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"Die Gemäßigten haben das Heft des Handelns verloren"

Frauke Petry, ehemalige Vorsitzende der Alternative für Deutschland, hat ihren alten Parteikollegen vorgeworfen, sich "in Rekordtempo" zu einer etablierten Partei entwickelt zu haben. Es gehe nicht mehr um die Umsetzung von praktischer Politik für den Bürger, vielmehr stehe die Belohnung von Gefolgsleuten im Vordergrund, sagte sie im Dlf.

Frauke Petry im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 14.11.2017
    Die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry spricht in Rodgau bei einer Diskussionsveranstaltung, wo sie den Startschuss für ihr neues Bürgerforum "Blaue Wende" gab.
    Die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry und Initiatorin des Bürgerforums "Blaue Wende" (dpa-Bildfunk / Frank Rumpenhorst)
    Dirk-Oliver Heckmann: In Berlin, da befinden sich die Sondierungen zur Bildung einer Jamaika-Koalition ja in der entscheidenden Woche. Bis Freitag muss ausgelotet sein, ob Koalitionsgespräche überhaupt sinnvoll sind. Viele blicken da gebannt Richtung Hauptstadt. Ein bisschen unter geht dabei die Frage, was eigentlich die Opposition in spe so treibt. Über Die Linke haben wir bereits gesprochen mit Dietmar Bartsch in dieser Sendung. Aber auch bei der AfD tut sich einiges. Da geht es darum, wer die Partei nach dem Weggang von Frauke Petry führt. Jörg Meuthen hat jetzt angekündigt, nach Straßburg ins Europäische Parlament zu wechseln. Sein Mandat im Landtag von Baden-Württemberg will er aber vorerst behalten, um einen geordneten Übergang zu gewährleisten, wie es heißt. Dabei ist es ja regelmäßig die AfD, die den sogenannten etablierten Parteien vorwirft, vor allem an eigenen Posten interessiert zu sein.
    Am Telefon ist jetzt Frauke Petry, ehemalige Vorsitzende der Alternative für Deutschland, jetzt fraktionsloses Mitglied des Deutschen Bundestages, Initiatorin des Bürgerforums "Blaue Wende". Guten Morgen, Frau Petry.
    Frauke Petry: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Frau Petry, wenn man sich diesen Vorgang anschaut, ist die AfD dann in einem Rekordtempo zur etablierten Partei geworden?
    Petry: Ja, tatsächlich ist sie das. Sie ist das entgegen dem eigenen Bestreben, und das ist ja unter anderem ein Grund dafür, warum ich davon ausgehe, dass die AfD diese Änderung, die sie selbst immer für dieses Land gewollt und proklamiert hat, aus eigener Kraft gar nicht mehr initiieren kann.
    Heckmann: Aber Jörg Meuthen verzichtet auf die Diät, die er in Stuttgart bezieht. Ist diese Kritik dann nicht wohlfeil?
    "Die AfD reagiert sehr empfindlich auf Doppelmandate"
    Petry: Es geht gar nicht um Jörg Meuthen und die etwas künstliche Aufregung um sein Doppelmandat. Da gibt es Regeln zur Verrechnung. Ich glaube, es ist nicht so sehr die Frage, ob man zwei Mandate inne hat. Dass das anstrengend ist und dass man da sich an seinem Anspruch messen lassen muss, ist klar. Es geht sehr darum, ob man vorher darüber gesprochen hat, dass man auf keinen Fall so etwas tun wird, und er hat mehrfach versprochen, in Baden-Württemberg als Fraktionsvorsitzender zu bleiben, und so liegt die Vermutung ein bisschen nahe, dass er damit seiner erneuten Abwahl als Fraktionsvorsitzender vorwegkommen will, indem er nach Brüssel und Straßburg wechselt. Aber das muss er mit sich selbst ausmachen und die AfD reagiert in der Tat sehr empfindlich auf solche Doppelmandate, obwohl es inzwischen, glaube ich, fast ein Dutzend von Doppelmandatsträgern in der Partei gibt.
    Heckmann: Es gibt durchaus Kritik innerhalb der AfD an diesem Schritt, auch wenn Jörg Meuthen auf seine Diät selbst verzichtet. Es gibt zusätzlich eine steuerfreie Kostenpauschale und einen Zuschuss zur Altersvorsorge. Das sind jeweils vierstellige Beträge im Monat.
    Petry: Ja.
    Heckmann: Sind Sie deswegen da so großzügig, weil Sie selbst auch zwei Mandate wahrnehmen, nämlich im Bundestag und im sächsischen Landtag, das Sie ja über die AfD-Landesliste erhalten haben? Was sagen Sie denn denen, die sagen, Sie selbst sind vor allem auch an Ihrem Auskommen interessiert?
    Petry: Na ja. Wissen Sie, noch einmal: Es gibt Regeln, Gesetze, wie Mandate verrechnet werden. Und Diäten werden verrechnet, damit es keinen Doppelbezug gibt, und das finde ich völlig in Ordnung. In der Tat gibt es zum Teil in Sachsen und auch in Baden-Württemberg Kostenpauschalen für die politische Arbeit. Da sage ich immer ganz offen, schauen Sie an, wie ich in Sachsen seit 2014 Politik gemacht habe, und wofür wir das Geld eingesetzt haben. Wir sind der Landesverband gewesen mit den meisten Bürgerbüros und Ansprechmöglichkeiten für die Wähler, damit wir sichtbar werden mit dem, was wir tun. Und das Ergebnis, das wir in Sachsen gerade im Vergleich zur CDU erreicht haben, spricht, glaube ich, Bände über den Wert unserer politischen Arbeit vor Ort mit diesem Geld. Davon haben wir uns nichts, aber auch gar nichts in die persönliche Tasche gesteckt. Im Gegenteil! Wir haben aus den persönlichen Bezügen noch oben draufgelegt.
