Dienstag, 23. April 2024

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Weltwirtschaftsforum von Davos
"Länder konkurrieren heutzutage nicht miteinander"

Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower, hat vor einem weiteren Auseinanderdriften von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gewarnt. Man könne sich heute nicht mehr auf nationale Identitäten besinnen, sagte er im Dlf - denn die meisten Güter und Dienstleistungen würden in vielen Ländern produziert.

Dennis Snower im Gespräch mit Mario Dobovisek      | 22.01.2019
    Ein Container schwebt am Verladekran über dasa türkisblaue Meer vor Singapur.
    Das große Problem heutzutage ist, dass die Weltwirtschaft ist komplett verflochten, sagt IfW-Präsident Dennis Snower (AFP / Roslan Rahman)
    Mario Dobovisek: Das Wirtschaftswachstum geht weltweit zurück, auch, aber nicht nur die Folge des eskalierten Handelsstreits zwischen den USA und China. Überhaupt hat der US-Präsident im vergangenen Jahr immer wieder für Unruhe gesorgt und es gibt nichts, was Firmenlenker und Investoren mehr fürchten als fehlende Planbarkeit, fehlende Verlässlichkeit, Ungewissheit, wie auch beim anstehenden Brexit.
    Derlei Ungewissheiten im persönlichen Gespräch zwischen Politik und Wirtschaft zumindest etwas aufzuhellen, dafür ist einmal im Jahr das schweizerische Davos ein günstiger Ort beim Weltwirtschaftsforum, das dort heute wieder eröffnet wird.
    Die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft treffen aufeinander, diskutieren öffentlich und bei Kamingesprächen. Doch fehlen wird wie gehört in diesem Jahr ausgerechnet US-Präsident Trump. Auch Großbritanniens Premierministerin wird nicht kommen. Zuhause muss sie zunächst jene Antworten finden, auf die auch die Wirtschaft so sehnsüchtig wartet, die Folgen eines möglichen harten Brexits fest im Blick.
    Ich möchte sprechen mit Dennis Snower. Er hat US-amerikanische Wurzeln und ist Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Guten Morgen, Herr Snower.
    Dennis Snower: Guten Morgen!
    Dobovisek: Was bringt das Weltwirtschaftsforum von Davos ohne Trump und May, ohne die Protagonisten dieser Tage, Wochen, Monate?
    Snower: Ich glaube, es kann viel bringen, weil es bringt zusammen die wichtigen Entscheidungsträger doch aus der Politik und aus der Wirtschaft und aus der Gesellschaft. Und gerade das, glaube ich, ist besonders entscheidend, weil nicht nur auf der Staatsoberhauptsebene, sondern auch auf tieferen Ebenen ist es wirklich wichtig, dass die Wirtschaft und die Politik und die Gesellschaft weltweit sich wieder verkoppelt.
    Durch Globalisierung, technologischen Fortschritt hat sich die Wirtschaft oft von der Gesellschaft entkoppelt. Das heißt, Gesellschaften wurden oft zerrüttet durch Globalisierungsprozesse und die Politik scheint sehr fern oft von den Interessen von vielen Menschen, und das zusammenzubringen, ist eine große Aufgabe. Davos spielt da eine große Rolle. Die G20 spielt eine große Rolle.
    Dennis Snower, Präsident des des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, gibt am 18.12.2014 in seinem Büro in Kiel (Schleswig-Holstein) der Deutschen Presse-Agentur ein Interview. 
    IfW-Präsident Dennis Snower (picture alliance / dpa / Carsten Rehder)
    "Man braucht einen größeren Zusammenhalt"
    Dobovisek: Heißt das aber gleichzeitig, Herr Snower, dass sich US-Präsident Donald Trump ebenfalls entkoppelt?
    Snower: Donald Trump hat sich mit einem gewissen Teil der amerikanischen Bevölkerung verkoppelt. Diejenigen, die sich im Stich gelassen fühlen von vielen wirtschaftlichen und politischen Bewegungen, die sich bevormundet fühlen. Und natürlich polarisiert er die Gesellschaft, und das ist genau das, was heutzutage nicht gebraucht ist. Man braucht einen größeren Zusammenhalt und der kann wahrscheinlich nur geschaffen werden durch Narrative, Geschichten, die die Gesellschaft wieder vereinen.
    Die Remoralisierung ist sehr wichtig und auch ein großes Thema bei unserem Global Solutions Gipfel, der zum G20-Gipfel führt. Das sind, glaube ich, die wichtigen Dinge, die wir in den letzten zwei Jahrzehnten vergessen haben. Wir haben einfach nur auf wirtschaftlichen Fortschritt geschaut, wie das Bruttoinlandsprodukt wächst, und weniger, wie die Gesellschaft sich entwickelt.

