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Adam Tooze
"Crashed"

Die Wahl von Donald Trump, der Brexit und der Aufstieg der Populisten: Das seien alles Folgen der Weltfinanzkrise vor zehn Jahren, schreibt der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze. Damals sei das Vertrauen der Bürger in die Wirtschaft und die politischen Institutionen zerstört worden.

Von Thomas Fromm | 24.09.2018
    Collage: links das Buchcover "Crashed", vom Siedler-Verlag; rechts ein Porträt des Autors Adam Tooze.
    Adam Tooze erzählt die Geschichte der Finanzkrise anschaulich, manchmal auch sehr lakonisch. Das macht das Buch trotz seiner 800 Seiten sehr gut lesbar. (Buchcover: Siedler Verlag, Porträt Adam Tooze: picture alliance / Ger Harley / EdinburghElitemedia)
    Charles "Chuck" Prince wollte nicht aufhören, seine Deals zu machen. Noch im Sommer 2007, kurz bevor die Finanzkrise richtig eskalierte, sagte der damalige Chef der amerikanischen Großbank Citigroup: "Man muss aufstehen und tanzen, solange die Musik spielt. Wir tanzen immer noch."
    Ein paar Monate später war das Tänzchen vorbei. Die Citigroup wurde von der Finanzkrise sozusagen mitten auf der Tanzfläche erwischt. Auf die riskanten Milliardengeschäfte mit faulen Wertpapieren kamen die Milliardenabschreibungen, dann flossen die Staatshilfen aus Washington: unfassbare 45 Milliarden US-Dollar, damit die Bank überleben konnte.
    Auf die Finanzkrise folgt der Populismus
    Nach der Finanzkrise kam die Euro-Krise, kam die Brexit-Abstimmung, kam Donald Trump. Ein Präsident, der einen Wahlkampf gegen die Eliten geführt hatte, gegen das Establishment, gegen die Wall Street und die Notenbank. Einer, der den Freihandel nicht mag und lieber seine eigenen Deals macht. Ist das Zufall?
    Nein, sagt Adam Tooze, Wirtschaftshistoriker an der Columbia University:
    "Trump bot einer verunsicherten Gegenwart eine Rückversetzung in eine frühere Ära an. Geboren im Jahr 1946, demselben Jahr wie Bill Clinton, war Trump 70, als er das Amt antrat. Trumps rassistische Einstellungen spiegelten die Animositäten während der Ära der Bürgerrechte, der Aufhebung der Rassentrennung und New Yorks in den 1970er-Jahren wider. Sein rüpelhaftes Auftreten und sein Sexismus erinnerten an die Manhattaner Party-Szene der 1980er-Jahre."
    Mit seiner Parole "America first" wurde ausgerechnet dieser unberechenbare Immobilien-Milliardär für viele Wähler zur Alternative.
    Der Autor Tooze erklärt es so: Die Finanzkrise machte viele Amerikaner anfällig für die laute Systemkritik eines Donald Trump. So gesehen ist der 45. Präsident der Vereinigten Staaten auch der Kollateralschaden eines entfesselten Kapitalismus.
    Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung im Peabody Opera House in St. Louis am 11. März 2016
    Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung im Peabody Opera House in St. Louis am 11. März 2016 (imago/UPI Photo)
    Grenzenlose Krise
    In den Jahren vor der großen Finanzkrise wurden Finanzmärkte dereguliert, Technologieaktien gingen durch die Decke und mit ihnen die Boni der Banker. Ein Eldorado für all jene, die mitverdienen wollten.
    In den USA boomte der Immobilienmarkt, auch weil denen Kredite gewährt wurden, die kein oder nur geringes Einkommen hatten, keine Sicherheiten, keine Perspektiven. Die Strategen in der Finanzindustrie machten es sich einfach: Kredite wurden "verbrieft", also zusammen mit vielen anderen Krediten zu Wertpapieren gebündelt und verkauft.
    "Spätestens 2005 lag auf der Hand, dass die minderwertigen Hypothekenanleihen eine Zeitbombe waren. In vielen Subprime-Hypothekenverträgen war ein scharfer Anstieg der Zinsen nach einer Laufzeit von zwei oder drei Jahren vorprogrammiert."
