Dienstag, 19. März 2024

Archiv

60 Jahre "Blick"
Vom Skandalblatt zum Fernsehsender

Studenten verbrannten Ausgaben, Kirchenvertreter wollten sie verbieten, Kunden kauften heimlich: Vor genau 60 Jahren erschien die Schweizer Boulevardzeitung "Blick" zum ersten Mal und mischte den bis dato eher biederen Zeitungsmarkt im Alpenland auf. Heute sucht die Zeitung ihre Zukunft im TV-Geschäft.

Von Dietrich Karl Mäurer | 14.10.2019
Plakatwerbung der schweizerischen Tageszeitung "Blick" 1967 in Basel mit dem Werbespruch: "Neue Presse zielt und trifft".
Werbung der schweizerischen Tageszeitung "Blick" 1967 in Basel (dpa / picture alliance / KEYSTONE)
Als vor 60 Jahren die erste Ausgabe des "Blick" erschien und damit die erste Schweizer Boulevardzeitung, war das eine Revolution auf dem Medienmarkt des Landes, sagt der heutige Chefredakteur Christian Dorer:
"Weil er hat alles anders gemacht als alle anderen Zeitungen. Das waren Parteiblätter, die waren langweilig, die hatten keine Bilder. Da kam der 'Blick', und der berichtete plötzlich über das, was die Menschen wirklich interessiert, vor allem auch Sex und Crime und brisante Politikgeschichten. Er kritisierte Politiker, alles das war bis damals in der Schweiz unbekannt."
Kampagnen-Journalismus sorgte für Widerspruch
Der "Blick" wurde angefeindet. Studenten verbrannten Ausgaben. Kirchenvertreter baten die Regierung, das aus ihrer Sicht bedenkliche Presseorgan zu verbieten.
Die Gruppe "Junges Zuerich" verbrennt am 31. Oktober 1959 in Zuerich, Schweiz, in einer Protestaktion gegen die Boulevardzeitung Blick eine Puppe, die mit der Zeitung ausgestopft ist. 
Die Gruppe "Junges Zürich" verbrennt am 31. Oktober 1959 in einer Protestaktion gegen die Boulevardzeitung Blick eine Puppe, die mit der Zeitung ausgestopft war. (dpa / picture alliance / KEYSTONE PHOTOPRESS-ARCHIV)
Christian Dorer erzählt: Manch Schweizer kaufte den "Blick" heimlich.
"Das war wirklich ein Skandalblatt. Und es gab den Ausdruck 'NZZ mit'. Wenn jemand am Kiosk 'NZZ mit' sagte, dann wurde der 'Blick' diskret versteckt in der 'NZZ', damit ja niemand sah, dass diese Person auch den 'Blick' gekauft hat, weil man sich ein bisschen schämte dafür."
Auch Kampagnen-Journalismus - etwa für eine Verschärfung des Ausländerrechts - sorgte immer wieder für Widerspruch.
Mitte der 60er-Jahre die auflagenstärkste Schweizer Zeitung
Dennoch wurde das Blatt zum Erfolg, weiß der Medienforscher Linards Udris von der Universität Zürich zu berichten: "Dem 'Blick' hat die Kritik geholfen. Der 'Blick' hat sich dann inszeniert als Verfechter des Volks, das auch wirklich die relevanten Themen aufgreift und so diesen etwas verstaubten Journalismus jetzt quasi neu erfindet."
Schon Mitte der 60er-Jahre war "Blick" mit 200.000 Exemplaren die auflagenstärkste Schweizer Zeitung. Mit Hilfe von Gewinnspielen konnte die Auflage in den 80ern sogar fast verdoppelt werden.
Die Auflage schrumpft seit Jahren
Die Marke "Blick" wurde ausgebaut mit der Sonntagsausgabe und dem Gratis-Blatt "Blick am Abend" das letztes Jahr wieder eingestellt wurde. Denn, so erklärt Medienforscher Linards Udris: "Blick" agiert heute in einem schwierigen Marktumfeld.
"Mittlerweile ist der Boulevardjournalismus zum Mainstream geworden in der Schweiz. Es gibt nicht nur den 'Blick', es gibt auch eine sehr reichweitenstarke Pendlerzeitung, eine Gratiszeitung, das ist '20 Minuten'. Und '20 Minuten' betreibt eigentlich auch einen sehr boulevardähnlichen Journalismus."
Christian Dorer, Chefredakteur der schweizerischen Boulevardzeitung "Blick" in den eigenen Redaktionsräumen
Chefredakteur Christian Dorer sieht die Zukunft von "Blick" im Fernsehen (Deutschlandradio / Dietrich Karl Mäurer)
Die Auflage des "Blick" schrumpft seit Jahren, räumt Chefredakteur Christian Dorer ein und verweist auf die steigende Zahl der Nutzer der Online-Angebote. Mittlerweile erreiche man mehr Leser über die Webseite und die App, als mit der Druckausgabe, aber: "Was uns wirklich schmerzt: Dass die Einnahmen im Print stärker zurückgehen als die Werbeeinnahmen im Digitalen steigen. Und so haben wir jedes Jahr weniger Geld."
"Blick TV" für 2020 geplant
Als Weg aus dem Dilemma plant der hinter "Blick" stehende Ringier-Verlag erneut eine Revolution. Ganz ähnlich wie es für Deutschland die BILD-Zeitung vorhat, wollen die Schweizer ein "Blick TV" produzieren. Ein Fernsehprogramm, das vor allem über die App konsumiert werden soll.
"Das wird eigentlich ein News-TV für die Schweiz, eigentlich ein CNN für die Schweiz, wo ich von morgens ums sechs bis abends um halb elf informiert bin über die großen Themen, die passieren, und zwar so schnell wie möglich."
Kein Ersetzen der gedruckten Zeitung
Schon Anfang nächsten Jahres soll "Blick TV" an den Start gehen. Von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern wurden bereits Journalisten und Moderatoren abgeworben, eine Partnerschaft mit CNN wurde vereinbart, und gerade ist man dabei, den bereits bestehenden Newsroom um ein modernes TV-Studio zu erweitern. Die Investitionen könnten sich tatsächlich lohnen, meint Medienwissenschaftler Linards Udris von der Uni Zürich:
"Also nach dem aktuellen Stand, was wir wissen, scheint das eine sinnvolle, eine plausible Strategie zu sein, eben weil Videos stärker nachgefragt werden auf Websites und vor allem dann auch auf Social Media."
"Blick TV" soll die gedruckte Zeitung allerdings nicht ersetzen, sagt Chefredakteur Christian Dorer: "Weil wir natürlich im Fernsehen am Abend auch mit dem Blattmacher der Printausgabe sprechen, "was bietet der gedruckte 'Blick' morgen?", und so eigentlich auch die Leute animieren, online zu gehen natürlich und den gedruckten 'Blick' zu lesen."
Auf diese Weise soll das Projekt "Blick TV" die 60 Jahre alte Schweizer Boulevardzeitung sogar beflügeln.