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65. Geburtstag von Angela Merkel
"Mit ihrer Kanzlerschaft hat ein Stilbruch stattgefunden"

Bundeskanzlerin Angela Merkel lege eine ruhige Gelassenheit an den Tag - weg vom egomanischen Politikstil einiger Kollegen, sagte der Journalist Günter Bannas im Dlf anlässlich ihres 65. Geburtstages. Dieser Stil habe sich durchgesetzt. Das belege auch die Wahl der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Günter Bannas im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am 22.11.2005 im Deutschen Bundestag in Berlin durch Bundestagspräsident Norbert Lammert vereidigt
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am 22.11.2005 im Deutschen Bundestag in Berlin durch Bundestagspräsident Norbert Lammert vereidigt (picture-alliance / dpa/Guido Bergmann)
Günter Bannas, früherer Leiter der politischen Redaktion der FAZ, hat Angela Merkels politischen Werdegang lange journalistisch begleitet. Schon in den 1990ern habe ihn ihre selbstbewusste Art und Weise während der Bonner Republik verblüfft. Frauen hätten zu dieser Zeit keine Rolle in der Politik gespielt.
Den Spruch, dass Merkel "Kohls Mädchen" sei, habe er nie gemocht, so Bannas. Er sei ein Zeichen männlicher Herablassung gewesen. Auch hätte er eine "Fehleinschätzung zum Ausdruck gebracht".
Der Journalist Günter Bannas blickt am 05.09.2017 während einer Gesprächsrunde mit dem Titel "Von der Bonner zur Berliner Republik: Erinnerungen und Lehrstücke" in der Villa Hammerschmidt in Bonn (Nordrhein-Westfalen) in die Runde. Foto: Marius Becker/dpa | Verwendung weltweit
Günter Bannas hielt nie etwas von dem Spruch "Kohls Mädchen" (dpa)
Merkel lege in ihrem politischen Stil eine ruhige Gelassenheit an den Tag. Mit ihrer Kanzlerschaft habe ein Stilbruch stattgefunden - "weg vom egomanischen Politikstil", wie ihn zum Beispiel der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder gepflegt habe. Sie sei nicht polarisierend, gleichbleibend freundlich und nicht aufbrausend. Dieser Stil setze sich seitdem durch, etwa bei Ministerpräsidenten oder auch bei der CDU-Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer.

Stefan Heinlein: Angela Merkel feiert heute ihren 65. Geburtstag. Die erste Frau, die erste Ostdeutsche als Regierungschefin, 18 Jahre CDU-Vorsitzende, 14 Jahre Kanzlerin, spätestens 2021 verabschiedet sie sich in den politischen Ruhestand. Am Telefon begrüße ich jetzt einen journalistischen Wegbegleiter von Angela Merkel: Günter Bannas, lange Jahre Leiter der politischen Redaktion der FAZ in Bonn und später in Berlin. Guten Morgen, Herr Bannas!
Günter Bannas: Guten Morgen, Herr Heinlein!
Heinlein: Herr Bannas, Sie kennen Angela Merkel bereits aus ihren Anfangsjahren in Bonn bei der CDU. Welchen Eindruck hatten Sie seinerzeit von ihr, was haben Sie gedacht, als Sie die junge Politikerin damals zum ersten Mal wahrgenommen haben?
Bannas: Ich habe nochmals – quasi zur Vorbereitung – ein Porträtstück gelesen, was ich geschrieben habe 1991, als sie frisch Ministerin für Frauen und Jugend geworden war. Und darin kam vor, dass sie sich mit den Altvorderen der sogenannten Bonner Republik, zum Beispiel auch Theo Waigel und den Abgeordneten der CDU und der CSU, auseinandersetzte und zwar auf sehr selbstbewusste Art – und wie sie ihnen die zerflossene DDR erklärte, was die Besonderheiten des Lebens in der DDR waren. Das tat sie auf eine selbstbewusste Art und Weise, die mich damals verblüfft hat, ohne dass ich natürlich vorausgesehen hätte, was aus ihr geworden ist.
Heinlein: Es gab ja diese geringschätzige Äußerung "Kohls Mädchen", das wurde gerne zitiert in der Bonner Republik. War das eine Fehleinschätzung nach dem Eindruck, den Sie damals hatten tatsächlich?
