Dienstag, 30. April 2024

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Abschiebung von Sami A.
"Der Rechtsstaat ist vorgeführt worden"

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum sagte im Dlf, es müsse geklärt werden, warum trotz eines Gerichtsverfahrens Sami A. abgeschoben worden sei. Er forderte zudem, dass bei Abschiebungen gerade in solch schwierigen Fällen der Rechtsstaat nicht auf der Strecke bleiben dürfe.

Gerhart Rudolf Baum Gespräch mit Jasper Berenberg | 17.07.2018
    Ex-Innenminister Gerhart Baum sitzt in einem Sessel in der Talkshow "Günther Jauch" im September 2013
    Ex-Innenminister Gerhard Baum (FDP) will der Kommunikation zwischen Gericht und BAMF auf den Grund gehen: "Es wird ja behauptet, dass das Gericht eine Mitteilung bekommen hat, ihr könnt euch Zeit lassen, der Flug ist abgesagt." (Imago/Müller-Stauffenberg)
    Jasper Barenberg: Am Telefon begrüße ich Gerhart Rudolf Baum, den FDP-Politiker und früheren Bundesinnenminister. Schönen guten Tag, Herr Baum.
    Gerhart Rudolf Baum: Schönen guten Tag.
    "Wir sind einer Fülle von unbeantworteten Fragen ausgesetzt"
    Barenberg: Bei der Absage dieses Treffens heute, dem geplanten in Düsseldorf, da liegt der Zusammenhang mit dem Fall Sami A. ja auf der Hand und ist für Jedermann einsichtig. Ist es in einer solchen Situation klug, dieses Treffen abzusagen, um möglicherweise auch unangenehmen Fragen zu entgehen?
    Baum: Ich glaube nicht, dass eine Pressekonferenz nach diesem Treffen noch mehr Klarheit gebracht hätte. Wir sind ja ausgesetzt einer Fülle von unbeantworteten Fragen. Bei allem, was ich gelesen habe, bin ich auf hohem Niveau verwirrt, muss ich sagen. Eines ist absolut festzustellen: Der Rechtsstaat ist vorgeführt worden. Und alle möglichen politischen Treffen ändern nichts daran, dass die Gerichte das letzte Wort haben. Die Frage ist: Warum hatten sie hier nicht das letzte Wort? Warum ist trotz eines anhängigen Verfahrens abgeschoben worden? Und stimmt es wirklich, dass das BAMF dem Gericht gesagt hat, eine Abschiebung droht nicht, ihr habt noch Zeit? Das muss aufgeklärt werden. Ich kenne Herrn Stamp als einen wirklich besonnenen Mann, der sich über den Rechtsstaat nicht hinwegsetzen würde. Aber die Hintergründe müssen offengelegt werden und da gibt es noch sehr viel mehr.
    "Folter ist ein absolutes Abschiebungshindernis"
    Barenberg: Herr Baum! Lassen Sie uns einen Punkt nach dem anderen vielleicht besprechen. Für Klarheit hätte ja auch eine solche Pressekonferenz ein Stück weit sorgen können. Aber gut, lassen wir das Thema. Sie haben auf den Rechtsstaat angesprochen. Können wir zunächst einmal jedenfalls festhalten: Ein mutmaßlicher Terrorhelfer ist abgeschoben worden, und zwar am Rechtsstaat vorbei?
    Baum: Ja, das ist richtig, obwohl natürlich ein Konsens in unserer Gesellschaft besteht, dass man solche Leute möglichst nicht im Land haben möchte. Aber das geht nur mit einem rechtsstaatlichen Verfahren, und Folter ist ein absolutes Abschiebungshindernis. Das muss man zur Kenntnis nehmen, auch wenn es schmerzt.
