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60 Jahre Römische Verträge
Keimzelle der Einheit Europas

Den Geist Europas atmen die Römischen Verträge. Vor 60 Jahren wurden sie unterzeichnet, sechs Länder bildeten damit die Keimzelle der heutigen Europäischen Union. Die historischen Rahmenbedingungen dafür waren damals aber andere als heute - sie machten einen Zusammenschluss aus vielen Gründen attraktiv.

Von Jan-Christoph Kitzler | 20.03.2017
    Das historische Schwarz-Weiß-Bild zeigt Adenauer und Hallstein nebeneinander an einem Tisch sitzend vor den Verträgen.
    Bundeskanzler Konrad Adenauer (links) und der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Walter Hallstein, setzen am 25. März 1957 in Rom ihre Unterschriften unter die Römischen Verträge. Die EWG und die Europäische Atomgemeinschaft sind damit besiegelt. (dpa)
    Die Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 1957 auf dem Kapitol in Rom war eine Geburtsstunde. Und das war denen, die die Verträge damals unterzeichneten, auch durchaus bewusst. Konrad Adenauer sprach in seiner Rede von einem großen Schritt zur Einigung Europas. Sechs Länder taten sich zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zur Europäischen Atomgemeinschaft zusammen: Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande und Luxemburg. Fünf dieser Länder waren im Zweiten Weltkrieg von Deutschland besetzt gewesen. Die Politiker, die die Verträge ausgehandelt hatten, hatten den Nazi-Terror erlebt. Und gerade das sorgte für eine Annäherung, sagt Lutz Klinkhammer, stellvertretender Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom:
    "Also, der Zweite Weltkrieg war ja eigentlich erst seit zwölf Jahren vorbei, 1957. Das Kriegsende hatten noch alle im Kopf und die Kriegstraumata auch. Und der Ausgangspunkt war der: Man wollte einen künftigen Krieg verhindern, man wollte Frieden schaffen, vor allem zwischen Deutschland und Frankreich. Dies war der Ausgangspunkt für die Römischen Verträge, die dann am 25. März 1957 auf dem Kapitol unterzeichnet wurden."
    Zwölf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
    Aber die Lage hatte sich zwölf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als Europa in Trümmern lag, geändert. Der Kalte Krieg war zwar nicht gerade plötzlich ausgebrochen, aber doch Realität. Der Gegensatz zwischen Ost und West hatte sich schon in heftigen Konflikten wie der Berlin-Blockade entladen. So entstand die Einheit Europas nicht zuletzt auch aus Sorge vor der Zukunft. Der italienische Politikwissenschaftlicher Angelo Bolaffi:
    "All das wurde irgendwie auch gefördert, in Anführungsstrichen, vom Kalten Krieg. Die Bedrohung durch Russland erzeugte Druck. So, wie das heute mit Trump sein könnte. Die Angst drängte auch die Staaten zum Zusammenschluss, die sonst Probleme gehabt hätten. Rom war also das politisch-spirituelle Zentrum einer Idee von Europa."
    Und diese Idee von Europa war neben politisch-spirituell vor allem auch wirtschaftlich. Der Wirtschaftsaufschwung sollte durch Abbau von Handelshemmnissen, durch den freien Verkehr von Waren, Menschen und Ideen weiter steigen und das führte letztendlich dazu, dass sich nach und nach immer mehr Staaten der Union anschlossen. Letztendlich führte diese Sogwirkung zu den Maastricht- und Lissabon-Verträgen, meint der Historiker Lutz Klinkhammer:
    "Die Grundidee war, über einen wirtschaftlichen Zusammenschluss Frieden zu schaffen und Wohlstand. Und diese Kombination - einerseits Handelserleichterungen zu schaffen und damit Wohlstand zu schaffen, gleichzeitig Sicherungen einzubauen gegen einen eventuellen künftigen Krieg - das war schon sehr attraktiv."
    Keimzelle der Einheit Europas
    Doch das, was damals, 1957, die Keimzelle für die Einheit Europas war, gilt nicht mehr. Der Zerfall der Sowjetunion, der Fall der Mauer haben den Kalten Krieg beendet. Die Erinnerung an den Krieg sind längst verblasst, und die Achsen Europas haben sich mit vielen neuen Mitgliedstaaten im Osten verschoben. Und lange Jahre der Wirtschaftskrise waren schädlich für das gemeinsame Projekt Europa.
    Deshalb taugt der Geist der Römischen Verträge nur bedingt zu einer Wiederbelebung Europas, sagt Angelo Bolaffi:
    "Da es die Bedingungen nicht mehr gibt, die nach der Unterschrift der Römischen Verträge funktioniert haben, müsste man heute neue Verträge, unter veränderten Bedingungen unterschreiben. Die Frage ist, ob das gelingt. Das ist das neue Projekt. Ob es nun unterschiedliche Geschwindigkeiten gibt, ein Europa auf verschiedenen Ebenen, mit variabler Geometrie, das hängt von der Fantasie der Politiker ab. Heute muss man das europäische Projekt im Umfeld einer anderen Geschichte neu schreiben."
    60 Jahre danach will Europa an die Römischen Verträge erinnern. Doch damit die EU aus der Krise kommt, muss weitaus mehr passieren, als der Blick zurück, die Erinnerung an den Geist von 1957. Die Wochenschau damals sprach von einem neuen, fruchtbaren Kapitel für Europa. So eines bräuchte die EU dringend auch jetzt.