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Abgabe von Bargeld
"Wir können Flüchtlinge nicht besser stellen als Hartz-IV-Empfänger"

In Baden-Württemberg müssen Flüchtlinge Teile ihres mitgebrachten Barvermögens abgeben. Der baden-württembergische Europaminister Peter Friedrich (SPD) verteidigte die Praxis als fair. Im Gegenzug erhielten sie Leistungen wie Obdach, Integration und einen Zugang zum Arbeitsmarkt, sagte er im DLF.

Peter Friedrich im Gespräch mit Christine Heuer | 21.01.2016
    Der Minister für Bundesrat, Europa und Internationale Angelegenheiten in Baden-Württemberg, Peter Friedrich (SPD).
    Der Minister für Bundesrat, Europa und Internationale Angelegenheiten in Baden-Württemberg, Peter Friedrich (SPD). (picture alliance / dpa / Patrick Seeger)
    In Baden-Württemberg kann die Polizei Vermögen oberhalb von 350 Euro einbehalten. Friedrich betonte, mit der Praxis werde die Sozialgesetzgebung richtig umgesetzt. Asylbewerber könnten nicht besser gestellt werden als Hartz-IV-Empfänger, die auch einen Eigenbehalt haben.

    Das Interview mit Peter Friedrich in voller Länge:

    Christine Heuer: Am Telefon ist Peter Friedrich, Europaminister von Baden-Württemberg, Sozialdemokrat und zurzeit an der Grenze zwischen Slowenien und Kroatien. Guten Tag, Herr Friedrich.
    Peter Friedrich: Ich grüße Sie, Frau Heuer.
    Heuer: Sie sind an der Grenze, ich habe das gesagt. Wie ist die Lage dort? Was haben Sie gesehen?
    Friedrich: Heute Morgen ist die Lage relativ ruhig gewesen. Heute Morgen sind ungefähr 500 Flüchtlinge weitergeführt worden dann Richtung Österreich. Die Lage ist relativ ruhig. Es wurde dort ein Registrierungszentrum aufgebaut, das diese Kapazitäten von drei bis 4000 Flüchtlinge am Tag sehr gut registrieren, identifizieren kann und dann auch vorbereitet für die Weiterfahrt nach Österreich.
    Heuer: Sie sagen, 500 Flüchtlinge sind schon weitergeleitet worden nach Österreich. Die Österreicher nehmen also noch Flüchtlinge auf zur Stunde?
    "In Slowenien weiß niemand wie sich die Ankündigung von Österreich auswirken wird"
    Friedrich: Momentan weiß in Slowenien niemand so genau, wie denn die Ankündigung von Österreich sich auswirken wird. Im Moment ist die Kooperation nach wie vor gut. Die slowenischen Partner hier machen sich natürlich sorgen, was das bedeutet, wenn tatsächlich größere Zahlen von Flüchtlingen an der österreichischen Grenze zurückgewiesen würden. Was dann passiert, das weiß momentan, ehrlich gesagt, glaube ich, hier noch niemand.
    Heuer: Die Regierung in Ljubljana macht sich Sorgen. Wir machen uns alle Gedanken und fragen uns genau das: Was wird dann passieren? Was ist, wenn Österreich ernst macht und Flüchtlinge nach Slowenien zurückschickt? Wie wird sich dann die Regierung in Slowenien verhalten? Gibt es da Gedankenspiele?
    Friedrich: Meine Sorge ist, dass es tatsächlich einen Domino-Effekt gibt und quasi einer nach dem anderen dann versucht, das Problem zu lösen auf Kosten seines Nachbarn. Slowenien hat, glaube ich, auch ganz gute Vorschläge jetzt gemacht, dass man nämlich ein solches Registrierungszentrum - das ist im Prinzip das, was wir uns unter einem Hotspot vorstellen, wie sie ja auch in Griechenland errichtet werden sollen -, dass man das auch an der mazedonischen, griechischen Grenze einrichten soll, um das alles etwas zu verlangsamen. Aber eine Schwierigkeit ist, dass tatsächlich bei abgelehnten Flüchtlingen die Nachbarländer zum Teil nicht mehr bereit sind, die Flüchtlinge aufzunehmen oder zurückzunehmen. Dieser Hotspot, wo ich heute Morgen bin, der liegt in Slowenien selbst und man hat sich mit Kroatien geeinigt, die Züge bis dorthin fahren zu lassen. Und meine Sorge ist, wenn Österreich zurückweist, dass dann Slowenien auch diesen Hotspot nicht mehr weiter betreiben kann, sondern dann die Grenzkontrolle, die dort stattfindet, die dort gut ist, zurückverlagert direkt an die geographische Grenze, so dass dort der Flüchtlingsstrom sich massiv stauen wird.