    "Hier ist offenbar kein Verfahren möglich gewesen"
    Barenberg: Und dass es schmerzt, sagen Sie deswegen, weil viele Leute sich natürlich auch fragen, wie kann es eigentlich sein, dass ein Mann, der für so gefährlich gehalten wird, der ein mutmaßlicher Terrorhelfer ist, dass ein solcher Mann über Jahre hier leben kann und nicht nach Tunesien abgeschoben werden kann?
    Baum: Ja, diese Frage stelle ich mir auch. Ich stelle mit Verwunderung fest, dass die Tunesier jetzt konkrete Verdachtsmomente haben und offenbar den Mann in ein Strafverfahren ziehen. Ein Strafverfahren hat es hier auch gegeben, das ist eingestellt worden. Und ich frage mich auch: Was haben denn die Amerikaner gemacht? Osama Bin Laden ist für die Amerikaner ein Anlass zum Tätigwerden. Das ist der 11. September. Das ist eine terroristische Vereinigung. Ich habe nie etwas davon gehört, dass die Amerikaner eine Auslieferung dieses Mannes beantragt hätten. Hier ist offenbar kein Verfahren möglich gewesen und in Tunesien findet es statt.
    Barenberg: Aber könnte das, Herr Baum, wenn ich Sie unterbrechen darf, daran liegen, dass es gerichtsfeste Beweise dafür, dass wir es mit einem, ich sage mal grob, Al-Kaida-Kämpfer zu tun haben, der möglicherweise hier nicht nur für seine Sache geworben, sondern möglicherweise auch Anschläge hätte planen können, dass es dafür keine gerichtsfesten und insofern handfesten Beweise gibt?
    Baum: Ja, das liegt nahe. Das ändert aber nichts daran, dass er ein Gefährder ist. Wenn die Voraussetzungen stimmen, dass man ihm zutraut, Gewalt zu fördern und möglicherweise auch Gewalttaten auszuführen, darüber gibt es sicherlich Erkenntnisse. Der Mann musste sich immerhin jeden Tag bei der Polizeibehörde melden. Aber wenn es wirklich um einen konkreten Tatverdacht gegangen wäre, hätten die Amerikaner sicherlich gehandelt.
    Die Frage ist ja, was ist hier im kommunikativen Verhältnis zwischen den Behörden des Bundes und des Landes passiert. Ist das Gericht hingehalten, getäuscht worden? Das muss aufgeklärt werden und das muss auch aufgeklärt werden gegen den ungeheuren Druck, der in der Öffentlichkeit besteht, solche Leute loszuwerden. Man muss die Prinzipien des Rechtsstaats auch in einer solchen Situation hochhalten.
    "Es gibt in Tunesien immer noch Folter und Misshandlungen"
    Barenberg: Jetzt sagen ja manche Beobachter, der Grünen-Parteichef zuletzt, entweder es hat ein unglaubliches Chaos zwischen den beteiligten Behörden gegeben, oder es geht um Kalkül oder Täuschung einiger Verantwortlicher. Sehen Sie neben diesen beiden Dingen noch eine andere, eine dritte Möglichkeit?
    Baum: Nein. Das muss jetzt aufgeklärt werden und es muss auch aufgeklärt werden, welche Zusagen hat eigentlich Tunesien gegeben in Sachen Folter. Wir kennen oder ich kenne nicht die schriftliche Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts. Worauf stützt das Verwaltungsgericht seine Befürchtung, der Mann würde gefoltert. Das möchte ich gerne wissen. Tunesien hat sich in Richtung auf einen Rechtsstaat bewegt, aber es gibt dort immer noch Folter und Misshandlungen. Insofern hat das Gericht offenbar verwertbare Tatsachen, die es seinem Urteil zugrunde gelegt hat.
    Barenberg: Jetzt hat es ja verschiedene Abschiebungen auch nach Tunesien in diesem Jahr bereits gegeben. Es hat sie im letzten Jahr gegeben. Die Zahlen steigen. Wie können Sie das erklären, dass es in diesem Fall offenbar dem Gericht nicht ausgereicht hat, die Zusicherung auch der Diplomaten oder der Regierung in Tunesien, dass es in anderen Fällen aber üblich und vertretbar ist, auch für Gerichte, Menschen zurück nach Tunesien zu schicken?
