu kriegen, / Der wird oft auf der Erde liegen …"

    Das Leben als eine Reise nach "Narragonien"

    Nach der schon in der Antike beliebten Idee, dass das Leben einer Seefahrt mit unbekanntem Ziel gleicht, verfrachtete Sebastian Brant seine als Narren erkannten Zeitgenossen in ein "Narrenschiff" und ließ es in das auf keiner Karte verzeichnete Land "Narragonien" in See stechen.
    Dass die lustigen, singenden Narren unterwegs aufgrund eines unsittlichen Lebenswandels von einem strafenden Gott lebendig ins Meer geworfen werden könnten, haben schon zu Ende des Mittelalters die wenigsten Leser noch geglaubt. Außerdem beantwortete Brant die alte Frage, wie man denn leben solle, auf satirisch-freundliche Weise:
    Von Habsucht: Wer setzt die Lust in zeitlich Gut, / Sucht darin Freud und guten Mut, / Der ist ein Narr mit Fleisch und Blut.
    Die Weisheiten, die das Buch in 112 Gedichten zu den großen und kleinen menschlichen Fehlern, Irrtümern und Lastern ausbreitete, orientierten sich oft an Einsichten der griechischen und lateinischen Klassiker. Auch an biblische Sprüche zum Beispiel Salomons erinnerte Brant gern:
    Hieronymus Bosch "Das Narrenschiff" Um 1450 - 1516. Öl auf Holz, 57,8 x 32,5 cm. Paris, Musee du Louvre.
    Das "Narrenschiff" von Sebastian Brants Zeitgenossen Hieronymus Bosch (picture-alliance / akg-images)
    Wer hier nicht hält Gerechtigkeit, / Dem droht sie dort mit Härtigkeit: / Denn weder Weisheit, Einsicht, Rat, / Noch Macht vor Gott Bestehen hat.

    Brant lieferte Grundideen humanistischer Philosophie

    Auch deshalb hielt der Autor für eine der größten Narreteien, dem Tod ein Schnippchen schlagen zu wollen. Als heimliche Botschaft gab das Buch die Empfehlung, angesichts der Tatsache des Todes zu versuchen, bewusst in der Gegenwart zu leben und jeden Tag so gut zu gestalten, dass das, was man heute gemacht, wahrgenommen und von sich den anderen gegeben hat, gut genug war für und an diesem Tag. Solche Lebensregel, später eine der Grundideen der von Sebastian Brant mitbeeinflussten philosophischen Schule des Humanismus, gipfelte in der Warnung, was einen ansonsten erwarten könnte:
    Den kommt der Tod am härtsten an, / Den sonst erkannte jedermann / Und der, an seines Lebens End, / Stirbt, ohne dass er selbst sich kennt.

    Produkt des brandneuen Leitmediums: Buchdruck

    Ein solch kunstvoll gestaltetes Buch wie »Das Narrenschiff« hatten die Leser – auch weil - Johannes Gutenberg den Buchdruck erst gut 50 Jahre zuvor erfunden hatte – vorher noch nie in den Händen gehalten. Über jedes Gedicht hatte der Autor nicht nur ein Motto gesetzt, sondern vorangestellt war auch ein – zumeist vom jungen Albrecht Dürer gefertigter – Holzschnitt.
    Ein altes Bild zeigt Johannes Gutenberg mit Johann Fust vor der ersten Druckerpresse (imago stock&people / Costa Leemage)
    Zum 550. Todestag von Johannes Gutenberg - Erfinder des Buchdrucks und Erschaffer einer neuen Welt
    Bleiguss, Tinte, Papier, Spindelpresse: Als der Buchdruck funktionierte, veränderte er die Welt. Durch die Erfindung von Johannes Gutenberg verbreiteten sich gedruckte Bücher und damit Wissen. Der Vater des Buchdrucks starb vor 550 Jahren in Mainz.
    In London, Paris, Madrid oder Amsterdam fanden Übersetzungen ebenfalls großen Anklang, so dass Brant ein Autor von europäischem Ruhm war, als er 1500 in seine Heimatstadt Straßburg zurückkehrte und als hochangesehener Stadtschreiber im Rang eines Verwaltungschefs amtierte. Daneben bekundete er seinen konservativen Katholizismus in Marien- und Heiligen-Gedichten oder ließ Kommentare zu gesellschaftlichen oder Natur-Ereignissen auf Flugblättern drucken.
    Geblieben ist allein der Ruhm des "Narrenschiffs". Nach Sebastian Brants Tod am 10. Mai 1521 konnte das Buch noch knapp 300 Jahre seinen ersten Rang als Bestseller behaupten, bis Goethe mit seinem 1774 erschienenen "Werther"-Roman diesen Rekord einstellte.