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Abschiebezentrum Mesnil-Amelot
Selbstverletzungen aus Angst vor Abschiebung

Bis zu 240 Menschen leben in Frankreichs größtem Abschiebezentrum in der Nähe von Paris, darunter auch Familien mit kleinen Kindern. Offiziell ist es keine Haftanstalt, dennoch werden die Insassen dort festgehalten. So soll verhindert werden, dass sie sich ihrer Abschiebung entziehen. Die Bewohner leben in Angst.

Von Sabine Wachs | 12.04.2019
Das Abschiebegefängnis Le Mesnil-Amelot am Flughafen Charles-de-Gaulles.
Das Abschiebezentrum Le Mesnil-Amelot am Flughafen Charles-de-Gaulles wirkt wie ein Gefängnis, 150 Polizisten bewachen hier bis zu 240 Menschen ( JOEL SAGET / AFP)
Alle paar Minuten donnern Flugzeuge über das Abschiebezentrum Mesnil-Amelot. Es liegt direkt neben dem großen Pariser Flughafen Charles de Gaulle. Der Weg zum Flugzeug ist nicht weit. Von außen wirkt das große Gebäude wie ein Gefängnis. Hohe Mauern, bespannt mit Nato-Draht umgeben den Bau. Ein Wachturm ist zu erkennen.
Auch wenn es so anmuten mag, eine Haftanstalt ist es nicht, erklärt Pierre Bordereau, Direktor des Abschiebezentrums Mesnil-Amelot: "Ein Abschiebezentrum ist ein Ort, an den Menschen gebracht werden, die sich illegal im Land aufhalten, mit dem Ziel, sie abzuschieben. Anders als im Gefängnis, verbüßen sie hier keine Strafe, es handelt sich um eine Maßnahme im Vorfeld einer Abschiebung."
Trotzdem bedeutet das Abschiebezentrum Freiheitsentzug. Nur durch Schleusen, durch Kontrollen kann das Gebäude mit seinen zwei Trakten betretenen werden. 150 Polizisten arbeiten im Schichtdienst rund um die Uhr, betreuen bis zu 240 Insassen. "Alle Zonen hier sind videoüberwacht," erklärt Commandant Leriche. Er ist verantwortlich für den Männertrakt. Sechs Wohneinheiten mit je 20 Plätzen. Mehrere Insassen teilen sich ein Zimmer. "In den Zimmern und in den Bädern gibt es keine Kameras, dort wird die Privatsphäre respektiert. Im Zentrum selbst können sich die Menschen frei bewegen. Es ist kein Strafvollzug."
"Ich weiß nicht, was ich hier soll, was ist das hier?"
In der sogenannten Zone de Vie, im Aufenthaltsbereich, stehen etwa 20 Männer auf dem Gang. Einige wollen an den Getränkeautomaten, andere zur Krankenstation, wieder andere warten darauf, dass das Büro der Menschenrechtsorganisation La Cimade frei wird. Sie bietet Rechtsberatung für die Insassen an. Hamsa aus Tunesien will die in Anspruch nehmen. "Ich weiß nicht, was ich hier soll, was ist das hier?", fragt der junge Mann in Jogginghose und Badelatschen. Er ist seit fünf Tagen im Abschiebezentrum und versteht die Welt nicht mehr.
Seit sechs Jahren lebt und arbeitet er in Frankreich – als Bäcker. Allerdings ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung. Bei einer Kontrolle seines Betriebes wurde er aufgegriffen. Trotz Arbeit und festem Wohnsitz soll er nun abgeschoben werden. Absurd, sagt er. Wie auch andere Insassen weigert er sich zu essen. Das Essen sei ungenießbar. Die Räume dreckig und unhygienisch. "Ich zeige dir die Zustände hier, sie haben gerade sauber gemacht. Ich zeige dir mein Zimmer, den Dreck, die Spinnen in allen Ecken."
Sauber ist es im Zentrum nicht. Die Duschen und Toiletten sind dreckig, teilweise sogar völlig verstopft. Die meisten Möbel in den Gemeinschaftsräumen sind kaputt, die Wände beschmiert. Zustände, die auch die Menschenrechtsorganisationen immer wieder kritisieren. "Wir hören diese Kritik, sagt Anstaltsleiter Pierre Bordereau, wir arbeiten daran. Aber sie kommen nicht gegen Menschen an, die alles mutwillig kaputt machen wollen. Bei den Männern haben wir zum Beispiel Tischfußball-Tische aufgebaut. Sie haben alles kaputt gemacht."
Auch Kinder werden aufgenommen
Im Frauen- und Familientrakt sieht es ein bisschen besser aus. Hier sind die Möbel nicht kaputt, die Sanitäranlagen nicht ganz so dreckig, denn die Frauen, sagt Traktleiterin Francoise Normand, putzen auch mal selbst. Wie im Männertrakt können auch hier maximal 120 Menschen untergebracht werden. Vier Betten pro Zimmer, sechs Duschen gibt es und spezielle Zimmer für Familien oder Mütter mit kleinen Kindern. Im Moment ist keine Familie da.
"Vor zwei Tagen hatten wir eine Mutter mit ihrem Kind. Die Kinder werden von Polizisten in Zivil registriert. Das macht weniger Angst als die Uniform. Wir haben Kinder- und Babynahrung, Kleidung und draußen gibt es Spielgeräte."
