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Abschiebungen nach Kabul
Afghanistan-Rückkehrer zwischen Schmerz und Radikalisierung

Seit Dezember 2016 hat Deutschland rund 800 afghanische Asylbewerber abgeschoben. Dabei gilt Afghanistan als das Kriegsland Nummer 1. Viele Abgeschobene waren bereits gut integriert. In der Heimat droht ihnen nun nicht nur Perspektivlosigkeit, sondern auch die soziale Isolation - mit fatalen Folgen.

Von Martin Gerner |
Afghanen stehen nach ihrer Rückkehr an der Passkontrolle in Kabul. 45 abgelehnte Asylbewerber wurden mit dem Sonderflug in Afghanistans Hauptstadt Kabul abgeschoben.
Immer öfter schließen sich abgeschobene Afghanen der Taliban an, da ihnen in der Heimat keine Zukunftsperspektive bleibt (dpa / Michael Kappeler)
Am Kabuler Flughafen spuckt das Gepäckband Koffer internationaler Flüge aus. Wie eine Ware. Als menschliche Ware, die zurück zuhause landet, fühlen sich auch die jungen Männer, die Monat für Monat als Abgeschobene aus Deutschland hier ankommen. Straftäter. Und viele, die es nicht sind. Die deutsche Hilfsorganisation IPSO ist regelmäßig dabei, wenn Rückkehrer landen, so dieser Mitarbeiter:
"Die Abgeschobenen tragen keine Handschellen. Aber es ist schwierig für sie. Sie stehen unter Anspannung. Es sind vor allem junge Männer. Manchmal aggressiv. Die meisten fühlen sich beschämt, hoffnungslos und unfähig zu agieren."
IPSO verteilt in der Wartehalle Broschüren über psychosoziale Hilfsangebote - für Abgeschobene wie für Einheimische: "Wir verteilen die Info-Broschüren, um auf uns aufmerksam zu machen. Damit die Abgeschobenen zumindest eine Idee haben, dass es uns gibt, falls sie Bedarf haben."
Großes Misstrauen und kaum psychologische Unterstützung
Die Bundesregierung sagt, sie trage Sorge für Abgeschobene nach Afghanistan. In Wahrheit ist das Bild alles Andere als rosig. Der Kontakt mit den Abgeschobenen ist schwierig. Viele wollen nicht reden. Das Misstrauen ist groß. Es braucht Zeit, bis sie sich öffnen.