Bannas: Diesen Spruch habe ich nie gemocht, "Kohls Mädchen", das war ja so eine männliche Herablassung. Die Bonner Republik, wenn Sie so wollen, war ja von Männern geprägt, Frauen im Bundeskabinett waren die Ausnahme. Es gab dann eine oder zwei Quotenfrauen quasi, mehr waren im Bundeskabinett nicht vertreten. Und Frauen in der Politik spielten in Bonn – außer Rita Süßmuth vielleicht – keine Rolle. Das war eine große Herablassung, die ich nicht gemocht habe, aber es war nun mal so. Es wurde ja später auch, als Merkel dann Generalsekretärin geworden war und ihre Büroleiterin Beate Baumann um sich scharte und die Medienberaterin Eva Christiansen, da wurde gesprochen von dem Dreimädelhaus, also das Konrad-Adenauer-Haus, die Parteizentrale, das Dreimädelhaus.
Die Sprüche sind lange Vergangenheit, und man kann nur noch mit Nichtwohlgefallen darüber hinweggehen, aber sie haben eben auch eine Fehleinschätzung zum Ausdruck gebracht: "Kohls Mädchen", das sollte wohl heißen, na ja, aus der wird nichts, wenn Kohl weg ist, ist sie auch weg – und es kam eben ganz anders.
"Vielleicht muss sich die CDU jetzt von Frau Merkel lösen"
Heinlein: War die Härte erkennbar, mit der sie ihren Förderer Helmut Kohl dann 1999 aus dem Amt beförderte? Sie kennen ihren berühmten Gastbeitrag in Ihrer Zeitung, der FAZ.
Bannas: Nein, so etwas ist nie erkennbar vorher, finde ich jedenfalls. Es war nun auch eine Besonderheit, Kohl hatte sich ja da in der Spendenaffäre ins Abseits gerückt, er hatte gegen das Gesetz verstoßen, er wollte das nicht einsehen. Dann hat Frau Merkel dann irgendwann quasi die Reißleine gezogen und diesen Artikel geschrieben, dass sich die CDU nun von Helmut Kohl ablösen müsste, quasi selbstständig laufen lernen müsste, das kam in dem Artikel auch vor. So etwas weiß man vorher nie, weil die Situation auch immer wieder eine andere ist. Und jetzt ist auch wieder eine andere Situation, vielleicht muss sich die CDU jetzt auch von Frau Merkel lösen. Und sie hat ja gesagt, sie wolle demnächst aufhören, also 2021, aber wird man sehen, es ist vieles schon gesagt worden, was sich dann doch nicht bewahrheitet hat.
Heinlein: Herr Bannas, Angela Merkel ist von Hause aus Naturwissenschaftlerin, Physikerin, da muss man mit Zahlen, Daten und Fakten umgehen können, eher nüchtern. War diese Kohl-Revolte, diese Kohl-Attacke gegen ihren Förderer damals nüchtern kalkuliert, hatte sie im Blick, ihn abzulösen als CDU-Parteivorsitzende?
Bannas: Das glaube ich nicht. Also, zu der damaligen Zeit war ja Wolfgang Schäuble der CDU-Vorsitzende, Kohl war ja nur noch Ehrenvorsitzender der CDU. Dass sie damals den Blick auf das Kanzleramt oder auch nur auf den CDU-Parteivorsitz geworfen hätte, weiß ich nicht, das kann sein. Ein Generalsekretär der CDU hat natürlich immer alles im Blick und kann natürlich auch weitere Karrierestufen planen, aber zur damaligen Zeit war das nicht erkennbar. Und zunächst musste ja dann auch erst Wolfgang Schäuble quasi den Platz freimachen. Was aber klar war, war, dass dieser Artikel, dieser Brief, damals in der Weihnachtszeit in der FAZ abgedruckt, dass der auch eine Distanzierung zu Wolfgang Schäuble bedeutete, denn sie hatte ihren Chef, ihren CDU-Parteivorsitzenden, in diesen Artikel nicht eingeweiht.