    Friedrich: Es könnte beim schwächsten Glied der Kette eskalieren
    Heuer: Wenn Sie von einem Domino-Effekt sprechen auf der gesamten Balkan-Route, wenn ich Sie richtig verstehe, wo landen denn dann am Ende die Flüchtlinge?
    Friedrich: Ja das ist genau das Problem. Der Domino-Effekt würde dazu führen, dass der Druck weitergegeben wird und dann beim schwächsten Glied in der Kette das Problem eskaliert, und die Gefahr ist sehr groß, dass das auf dem Balkan ist in Ländern, die ohnehin momentan in einer schwierigen Situation sind. Die Gefahr ist aber auch durchaus da, dass das dann bis Griechenland weitergeht. Was mich sehr überzeugt hat war die Art und Weise, wie hier in Slowenien dieser Hotspot aufgebaut worden ist. Wir haben hier Polizisten aus elf Ländern, die zusammenarbeiten. Tatsächlich europäische Grenzkontrolle findet statt. Insofern ist das schon auch ein Beispiel dafür, was man machen kann, um die Kontrolle auch über die EU-Außengrenzen zu gewinnen. Das ist das dringend Notwendige, um tatsächlich diesen Domino-Effekt und diesen damit verbundenen Stau zu vermeiden, dass es tatsächlich gelingt, das an der Außengrenze besser zu machen, als das heute der Fall ist.
    Friedrich: Grenzschließungen sind eine sehr riskante Strategie
    Heuer: Das ist ja unter anderem der Plan von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie wird für ihre Flüchtlingspolitik in Deutschland ja sehr heftig kritisiert, nicht nur, aber vor allem von der CSU. Kann es sein, dass da manche Argumentationen von Christsozialen eigentlich ganz richtig sind, die ja sagen, wenn der Druck wieder verteilt wird an mehrere europäische Länder, dass dann vielleicht Europa auch kapiert, dass das ein gemeinsames Problem ist, und dass dann die Solidarität in der Europäischen Union zunimmt?
    Friedrich: Die Frage, ob man mit Grenzschließungen den Druck auf die Partner erhöht, ist natürlich insofern eine sehr riskante Strategie, weil es ja nicht die Partner sind, die darunter zu leiden haben, die der europäischen Lösung momentan im Wesentlichen im Wege stehen. Es ist ja nicht Slowenien oder Kroatien, die gemeinsame europäische Lösungen ablehnen. Auch eine EU-Außengrenze, eine bessere Kontrolle der EU-Außengrenze braucht immer dann auch eine Verteilung der Flüchtlinge, die dort ja auch weiterhin ankommen werden, und es wird auch weiterhin ein Recht auf Asyl geben. Ich brauche immer auch bei der besseren Kontrolle und Sicherung der Außengrenzen einen europäischen Verteilmechanismus, eine europäische Kontingentlösung, und deswegen jetzt auf die Strategie zu setzen, wir geben den Druck nach dort weiter und lassen es dann humanitär eskalieren, halte ich für eine sehr riskante Strategie, weil es müssen sich ja mehr Partner bewegen als nur die Länder, die unmittelbar von der Flüchtlingswelle dann betroffen sind.
    Heuer: Herr Friedrich, die Entscheidung von Österreich, die kann ja verschiedene Effekte haben, auch für Deutschland. Was glauben Sie ist wahrscheinlicher, dass mit Österreich und der Obergrenze vielleicht auch nach Deutschland im Effekt weniger Menschen, weniger Flüchtlinge kommen, oder werden die Österreicher und die Balkan-Staaten Flüchtlinge weiter durchreichen und dann praktisch nur noch nach Deutschland?