    Als die Blase dann platzte, waren die Auswirkungen verheerend. Auch das war auf einmal Globalisierung: Geplatzte Immobilienkredite aus Arkansas oder South Carolina waren als verbriefte Wertpapiere überall gelandet, bei der Royal Bank of Scotland ebenso wie in den Bilanzen deutscher Landesbanken. Gleichzeitig schrumpfte seit Jahren schon die traditionelle US-amerikanische Industrie - alles zusammen wurde zu einer Steilvorlage für Populisten.
    "Die Krise, die für immer mit dem Jahr 2008 assoziiert werden wird, war keine Krise der amerikanischen Staatsschulden, angetrieben von einem chinesischen Ausverkauf, sondern eine Krise, die dem westlichen Kapitalismus absolut immanent war: ein Crash an der Wall Street, der von toxischen, verbrieften Subprime-Hypotheken ausgelöst wurde und sogar drohte, Europa mit in den Abgrund zu reißen."
    Wie die Krise die Gesellschaften spaltete
    Von der Subprime-Krise der USA zur Staatsschuldenkrise in Europa, von den Kreditnehmern in South Carolina zu den Euro-Verlierern nach Athen und Palermo - die Krise war längst transnational, reichte von den USA über West- und Osteuropa bis nach Russland und Asien - und spaltete die Gesellschaften. Bis heute.
    "Nicht das Elend der Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und Griechenland machte die Eurokrise zu einem Gegenstand globaler Sorge. Die Welt erkannte erst spät die 'populistische Gefahr', wie sie genannt werden sollte.
    Tooze weiß, wie aus Krisen zuerst Stimmungen, dann populistische Strömungen und schließlich totalitäre Systeme werden können. In einem seiner früheren Bücher hat er sich mit der Wirtschaft im Nationalsozialismus beschäftigt.
    "Crashed" ist daher ein mahnendes Buch, das nach Zusammenhängen fragt. Wie werden aus Verschiebungen in der Weltordnung auf einmal Erdbeben? Er fragt, ob wir "schlafwandelnd in die Krise hineingeraten" sind? Und erklärt, warum diese Krise wieder eskalieren kann - und beim nächsten Mal noch schlimmer ausfallen könnte.
    Lakonisch und lesbar
    Der Autor erzählt die Geschichte anschaulich, manchmal auch sehr lakonisch, und das macht das Buch trotz seiner 800 Seiten und der Schwere des Stoffes sehr gut lesbar. So wie bei jener Beschreibung eines G20-Treffen vom April 2009 in London, bei dem es um die Frage ging, wie die Finanzmärkte nach dem Krisen-Schock stabilisiert werden können.
    Es sind Szenen voller Tragikomik, die zeigen: Die Eliten hatten ihre Krise nicht im Griff.
    "Als die G20-Regierungschefs sich an jenem Nachmittag im Buckingham Palace versammelten, kam es zu einer Freak-Show von überdimensionierten Persönlichkeiten", schreibt Tooze. Und weiter: "Wenn Sarkozy sich nicht gerade in Szene setzte, beschäftigte er sich ostentativ mit seinem Handy. Der Italiener Silvio Berlusconi war unüberhörbar bemüht, Obamas Aufmerksamkeit zu ergattern; im Übrigen neigte er dazu, einzunicken. Merkel zeigte sich stoisch und unnachgiebig. Etliche Regierungschefs waren nicht in der Lage, sich fließend auf Englisch zu verständigen, und die meisten von ihnen verstanden auf fachlicher Ebene kaum etwas von der Materie, um die es ging."
    Was ja vielleicht auch ganz hilfreich sein konnte: Giulio Tremonti, damals Finanzminister in Rom, war sich schließlich sicher: Italiens Bankenszene sei fein aus dem Schneider, weil dort eh niemand Englisch spreche. Kein Englisch, keine gefährlichen Deals, keine Finanzkrise in Rom - wenn es nur so einfach gewesen wäre.
    Adam Tooze: "Crashed. Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben"
    Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, Karsten Petersen, Thorsten Schmidt.
    Siedler Verlag, 800 Seiten, 38 Euro.