Zwei kleine Wippen stehen auf dem Hof vor den umzäunten Unterkünften. Tagsüber können die Kinder hier spielen, nur in der Nacht sind die Insassen in ihren Wohneinheiten eingesperrt, erklärt Francoise Normand. 121 Kinder und Babys waren 2017 im Abschiebzentrum Mesnil-Amelot. Menschenrechtsorganisationen wie die Cimade prangern das Einsperren von Kindern an: "Die Lebensbedingungen hier sind nicht für Kinder ausgelegt. Die Mütter haben extremen Stress, die sich dann auch nicht richtig um ihr Kind kümmern kann. Es ist oft kalt in den Räumen, nicht immer gibt es spezielle Babynahrung, oder passende Kleidung.", sagt Hortense Gaultier von La Cimade.
Neben Mesnil-Amelot werden noch in acht weiteren Abschiebezentren Kinder aufgenommen. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Frankreich wiederholt für den Freiheitsentzug von Kindern verurteilt. Francoise Normand, Leiterin des Frauen- und Familientrakts, will sich dazu nicht äußern. Nur so viel: Man tue alles, um die Kinder hier zu schützen. Das gesamte Familienareal ist vom reinen Männerbereich abgetrennt. Sogar ein Sichtschutz wurde an den Zäunen angebracht.
Selbstverletzungen an der Tagesordnung
Auf der anderen Seite des Hofs stehen der Tunesier Hamsa und andere Männer. "Es ist scheiße hier, sagt der Tunesier Hamsa. Schau ihn an, er schläft mit mir in einem Zimmer, er schreit die ganze Nacht. Er ist völlig kaputt. Er schläft einfach nicht."
Wie der Mitbewohner von Hamsa haben viele der Menschen, die in die Abschiebzentren gebracht werden, psychische Probleme. Zwar kommt zwei Mal pro Woche ein Psychiater, aber das reiche nicht, sagt Hortense Gautier, die für die Hilfsorganisation La Cimade im Zentrum arbeitet. Sie hat es schon erlebt, dass sich Insassen schwer selbst verletzen. Dann werden sie in die Isolationszelle gebracht.
"Das ist eine kleine Zelle, in der es nur eine Toilette an der Wand gibt. Dort werden Menschen hingebracht, die sich selbst verletzt haben, die versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Sie werden dort fixiert, oder mit Kopfschutz eingesperrt, damit sie den Kopf nicht gegen die Wand hauen."
Vor allem unmittelbar vor drohenden Abschiebungen komme es immer wieder zu Selbstverletzungen, sagt Gaultier. Die Polizisten im Zentrum versuchen alles, um das zu verhindern. Alle gefährlichen Gegenstände, vom Gürtel bis zur Rasierklinge sind im Zentrum verboten und müssen bei der Registrierung abgegeben werden.
Draußen, auf dem eingezäunten Hof des Männertraktes, steht eine große Gruppe vor einer Fensterscheibe. Sie starren auf die Zettel auf denen Flugzeiten, Flugnummer, Ziel und Namen sind aufgelistet. Jeder hier soll wissen, wann sein Flieger geht, sagt Commandant Leriche. "Die Flugzeiten werden ausgehängt, die Menschen werden über ihre Abschiebung informiert. Dann bringen wir, die Polizei, die Personen bis zum Flughafen, dort übernehmen dann die Beamten, die für Abschiebungen zuständig sind und die bringen die Menschen ins Flugzeug."
Hoher psychischer Druck - für alle
Dass eine Abschiebung tatsächlich so reibungslos abläuft, wie beschrieben, halten Menschenrechtsorganisationen wie die Cimade für sehr selten. Und auch Anstaltsleiter Bordereau weiß, dass die meisten Menschen in seinem Zentrum alles Mögliche tun, um ihre Abschiebung zu verhindern: "Jedes Mittel ist recht, um eine Abschiebung zu verhindern. Wir haben Menschen, die Unfälle provozieren, die sich weigern, bei ihrem Konsulat vorstellig zu werden und dann haben wir immer wieder auch Selbstverletzung."
Der psychische Druck in den Abschiebezentren wie Mesnil-Amelot ist enorm, für die Insassen und auch für die Polizisten. Lange nicht jeder, der hier landet, wird auch tatsächlich abgeschoben. Die Quote liegt laut Anstaltsleitung bei rund 50 Prozent, auch weil in vielen Fällen keine Rückführungsabkommen mit den Heimatländern vorliegen. 2017, das belegen die Zahlen des Innenministeriums, saßen rund 3.500 Menschen in Mesnil-Amelot ein, rund 1.400 wurden abgeschoben, 1.900 entlassen.
Obwohl Frankreich nach Tunesien abschiebt, hofft Hamsa, einer Abschiebung zu entgehen. Sollte das klappen, will er freiwillig zurück in sein Heimatland. "Ich werde Frankreich erst einmal verlassen, wenn ich aus dieser Geschichte hier raus bin. Ich arbeite hier. Von 2013 bis jetzt. Es ist das erste Mal, dass sie mich in Gewahrsam genommen haben. Zum ersten Mal sitze ich so in der Scheiße. Ich verstehs einfach nicht."
Im Schnitt bleiben die Menschen 17 Tage in Mesnil-Amelot. Bis zu 90 Tagen können sie aber in den Abschiebezentren festgehalten werden. Wer dann nicht abgeschoben wurde, muss entlassen werden. Auch wenn sich an seinem Aufenthaltsstatus nichts geändert hat. Diejenigen, die illegal im Land sind, laufen Gefahr, erneut von den Behörden aufgegriffen zu werden und wieder in einem der Abschiebezentren wie dem von Mesnil-Amelot zu landen.