Mehr Geld gleich mehr Medaillen. Das war 2016 die Rechnung von Sport und Politik, als die Spitzensportreform verabschiedet wurde. Die Förderung von Sportlerinnen und Sportlern sollte vereinfacht, Strukturen flexibler werden – im Gegenzug sollte der Bund mehr Steuergeld bereitstellen.
Mehr Geld ist auch tatsächlich geflossen. Das Bundesinnenministerium (BMI) hat im vergangenen Jahr 180 Millionen Euro an die Sportverbände weitergegeben, eine Verdopplung im Vergleich zu 2013. Die Zahl der Medaillen sinkt aber weiterhin.
"Die Reform ist nicht gescheitert, aber wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir nachsteuern müssen", sagte Torsten Burmester, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes, im Deutschlandfunk-Sportgespräch.
Burmester: "Wir sind manchmal ein Tanker"
"Wir haben im Moment im Bereich der Mittelvergabe bis zu sieben Beteiligte. Das ist in der Tat ineffizient, da müssen wir wesentlich schneller werden. Ich glaube, wir sind manchmal ein Tanker in der Spitzensportförderung. Wir sind zu langsam, was den Weltstandard angeht. Wir sind zu wenig innovativ, wir müssen digitaler werden."
Um dieses Problem zu beheben, arbeite der DOSB gerade mit dem BMI daran, eine Agentur für Spitzensport zu gründen, die künftig das Geld verteilen soll – unter sportfachlichen Gesichtspunkten. Details, wie die Agentur aussehen soll, sind aber noch offen.
Klar ist, dass in anderen Ländern das Geld effizienter genutzt wird: In den Niederlanden ist der Etat zum Beispiel zwar kleiner, Athletinnen und Trainer werden aber besser und verlässlicher bezahlt als in Deutschland. "Wir können unseren qualifizierten Trainerinnen und Trainern nur bedingt taugliche Jobs anbieten, weil sie erstens schlecht befristet sind und zweitens schlecht bezahlt", bemängelte Burmester.
Im förderalen System fehlt die Mittelkonzentration
Hinzu kommt die föderale Struktur des deutschen Sports: Es gibt 13 Olympiastützpunkte und fast 200 Bundesstützpunkte. In anderen, erfolgreicheren Ländern gibt es weniger Zentren für den Spitzensport – dafür aber mit besten Trainingsbedingungen und täglichem Konkurrenzkampf zwischen den Top-Sportlerinnen und -Sportlern des Landes.
"Die Frage stellt sich immer: Wie setzt man Mittel effizienter ein? Und dazu gehört auch, dass man überlegt, zu konzentrieren. Natürlich ist das eine Option. Und ich gehe davon aus, dass wir gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium und den Ländern auch entsprechend über das Thema Stützpunkte sprechen werden", unterstrich Burmester.
Womöglich könnten auch deswegen einige Stützpunkte geschlossen werden, weil der deutsche Sport sparen muss. Die Bundesregierung hat im aktuellen Haushaltsentwurf zehn Prozent weniger für den Sport-Etat eingeplant.
Regierung will in Forschung und bei Sport-Infrastruktur Mittel einsparen
Die Verbände trifft es mit einem Minus von zwei Prozent noch recht wenig. Bei den Zuschüssen für die Sport-Infrastruktur sind die geplanten Einsparungen hingegen deutlich größer – genauso wie bei den Instituten für Angewandte Trainingswissenschaft und Forschung und Entwicklung von Sportgeräten.
Der Vorstandschef des DOSB betont: "Die sind aus unserer Sicht schmerzhaft und sind auch in Bereichen außerhalb des Leistungssports schmerzhaft. Wenn ich an den Bereich Integration und Zuwanderung denke, auch wenn ich an den Bereich Freiwilligendienste denke, dort werden Mittel massiv eingespart und das führt wirklich zu Problemen auch an der Basis im Sport."
Der DOSB und seine Mitgliedsverbände haben deswegen unter der Woche eine große Kampagne gestartet, um zumindest einen Teil der Kürzungen noch verhindern zu können. Der Bundestag debattiert in den kommenden Wochen über den endgültigen Haushalt.