    Baum: Das wundert mich nicht. Das sind alles unterschiedliche Fälle. Jemand, dem Terrorismus nachgesagt wird, das ist ein anderer Fall als jemand, der nur hier hingekommen ist, um eine bessere Zukunft zu haben. Das sind ganz unterschiedliche Fälle und ich kann verstehen, dass man Abschiebungen nach Tunesien in solchen Fällen, wo Folter und Misshandlung nicht droht, zulässt, aber in anderen Fällen eben nicht.
    "Die letzte Entscheidung trifft das Gericht"
    Barenberg: Wir hatten heute Morgen hier Armin Schuster im Gespräch im Deutschlandfunk, den CDU-Politiker und Sicherheitsexperten. Der hat seinerseits gefragt: Wie kann es eigentlich sein, dass das BAMF beteiligt ist, dass eine Ausländerbehörde beteiligt ist, dass ein Gericht beteiligt ist und ein zweites und verschiedene Regierungsinstanzen, und dass unterschiedliche Einrichtungen zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen kommen, was die Sicherheitslage in Tunesien angeht. Und er hat gesagt, es müsste doch eine einheitliche Einschätzung geben. Kann es die geben? Sollte es die geben in Ihren Augen?
    Baum: Ja. Die muss in letzter Instanz vom Auswärtigen Amt gemacht werden, was die Politik angeht. Das Gericht hat sich auf Informationen, belastbare Informationen offenbar gestützt, und das ist es dann. Was andere Behörden sagen ist wichtig, aber die letzte Entscheidung trifft das Gericht. Herr Stamp hat ja selber immer wieder gesagt, in ein Land, in dem Folter droht, werden wir nicht abschieben.
    Die Frage ist, ob diesem individuellen Tunesier Folter gedroht hat und ob man hier sehenden Auges den Rechtsstaat vorgeführt hat, wie das Gericht jetzt in seiner Verteidigung sagt.
    Barenberg: Das Gericht sagt, es hätte die Behörden aufgefordert, es zu informieren. Dann würde es nämlich von einer Eilentscheidung absehen und die Geschichte in Ruhe entscheiden. So fühlt es sich jetzt getäuscht, weil er dann doch kurzfristig abgeschoben wurde.
    Baum: Aber noch schlimmer! Es wird ja behauptet, dass das Gericht eine Mitteilung bekommen hat, ihr könnt euch Zeit lassen, der Flug ist abgesagt. Sonst hätte das Gericht eine Eilentscheidung getroffen. Wenn das zutrifft, dem möchte ich mal wirklich auf den Grund gehen, und das war die Bundesbehörde BAMF.
    "Rechtsstaat darf nicht auf der Strecke bleiben"
    Barenberg: Was muss denn geschehen, Herr Baum, um Schaden vom Rechtsstaat abzuwenden?
    Baum: Na ja. Alle Politiker jetzt haben ja gesagt, wenn wir das Urteil gekannt hätten, dann hätten wir nicht abgeschoben. Das ist ja schon mal was. Aber das tröstet mich wenig, denn er ist abgeschoben worden. Man muss klarmachen, dass in diesen schwierigen Fällen der Abschiebung, die ohnehin schwer durchzuführen sind, der Rechtsstaat nicht aufgegeben wird, und das müssen die Behörden sagen, bei allem Verständnis dafür, dass die Menschen nicht wollen, dass Gefährder, die unsere Sicherheit gefährden, hier im Lande leben. Aber man muss klarmachen, dass auf diesem Felde der Rechtsstaat nicht auf der Strecke bleiben darf.
    Barenberg: Gerhart Rudolf Baum, der FDP-Politiker und frühere Bundesinnenminister. Danke für das Gespräch heute hier live im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.