In der Kabuler Innenstadt sitzt die Afghanistan Human Rights and Democracy Organization, eine afghanische NGO, die mit Abgeschobenen und Rückkehrern arbeitet und versucht, ihr Vertrauen zu gewinnen.
"Im Flugzeug hatte ich Schmerzen. Ich war frisch operiert in Deutschland. Der Gurt drückte mich schwer. In Deutschland sollte ich ein Gespräch bei BamF bekommen, für meinen Asylantrag. Aber es kam nicht dazu. Dann wurde ich ohne Vorwarnung abgeholt und abgeschoben."
Mit Handschellen gefesselt schiebt ein Mann am Frankfurter Flughafen seinen Rollkoffer zwischen Polizisten hindurch, ein anderer trägt einen Pappkarton.
Flüchtlingsräte kritisieren, dass gut integrierte Afghanen ohne Aussicht auf eine Perspektive in ihr Heimatland abgeschoben werden, auch wenn ihnen dort Gefahr für Leib und Leben droht (dpa/Boris Roessler)
Hashim A. wurde auf einem der früheren Flüge nach Kabul abgeschoben. Drei Jahre war er in Deutschland. Die Rückkehr: ernüchternd.
"Alles war schwierig hier bei Ankunft hier. Man ist unfreundlich, respektlos mit mir umgegangen. Selbst Leute, die ich kannte, reagierten abfällig", erinnert sich Hashim.
Wenn heute die Abgeschobenen durch die Passkontrolle kommen, werde ihnen oft von afghanischen Beamten das letzte Geld abgenommen, hat die Hilfsorganisation nach Befragung von fünfzig Abgeschobenen festgestellt. In einer neuen Studie schlägt sie Alarm: Deutschland verletze grundlegende Menschenrechte und müsse die Abschiebungen beenden. Zu hoch sei das Risiko für Leib und Leben.
Hashim A. hat Familie in Afghanistan. Aber in ihre Arme kann er nicht zurück.
"Ich war ständig in Angst, weil ich in Deutschland meine Religion geändert habe und das hier geheim halten muss. Ich kann bis heute mit Niemandem darüber reden. Einige wissen, dass ich den christlichen Glauben in Deutschland angenommen habe. Meine Familie wollte ständig wissen, warum ich nicht mehr bete. Sie verstand mich nicht."
Wer so konvertiert, muss, falls es öffentlich wird, mit Verfolgung und Gewalt rechnen. Familie oder Sippe können dagegen Sicherheit geben. Fallen sie weg, wie in Hashims Fall, droht der Fall ins Bodenlose.
"Bekannte, Freunde verspotten mich, weil ich es nicht geschafft habe in Deutschland. Für sie bin ich ein Looser, ein Verlierer", so Hashim.
Es droht gesellschaftliche Isolation
Viele Rückkehrer plagen zudem Schulden. Im Schnitt hat eine Flucht 11.500 US-Dollar gekostet. Die Familien haben Teile ihres Hab und Gut verkauft, um das zu finanzieren. Mit leeren Händen zurückzukommen, stößt deshalb oft auf Unverständnis, so Khatera Safi von der Afghanistan Human Rights and Democracy Organisation:
"So verlieren viele Abgeschobene ihr soziales Netzwerk bei der Rückkehr. Wenn sie nach Europa geschickt werden, erwarten ihre Familien, dass sie Geld aus Europa schicken, damit es der Familie hier besser geht. Passiert das nicht, geraten sie nach der Abschiebung in gesellschaftliche Isolation. Viele werden drogenabhängig. Andere gehen über drei Jahre nicht mehr vor die Tür. Kapseln sich ab von der Außenwelt."
Hashim A. hat bei der Hilfsorganisation eine Anlaufstelle für seine Seele gefunden. Arbeit und ein Einkommen sucht er nach wie vor. Ein Zukunft auch:
"Ich bin verwirrt im Moment. Hier in Afghanistan sehe ich keine Zukunft. Ich habe Arbeit und Ausbildung hier abgebrochen. In Deutschland habe ich drei Jahre verloren. Wofür das alles? Ich mache mir große Sorgen und hoffe, Gott steht mir bei."
Neben der psychischen und physischen Not, ist Radikalisierung offenbar ein neues Phänomen unter Abgeschobenen, so Khatera Safi, die die Interviews mit den Rückkehrern geführt hat.
"In einem Fall in der Provinz Nangarhar, der uns berichtet wurde, ist ein Abgeschobener zu den Taliban übergelaufen. Dort bekommt er jetzt 1.000 Dollar im Monat, dem Hören nach. Andere, die wir befragt haben, drohen damit: wenn die Regierung uns nicht hilft, werden wir uns den Taliban anschließen, sagen sie. Auch in Mazar, Baghlan und Kunduz haben so etwas gehört. Sie meinen es ernst. Weil sie sich von der Regierung betrogen fühlen."
Jeder Zehnte ist bereit, sich zu radikalisieren
Jeder Zehnte sei so bereit, sich zu radikalisieren. Um dem entgegenzuwirken wäre Psychotherapie ein Schlüssel, die Abwärtsspirale bei den Abgeschobenen zu durchbrechen. Allerdings habe von den fünfzig befragten Rückkehrern und Abgeschobenen, kein Einziger an einem Hilfsprogramm teilgenommen, so Khatera Safi.
"Es gibt keine Kliniken und keine Fachkräfte für Psychologie in Kabul. Was es gibt, sind Sozialarbeiter, die allgemeine Beratungen machen."
Auf die Frage, ob es keinen Fortschritt gebe nach 18 Jahren Intervention, sagt sie: "Überhaupt nicht. Im Bereich der klinischen Psychologie hat es gar keine Hilfe gegeben. Das ist hier unbekannt. Was es gibt, sind TV-Shows im Fernsehen, wo solche Leute bekannt werden. Aber das ersetzt keine fachliche klinische Psychologie."