    Der US-amerikanische Präsident Donald Trump und die britische Premierministerin Theresa May sitzen zu Beginn der ersten Arbeitssitzung beim G20-Gipfel am 07.07.2017 in Hamburg nebeneinander.
    Der US-amerikanische Präsident Donald Trump und die britische Premierministerin Theresa May (picture alliance / dpa / John Macdougall)
    Dobovisek: Jetzt fehlen wichtige Antworten aus den USA und Großbritannien. Wie entscheidend wären die aber für die Wirtschaft gewesen, gerade in dieser unruhigen Zeit?
    Snower: Natürlich wäre es extrem wichtig gewesen, diese Stimmen dabei zu haben. Aber in beiden Ländern, den USA sowie Großbritannien, die als besonders demokratisch, besonders gut der freien Wirtschaft gesinnt waren, gerade dort gibt es die großen sozialen Spannungen und gerade dort ist es wichtig, dass diese Spannungen auch intern gelöst werden.
    Das große Problem heutzutage ist, dass die Weltwirtschaft ist komplett verflochten. Die meisten Güter und Dienstleistungen werden in vielen Ländern produziert, und das kann sich nicht gut entflechten.
    "Kein 'America First' oder 'Take back Control' in Großbritannien"
    Dobovisek: Aber gerade das kritisieren ja auch viele.
    Snower: Genau! Weil die Gesellschaften und die Politik ist sehr fragmentiert, und unsere große Aufgabe wird sein, wieder die zwei, die drei Sphären, die Wirtschaft, die Politik und die Gesellschaft zusammenzubringen - und das nicht nur auf der staatlichen Ebene, sondern auch auf vielen Ebenen, internationalen Tiefen.
    Das bedeutet, wir dürfen uns nicht einfach besinnen auf eine Identität, die nationale, "America First" oder "Take back Control" in Großbritannien, sondern wir müssen schauen, dass wir auf vielen Ebenen, die lokale Ebene, die nationale Ebene, regionale und auch globale Ebene, gut funktionieren können. Das geht nur, wenn es Verständnis gibt in der Gesellschaft, dass wir auf diesen vielen Ebenen miteinander zusammenarbeiten.
    Dobovisek: Sie betonen, Herr Snower, immer wieder das Gemeinsame. Machen wir das mal an einem konkreten Beispiel fest, nämlich den Strafzöllen gegen China und den chinesischen Strafzöllen gegen die USA, den Handelsstreit. Auch wenn sie inzwischen schon etwas gelockert worden sind, gelten sie noch immer. Es gibt eine leichte Entspannung. Mit ihnen wollte Trump ja China unter Druck setzen, die Schieflage beim Import und Export auszugleichen. Hat Trump damit am Ende Erfolg, mit seiner Ich-Politik?
    Snower: Ich glaube, kurzfristig ist es schädlich. Langfristig, wenn der Handelsstreit weitergeht, könnte es zu einem Desaster führen, zu einem Handelskrieg. Das ist die falsche Richtung. Natürlich hatten wir ein System in der Weltwirtschaft, das nicht ganz fair ist, und die Welthandelsorganisation muss reformiert werden und es müssen fairere Regeln geschaffen werden und das Welthandelssystem muss angeglichen werden den jetzigen Ansprüchen.
    Die digitale Welt hat große Herausforderungen, die nicht angesprochen sind in großen Teilen unseres Handelsrechts. Das ist wichtig anzugehen, aber es muss angegangen werden in einer Weise, indem man ein wichtiges Prinzip versteht, und das ist: Heutzutage konkurrieren Länder nicht miteinander. Wie gesagt, die meisten Güter und sogar Dienstleistungen werden in vielen Ländern produziert. Was konkurriert sind Wertschöpfungsketten, die sich über viele Länder ziehen. Und daher: Wer einen Überschuss hat und wer ein Defizit hat, ist genauso nebensächlich in dieser Welt, wie wenn man rechnet, welche Teile einer Produktion in einer Firma gehen im Norden der Firma und im Süden der Firma vor.
    "Es ist unglaublich unverantwortlich von der Regierung in Großbritannien"
    Dobovisek: Gerade da sieht die Wirtschaft ja momentan auch große Gefahren in einem möglichen harten Brexit. Nach all dem, was wir gestern aus London über den sogenannten Plan B von Theresa May gehört haben, ist der harte Brexit jetzt wahrscheinlicher geworden?
    Snower: Harter Brexit ist immer wahrscheinlicher geworden, und es ist unglaublich unverantwortlich von der Regierung in Großbritannien, dass der harte Brexit der Default geworden ist. Wenn man sich nicht einigen kann, dann geschieht das Ärgste aller Szenarien, und das hätte man vor zwei Jahren leicht verhindern können und müssen. Und dass man mit dieser wirklich harten Waffe jetzt sich gegenseitig droht, zeigt die Desintegration der britischen Politik.
    Dobovisek: Und das wollen wir gleich weiter vertiefen im Gespräch mit Katarina Barley um 7:15 Uhr von der SPD. Das war soweit Dennis Snower, noch bis nächsten Monat Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Ich danke Ihnen, Herr Snower.
    Snower: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.