Zukunftsprojekt: Austragung der Olympischen Spiele
Um den Sport-Standort Deutschland zu verbessern, auch im Breitensport, braucht es in den Augen von Burmester ein Zukunftsprojekt: "Dafür ist es erforderlich, ein Ziel zu haben. Und dieses Ziel können Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland sein."
Olympia könne nach den letzten Krisenzeiten nicht nur ein Zugpferd für den Sport, sondern auch für die Wirtschaft sein. Ein solches Zukunftsprojekt könnte laut Burmester die gesamte Situation des Sports in Deutschland verbessern: "Sie brauchen eine Bewegung. Sie brauchen einen Sog. Sie brauchen ein Ziel. Sie brauchen ein Projekt. Und dieses Projekt sind diese Olympischen Spiele."
Leistungsdebatte ist eine "Scheindebatte"
Bei den letzten Olympischen Spielen in Tokio 2021 hat das deutsche Team 37 Medaillen gewonnen und damit die wenigsten seit der Wiedervereinigung.
Auch die eben stattgefundene Leichtathletik-WM in Budapest war historisch: Denn noch nie zuvor sind die deutschen Leichtathleten bei einer WM leer ausgegangen. Anhand von diesen Ergebnissen eine Verbindung zu den schwachen Wirtschaftszahlen zu ziehen und zu postulieren, dass Deutschland ein "Leistungs-Problem" habe, davon hält Burmester wenig.
Er sagt: "Das ist wirklich eine Scheindebatte, die gerade geführt wird. Und der Höhepunkt dieser Scheindebatte ist es dann noch, wenn da die Bundesjugendspiele als Beispiel herangezogen werden."
Die deutschen Athletinnen und Athleten hätten ihr Bestes gegeben. Von daher gebe es keinen Grund, "den Sport jetzt als Beispiel dafür zu nehmen, dass wir ein generelles Problem mit dem Wort Leistung in Deutschland haben", sagte Burmester im Deutschlandfunk.
Der schwierige Umgang mit Russland im Weltsport
Der DOSB-Vorstandsvorsitzende äußerte sich auch zum Umgang mit Russland im Weltsport nach der Invasion in der Ukraine. Das IOC hatte im März empfohlen, einzelne russische Sportlerinnen und Sportler unter neutraler Flagge zuzulassen, wenn diese den Krieg nicht aktiv unterstützen und keine Verbindung zum Militär haben.
"Wir haben gesagt, wir können uns eine Teilnahme von neutralen Athletinnen und Athleten nur dann vorstellen, wenn das unter strikten Bedingungen geschieht", so Burmester. "Diese strikten Bedingungen sind formuliert und sie werden von den einzelnen Weltverbänden umgesetzt – zugegeben in unterschiedlichen Varianten."
Die Verbände würden sich aber zunehmend anpassen und sensibel mit dem Thema umgehen. Als Beispiel nannte Burmester den Welt-Fechtverband, der den obligatorischen Handschlag am Ende eines Kampfs abgeschafft hat, nachdem die ukrainische Fechterin wegen der Verweigerung nach einem Kampf mit einer Russin disqualifiziert worden war.
Burmester sieht "viel Ad-hoc-Handeln" im Sport
In diesem Zusammenhang forderte Burmester eine generelle Debatte darüber, wie der Sport weiterhin ein Ort bleiben kann, der Begegnungen zwischen Menschen ermöglicht: "Wo wir einen Bedarf haben, ist darüber nachzudenken, wie wir auf Menschenrechtsverletzungen, Angriffskriege, auch im Sport eine Antwort finden können. Ich glaube, da gibt es im Moment viel Ad-hoc-Handeln."
Gleichzeitig lehnte Burmester ab, "dass der Sport die Projektionsfläche für ungelöste Konflikte in der Politik ist." Der DOSB werde in Zukunft bei kritische Themen aktiv besetzen – auch, um Athletinnen und Athleten vor Diskussionen zu schützen, die von Außen an sie herangetragen werden.