    Friedrich: Das wird jetzt sicher ein paar Veränderungen in den Tageszahlen haben. Aber es ist keine Dauerlösung.
    Heuer: Nach oben oder nach unten, Herr Friedrich? Das ist ja die Frage aus deutscher Perspektive.
    Friedrich: In kurzer Perspektive wird es vielleicht erst mal den Zustrom etwas abbremsen, aber das wird aus meiner Sicht keine dauerhafte Lösung sein, wenn man sieht, welche Zahl von Menschen es ist. Wir hatten ja auch schon die Situation, dass hier an der Grenze 15.000 an einem Tag kamen, wo auch hier die Behörden und auch die europäischen Einrichtungen, die da zusammenwirken, völlig überfordert waren. Insofern vielleicht für ein, zwei Tage ein bisschen eine Beruhigung, aber ich sehe nicht, dass es tatsächlich zu einer dauerhaften Reduzierung kommt. Es gelingt nur über Sicherung der Außengrenzen und über Bekämpfung der Fluchtursachen in den Krisenregionen selbst.
    Europa muss Lösungen liefern
    Heuer: Das braucht Zeit, Zeit, die Angela Merkel nicht hat, die vielleicht auch die Europäische Union nicht hat. Die Grenzen werden dichter, sie werden höher. Wie gefährdet ist Schengen, wie gefährdet ist auch die Europäische Union, die europäische Idee insgesamt?
    Friedrich: Europa muss in dieser Frage Lösungen liefern und es sind die Nationalstaaten, die die Mittel für die Lösungen in den Händen halten, dadurch, dass sie selber stärker sich beteiligen an der Aufnahme von Flüchtlingen. Anders wird es tatsächlich nicht gehen. Ich glaube, dass Europa nicht im Kern gefährdet ist, aber dass natürlich das Vertrauen in Europa massiv schwindet, und jedes Land, wenn es merkt, dass Europa keine Lösungen anbietet, versucht, nationale Alleingänge zu machen, so wie das jetzt auch wieder stattgefunden hat, und das verschärft die Probleme dann immer nur ganz unmittelbar sofort beim Nachbarn, aber löst das Problem überhaupt nicht.
    Friedrich: Auch Flüchtlinge müssen sich finanziell an Integrationsleistungen beteiligen
    Heuer: Eine Frage noch zur Politik in Ihrem Bundesland, in Baden-Württemberg, dort wo Sie Europaminister sind. Baden-Württemberg lässt Flüchtlingen, die kommen, nur noch 350 Euro. Den Rest dessen, was die Flüchtlinge mitbringen, nimmt das Land ihnen ab. Finden Sie das eigentlich gerecht, den Ärmsten auch noch zu nehmen, was sie an wenigem haben?
    Friedrich: Das ist ja eine Beteiligung an den Leistungen, die sie auch bekommen. Wir bieten Obdach, wir bieten Integration, wir bieten Arbeitsmarktzugang und all diese Dinge, und wir können Flüchtlinge nicht besserstellen, als wir zum Beispiel Hartz-IV-Empfänger stellen, die auch nur einen Eigenbehalt haben. Deswegen halte ich das für die richtige Umsetzung unserer Sozialgesetzgebung. Da geht es aber jetzt nicht um die Flüchtlingsverhandlungen, sondern es geht im Kern darum, wie wir Menschen, die sozial bedürftig sind, länger sozial bedürftig sind, wie wir die unterstützen. Sie haben die Gewähr, diese Unterstützung zu haben, aber sie müssen natürlich, wenn sie eigenes Vermögen haben oder eigenes Geld haben, dieses selbst mit einbringen dafür, dass sie diese Integrationsleistungen erfahren können.
    Heuer: Peter Friedrich, der sozialdemokratische Europaminister von Baden-Württemberg, zurzeit in Slowenien ganz dicht an der Grenze zu Kroatien. Herr Friedrich, vielen Dank für das Interview heute Mittag.
    Friedrich: Sehr gerne, Frau Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.