Freitag, 03. Mai 2024

Nach Marathon-Weltrekord
Der Hype um die Super-Laufschuhe

Tigist Assefas Fabel-Weltrekord im Marathon hat auch einen Hype um den Laufschuh der Äthiopierin entfacht. Der Hersteller erhofft sich auch Rekorde beim Umsatz. Doch für Amateurläufer erscheint der Wunderschuh nur bedingt geeignet, nicht nur wegen des hohen Preises.

Von Mischa Ehrhardt | 21.10.2023
Tigist Assefa nach ihrem Weltrekord im Marathon in Berlin
Vom Marathon-Weltrekord von Tigist Assefa will auch Schuh-Hersteller Adidas profitieren (Tobias SCHWARZ / AFP)
Auf den Straßen Berlins schreibt Tigist Assefa Sportgeschichte. Sie pulverisiert den bisherigen Marathon-Weltrekord der Frauen regelrecht. Um mehr als zwei Minuten ist sie schneller als die bislang schnellste Frau der Welt.
Tigist Assefa rennt mit neuen Schuhen der Marke Adidas. In Laufforen werden die nun rauf und runter diskutiert - allein schon wegen ihres Preises. Denn für die märchenhaften Siebenmeilenstiefel im Leichtbauformat müssen interessierte Läufer*innen rund 500 Euro auf den Tisch legen. Und es sind nicht sie einzigen, die so funktionieren.

Viele große Hersteller vermarkten "Super-Schuhe"

"Diese Super-Schuhe gibt es ungefähr seit 2016, als Nike den mittlerweile berühmt-berüchtigten 'Vaporfly-4-Percent'-Schuh eingeführt hat", sagt Steffen Willwacher, Professor für Sportwissenschaften an der Hochschule Offenburg. "Und wenn man sich die Entwicklung der Bestzeiten auf der Welt anschaut, kann man davon ausgehen, dass es Performance-Verbesserungen von zwei bis drei Prozent geben kann. Mittlerweile hat fast jeder Hersteller seine eigene Version eines Super-Schuhs auf dem Markt. Ich würde sagen, dass die Competition etwas fairer geworden ist, auch wenn natürlich jeder Hersteller versucht, sein Produkt noch weiter zu verbessern."
Adidas tut das mit seinem neuen Modell vor allem über das Gewicht. Mit 140 Gramm in der amerikanischen Standardgröße 9 setzen die Rennschuhe neue Maßstäbe. Wie bei anderen Profi-Laufschuhen steckt viel Federung in der Sohle. Und Carbon-Elemente sollen einen Teil der Energie der Läuferinnen und Läufer bei jedem Schritt zurückgeben.
"Ich habe mich sehr gut vorbereitet und ich habe neue Schuhe bekommen, einen der schnellsten Schuhe der Welt. Wir werden dann sehen, was morgen dabei herauskommt", sagte der deutsche Marathon-Rekordhalter Amanal Petros vor dem Berlin Marathon. Heraus kam auch für ihn eine neue Bestzeit - und damit ein neuer deutscher Rekord.
Allerdings weist der österreichische Leichtathletik-Trainer Johannes Langer, auch Organisator des Wiener Marathons, darauf hin, dass neue Rekorde nicht nur vom passenden Schuhwerk abhängen. "Leistung setzt sich immer aus vielen Komponenten zusammen. Man kann nicht sagen, das ist jetzt das, was mich so beschleunigt hat, dass ich um Einiges schneller laufe. Laufschuhe spielen eine Rolle. Aber das Wesentliche ist immer noch das, was in den Schuhen drinnensteckt - und das ist der Mensch."

Marathon als "globales Business"

Neben dem Schuh spielen also viele Faktoren eine Rolle bei den Leistungssteigerungen auf Rennbahn und Straße. Beim Marathon gibt es außerdem eine zunehmend starke internationale Konkurrenz und spezielle Trainingslager, unter anderem in Afrika. Dort bereiten sich Athletinnen und Athleten gezielt auf die weltweit mittlerweile über 5000 City-Marathons vor. Dort zahlen Mitlaufende nicht nur hohe Startgelder, für Siegerinnen und Sieger winken auch hohe Preisgelder.
"Das Thema Marathon ist ein globales Business, das für viele interessant ist. Auch für Management Strukturen, die sich Stützpunkte in Afrika aufgebaut haben und versuchen, sagen wir es ganz einfach, ordentlich Geld zu verdienen", sagt Coach Langer.

500 Euro für 100 Kilometer Laufleistung - "Wunderschuhe" mit schlechter Ökobilanz

Doch zurück zu den sogenannten Wundertretern. Das Versprechen nach mehr Schnelligkeit ist nicht alles, was diese mit sich bringen: Neben dem stolzen Preis gibt es auch ein Problem bei der Nachhaltigkeit. Für mehr als rund 100 Kilometer sind die empfindlichen Federleichtgewichte nämlich kaum zu gebrauchen. 500 Euro, ein bisschen Einlaufen, ein Marathonrennen - und das war's also.
"Grundsätzlich kann man das natürlich kritisch hinterfragen. Man muss überlegen, ob man solche Produkte vielleicht auch recyceln kann. Dazu habe ich allerdings keine Informationen", sagt Sportökonom Willwacher.
Von Adidas selbst heißt es dazu, der Konzern treibe den Einsatz nachhaltiger Materialien voran und auch der neue Evo 1 enthalte nachhaltige Materialien. Das ist eine eher allgemeine Antwort auf die Frage, wie sich die kurze Laufzeit des Schuhs mit den selbst gesetzten Zielen der Nachhaltigkeit vereinbaren lässt. Jedenfalls ist ein weiteres Problem hochspezieller Laufschuhe, dass sie eine sehr gute Lauftechnik erfordern - vor allem auf langen Distanzen.

Für Amateure nur bedingt geeignet

Dazu Sportwissenschaftler Steffen Willnacher: "Das Laufen mit diesen Schuhen fühlt sich deutlich anders an als das Laufen mit traditionellen Laufschuhen. Das heißt, bevor man damit einen Wettkampf macht, sollte man auch einen Gewöhnungslauf machen. Denn, immer wenn ich - durch welche Schuhtechnologie auch immer - eine Veränderung des Laufstils habe, habe ich auch eine Veränderung der biologischen Strukturen in den unteren Extremitäten, also der Muskeln, der Knochen, der Sehnen und Bänder, die letztlich unsere Füße und Beine ausmachen."
Neben dem Preis und der kurzen Lebensdauer sollten Amateursportler*innen sich also gut überlegen, ob diese oder andere Profi-Laufschuhe auch die richtige Wahl für sie selbst sind.