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Adipositas-Operationen
Chirurgie für Bauch und Psyche

Die Deutschen werden dick und dicker, zwei Prozent der Erwachsenen gelten sogar als gefährlich adipös. Abnehmen gelingt aber vielen – aus unterschiedlichen Gründen – nicht. Als Möglichkeit bleibt dann oft nur eine Operation. Die verändert aber nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche: Nebenwirkungen nicht ganz ausgeschlossen.

Von Volkart Wildermuth | 28.03.2017
    Seitenansicht eines nackten adipösen Menschen. Das Bild zeigt die Hälfte des Rücken im Anschnitt, von der Schulter bis zum Becken mit einem ausgestreckten Arm.
    Seitenansicht eines adipösen Menschen. (imago/Xinhua)
    Schnitzel bis über den Tellerrand, Softdrinks, danach eine Süßigkeit. Die Angebote sind verlockend und allgegenwärtig. Da fällt es mitunter schwer, Maß zu halten.
    "Die Genetik, die wir in uns tragen, die Umwelt, in der wir leben, das passt nicht zusammen. Und manche habe eine starke Kontrolle und manche nicht. Das ist auch angeboren. Das ist mir immer ganz wichtig: Das Ausmaß an Willensstärke - in Anführungszeichen - ist nicht etwas, was ich einfach verändern kann."
    Martina de Zwaan ist Professorin für Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie kennt viele Menschen, die erst erfolgreich abgenommen haben, nur um wieder zuzulegen, wenn Stress im Beruf, ein Todesfall oder andere Herausforderungen das Ziel der Gewichtsabnahme wieder in den Hintergrund gedrängt haben. Wenn dann gar kein Halten mehr ist und sich Pfund auf Pfund häuft, kann die Adipositas-Chirurgie helfen - in Deutschland jedes Jahr bei fast 10.000 Patienten. Realistisch lässt sich mit dem Eingriff etwa die Hälfte des vorherigen Übergewichts abbauen, und das senkt nicht nur das Risiko, an einer Zuckerkrankheit oder Herzkreislaufproblemen zu erkranken, das tut auch der Seele wohl.
    "Es ist natürlich auch extrem verstärkend, in so kurzer Zeit so viel Gewicht abzunehmen. Das schmilzt ja mehr oder weniger dahin, nach einem halben Jahr statt 150 Kilo 100 Kilo zu haben, die fühlen sich oft wie eine Feder, obwohl sie immer noch 100 Kilo haben."
    Mitmenschen reagieren anders, freundlicher
    Die Beweglichkeit nimmt zu, oft reagieren auch die Mitmenschen anders, freundlicher. Die Beziehung zum Umfeld ist dabei nicht der einzige Bereich, den eine Adipositas-Chirurgie beeinflusst. Die Patienten müssen Vitamintabletten und Spurenelemente nehmen, vor allem aber können sie nur noch ganz kleine Portionen essen. Das ist jetzt keine Frage des Willens mehr, ein Schlemmermahl ist physisch schlicht nicht mehr möglich.
    "Interessanter Weise durch die Operation werden auch Hormone im Magen-Darm-Trakt verändert. Das heißt, viele Patienten haben gar nicht mehr so viel Hunger oder Gier, es fällt ihnen in der Regel gar nicht mal so schwer, weniger zu essen."
    Einer oder eine von fünf Patienten entwickelt nach der Adipositas-Chirurgie allerdings Probleme, nicht im Körper, sondern in der Psyche.
    "Es gibt aber durchaus eine Subgruppe, die darunter leidet, dass sie nicht mehr dieselben großen Mengen essen können, und dann kommt es fast zu einer Trauer-Reaktion, wenn sie bemerken, dass Dinge, die vorher Comfort Food waren, also angenehme Nahrungsmittel, nicht mehr essbar sind."
    Vereinzelt entwickelt sich eine andere Sucht
    Einige Patienten verspeisen dann nicht eine große, sondern ganz viele kleine Portionen. Dagegen kann dann auch ein Magenband nicht ankommen. Vereinzelt entwickeln die Patienten auch eine andere Sucht. Gerade nach einem Magenbypass wird Alkohol schneller aufgenommen, das kann in eine Abhängigkeit führen. Schließlich kann nach der Operation auch eine Depression entstehen, vor allem dann, wenn der schlankere Körper nicht zu den erhofften Veränderungen im sozialen Umfeld führt. Den allermeisten Patienten helfen die körperlichen Verbesserungen über diese psychischen Herausforderungen hinweg. Es sei aber wichtig, die wenigen, bei denen es anders ist, schnell zu entdecken, betont Martina de Zwaan.
    "Jeder, der mit diesen Patienten arbeitet, soll aktiv nach Depression oder Suizidalität fragen. Also es ist durchaus so, dass man das, was nachher an Problemen auch psychischer Art auftritt, behandeln kann, erfolgreich behandeln kann."
    Damit nicht nur der Körper schlanker, sondern auch der Geist zufriedener wird.