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Absichtlich langweilige Zeigefingerpädagogik

Thomas Jonigk war zuletzt Hausautor am Schauspiel Zürich, hat Erfahrung als Regisseur und Dramaturg an bedeutenden Bühnen, weiß, wie Theater funktioniert. Sein neues Stück "Hotel Capri" am Münchner Residenztheater erzählt von verpassten Liebeschancen und dem Umgang mit Homosexualität.

Von Rosemarie Bölts |
    Was soll man davon erwarten? Ein gebeugter, alter Mann in feinem Zwirn und mit einem "von" vor dem Namen, hockt völlig deplatziert in einem heruntergekommenen Hotelzimmer, in dem das Wildeste die großvolumige Palmentapete ist. Alles gräulich und in diesem schalen Grün wie die Patina, die sich mangels Pflege und offenem Klartext mit den Jahren an Sachen und Seele bildet. (Ein auch nicht ganz sauberer Hoteldirektor mit zu kurzen, beigen Socken und fettigen Kringelhaaren, der unaufhörlich von der gesicherten "Privatsphäre" und "Diskretion" des Hauses faselt. Ein traniges Zimmermädchen in knallenger, durchscheinender Caprihose, das nutzlos, aber neugierig im Zimmer herumlümmelt. Zwei Jungs in Turnhosen und -hemdchen, die sich - Tür auf, Tür zu - in spät pubertierender Manier küssen, umarmen und miteinander auf dem Bett balgen.)

    In dieses triste Ambiente, in dem die Zeit aus den 60ern stehen geblieben scheint, platzen die schrille, in Glitzerpink kostümierte Prostituierte Christine und ihr wurstiger Spießergeselle Hubert, der seine Liebeserklärung mit einem Konfettiregen garniert. Erfolglos, wie die überdrehte Christine dem unfreiwilligen Zimmergenossen Werner von Späth in ihrem Statement über "Liebe" vorrattert:

    "Man muss ja froh sein, wenn man überhaupt etwas empfindet. Andererseits, ob das dann Liebe ist. Könnte auch Schadenfreude sein. Oder Sadismus. Die Liebe ist nämlich, sieht aus, als würden Sie sich kümmern, gesund pflegen, und in Wirklichkeit geht es mir am Arsch vorbei. Ich meine jetzt nicht Sie! Die meisten haben dieses Helfersym-syndrom, dieses Psycho-, wie heißt das noch mal, das ist doch pathologisch!"

    Alles nur Zutaten der Banalität des Alltags zur verpassten Chance, der der von Sarkasmus und sichtbarem Leiden gekennzeichnete Mann in diesem Hotelzimmer hinterher trauert. Hier hat er seine ersten sexuellen Erfahrungen mit Fußballfreund Franz gehabt und, den dann, oh verklemmte 60er-Jahre, beim Trainer denunziert. Ja, es geht im "Hotel Capri" mit dem Pädagogenfinger um die Normalität von Homosexualität, verpasste Liebeslebenschancen und ein schlechtes Gewissen, das zusammen genommen in der weinerlichen Altersmelancholie von Werner mündet:

    "Wie lange ist das her? 50 Jahre? Warum wolltest du mich sehen? " - "Als ich deinen Brief bekommen habe, Absender: Werner von Späth. Ich musste richtig überlegen, was es ist. Ich wusste nicht, wer du bist." - "Gelogen." - "Was willst du denn hören?"

    Dem Autor dieses Auftragsstücks "Hotel Capri", Thomas Jonigk, ist es, wie er ausführlich im Programmheft schreibt, ein Anliegen, Homosexualität als normal vor Augen zu führen. Das macht er, unterstützt von der Regie Tina Laniks dadurch, dass alle anderen, nämlich Heterosexuellen drum herum ein exaltiertes, schrilles, überkandideltes, absurdes Verhalten an den Tag legen dürfen. Ach, diese oberflächlich daherplappernden, degenerierten Heteros, so komisch, wirklich. Und die Regie legt noch eines drauf, bis zum Klamauk. Ernsthaft mit tragischen Zügen und angedeuteter Tiefe von Schicksal sind nur die Dialoge zwischen Werner und Franz, in denen Franz Werners Erwartungen enttäuscht. Er ist ja gar nicht wegen Werner im Berliner Strichermilieu gelandet und hat das nur mit Drogen und Alkohol ertragen, sondern führt, dank bekennender Homosexualität, ein glückliches Leben. Da gerät das Stück auch mal unfreiwillig zu loriotscher Güte:

    "Ich bin gleich nach der Schule nach Duisburg gezogen, wo ich eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gemacht habe. Danach habe ich vier Jahre in einem Spezialgeschäft für Sportartikel gearbeitet, in Amberg. Dort hab ich auf einem Schützenfest den Richard kennengelernt, mit dem ich seit 1974 zusammen bin. Seit 2002 offiziell verpartnert bin. Seit 1998 arbeiten wir gemeinsam in seinem Reisebüro."

    Das ist nicht Theater, das ist Zeigefingerpädagogik. Absichtlich, langweilig. So bemüht. Trotz der ausgewiesenen Staatsschauspieler, die zwischen sarkastischer Ironie und trotziger Lebensperspektive agieren. Trotz Lambert Hamel zum Beispiel, der den Werner mit einfachsten Mitteln einfach großartig spielt. Trotz Juliane Köhler als "Christine", die sich abrackert, als ginge es um was. Trotz des ganzen Aufwands, der mit solch einer Uraufführung verbunden ist. Ist ja alles schön, aber nicht gut.