Heinlein: Herr Bannas, Angela Merkel ist ja bis heute keine begnadete Rednerin, sie pflegt eine sehr floskelhafte Sprache, einen sehr pragmatischen Politikstil ohne große Visionen. Gibt es aus Ihrer Sicht so etwas wie ein System Merkel, einen besonderen Stil, der sie und ihre Politik auszeichnet?
Bannas: Da ist zunächst einmal die ruhige Gelassenheit, mit der sie Politik betreibt, nicht polarisierend, nicht so männlich dominant wie ihre Vorgänger, wie also Gerhard Schröder, auch wie Helmut Kohl. Es hat ein Stilbruch stattgefunden mit Beginn der Merkelschen Kanzlerschaft, weg von einem egomanischen Politikstil – ich nenne noch mal Gerhard Schröder oder Joschka Fischer oder auch Peer Steinbrück. Dieser Stil hat sich auch bei vielen Ministerpräsidenten durchgesetzt, es werden heutzutage ganz andere Ministerpräsidenten gewählt als früher, heute sind es eher … Sie gleichen oft einem Verwaltungschef einer großen kommunalen Verwaltung. Das ist das eine.
Sie ist gleichbleibend freundlich, sie ist nicht aufbrausend, Schröder konnte sehr nett sein und aufbrausend kurz danach. Merkel ist von einer gleichbleibenden Freundlichkeit. Das ist der Politikstil, den sie wirklich geprägt hat und der sich immer noch durchsetzt. Man hat das ja verfolgen können im vergangenen Jahr, als es um die Wahl der Nachfolge von Frau Merkel an der CDU-Spitze ging, da wurde eben ein Merkel-Typus, Annegret Kramp-Karrenbauer, gewählt und nicht ein Schröder-Typus, Friedrich Merz.
"Sie ist gleichbleibend freundlich, sie ist nicht aufbrausend"
Heinlein: Ruhige Gelassenheit sagen Sie, Herr Bannas. Wie passt das zu den immer wieder überraschenden Entscheidungen der Ära Merkel. Abschaffung der Wehrpflicht, die Energiewende oder Stichwort Migrationspolitik. Wie passt das zu ihrem ansonsten eher nüchternen Politikstil, macht sie doch Politik manchmal aus dem Bauch heraus?
Bannas: Sie ist nicht ohne Emotionen, ohne die nun offen zu erkennen zu geben. Auf der anderen Seite: Der Atomausstieg, der war dann irgendwann doch nüchtern kalkuliert. Hätte sie nach der Katastrophe von Fukushima an der Kernenergie festgehalten und gar an der damals beschlossenen Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke festgehalten, dann wäre das zu einem Desaster für die CDU geworden. Zur damaligen Zeit, auch das ist in Erinnerung zu rufen, wurde auch trotz Atomausstieg Winfried Kretschmann von den Grünen in Baden-Württemberg zum Ministerpräsidenten gewählt – Baden-Württemberg, ein bis dahin ewiges CDU-Land.
Und Kehrtwenden gehören bei vielen Leuten, bei vielen Spitzenpolitikern zum Repertoire, bei Merkel eben auch. Und sie ist zudem, auch das ist in Erinnerung zu rufen, sie ist ja nicht ideologisch. Sie war auch keine ideologische Anhängerin der Kernkraft oder eine ideologische Anhängerin der Wehrpflicht, wobei auch da zu sagen ist, die Abschaffung oder Aussetzung der Wehrpflicht wurde ja nicht von Frau Merkel durchgesetzt, sondern vom Verteidigungsminister Baron zu Guttenberg, CSU. Es wird heute alles gesagt, ja, die Frau Merkel ist es gewesen, aber durchgesetzt hat es letzten Endes der zu Guttenberg.
Heinlein: Kurze Frage zum Schluss, Herr Bannas: Heute feiert Merkel ihren 65. Geburtstag. Ist Angela Merkel reif für den politischen Ruhestand?
Bannas: Ich sehe das nicht so. Auf jeden Fall will sie ja noch zwei weitere Jahre, also bis zum Ende dieser Wahlperiode, Bundeskanzlerin sein und, wie sie dann immer sagt, ihre Pflicht erfüllen. Und was danach kommt, wird man sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.