    Heckmann: Sie haben keine Befürchtung, da als Raffgirl dazustehen?
    "Inzwischen ist es wichtiger, sich im Bundestag zu präsentieren"
    Petry: Das wird gerne behauptet und gegen das, was dort behauptet wird, kann man in der Regel wenig tun. Aber wir können ja Fakten sprechen lassen und ich habe allein mit meinen Mitstreitern hier in Sachsen sechs Bürgerbüros unterhalten. Wissen Sie, wenn ich zur CDU schaue, dann sehe ich häufig, wie sich mehrere Mandatsträger ein Büro teilen. Wir haben jeder von uns drei Büros persönlich unterhalten. Das ist, glaube ich, nicht der Punkt. Es geht eher darum, wie die Partei sich sonst präsentiert und ob Inhalte noch eine Rolle spielen. Das ist der Grund, bei dem ich in der AfD sehe, dass interne Posten inzwischen eine sehr viel größere Rolle spielen als persönliches Rückgrat und die Ideen, die wir seit 2013 gehabt haben, und das ist meine hauptsächliche Kritik an dieser Partei. Sie wird an diesem Anspruch nicht wachsen, sondern eigentlich schrumpfen, denn inzwischen ist es wichtiger, sich mit einem Herrn Droese oder einem Herrn Maier im Bundestag zu präsentieren, wie das Alice Weidel zu meinem Entsetzen getan hat, anstelle dafür zu stehen, dass diese Partei noch gemäßigte Inhalte vertritt.
    Heckmann: Gemäßigte Inhalte, das ist ein gutes Stichwort. Darauf werden wir auch gleich noch mal zurückkommen. Aber zunächst mal die Frage: Wie fühlen Sie sich eigentlich im Bundestag, so in der letzten Reihe neben Ihren ehemaligen Parteifreunden? Wie gehen die mit Ihnen um? Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu denen?
    Petry: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt ehemalige Kollegen, die völlig natürlich und so, wie es sich als zivilisierter Mensch gehört, auf uns zukommen und mit denen wir auch natürlich reden, Gespräche führen, auch politische Inhalte diskutieren. Und dann gibt es diejenigen, die einen von heute auf morgen nicht mehr kennen. Das ist ein bisschen bedauerlich, wenn meine Person und auch Mario Mieruch ja AfDler der ersten Stunde waren und diese Partei in ihren Strukturen landauf, landab mit aufgebaut haben. Aber so sind Menschen, das ist nicht allein AfD-typisch und damit mussten wir vorher rechnen.
    Heckmann: Damit mussten Sie vorher rechnen. Sie hatten aber ja doch wohl offenbar gehofft, dass sich einige Abgeordnete zumindest der AfD Ihnen anschließen. Da haben Sie sich kräftig verspekuliert?
    "Jeder muss selbst entscheiden, ob das noch seine politische Heimat ist"
    Petry: Nein, das ist so nicht richtig. Denn wir sind ja in einem sehr, sehr kleinen Kreis überhaupt im Gespräch über einen solchen Schritt gewesen, und ich weiß, wie lange es dauert, bis man sich von solchen Strukturen löst. Auch mir ist dieser Schritt überhaupt nicht leicht gefallen, eben weil wir diese Partei ja mit aufgebaut haben. Lassen Sie uns aber die nächsten Monate mal sehen, wie die AfD sich weiter entwickelt. Sie haben ja selbst schon angesprochen, dass es darum geht, wer nächster Parteivorsitzender, wer nächster Bundesvorstand wird. Wir sehen durchaus in vielen Landesverbänden, dass der Flügel die Macht intern übernimmt, zuletzt sichtbar in Mecklenburg-Vorpommern, und dann muss jeder für sich selbst entscheiden, ob das noch seine politische Heimat ist oder nicht.
    Heckmann: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass möglicherweise noch Leute zu Ihnen stoßen könnten?
    Petry: In den kommenden Monaten wird das der eine oder andere sicherlich überlegen müssen, auch wenn aktuell natürlich durch meinen Weggang der Impuls zusammenzuhalten erst einmal gewachsen ist. Aber das, was sich ja seit Monaten schon in der Partei zeigt, dass gemäßigte Politiker wie eine Alice Weidel oder auch eine Beatrix von Storch sich dem Machtbestreben des Flügels von Björn Höcke letztlich nicht mehr entgegenstellen, sondern einige offenbar bereit sind, sie sogar auf Vorstandsebene zu akzeptieren, das zeigt ganz deutlich, wohin diese Partei marschiert. Zuletzt hat Pro Deutschland aufgerufen, in die Partei einzutreten, auch wenn das nicht ohne weiteres möglich ist wegen einer Unvereinbarkeitsregel. So haben die Gemäßigten in der AfD schon lange das Heft des Handelns verloren. Sonst wäre ich aus der Partei auch nicht ausgetreten.
    Der Vorsitzende der niederländischen Freiheits Partei (PVV), Geert Wilders, die Vorsitzende des französischen Front National (FN), Marine Le Pen (M), und die AFD-Vorsitzende Frauke Petry nehmen am 21.01.2017 in Koblenz (Rheinland-Pfalz) an der Tagung der rechtspopulistischen ENF-Fraktion teil. Foto: Thomas Frey/dpa | Verwendung weltweit
    Frauke Petry (r.), neben niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders (l.) und der Vorsitzenden des französischen Front National (FN), Marine Le Pen. (picture alliance/dpa/Thomas Frey)
    Heckmann: Ob Alice Weidel und Beatrix von Storch zu den Gemäßigten zählen, da gibt es unterschiedliche Meinungen. Da gibt es auch ganz andere Einschätzungen dazu. Frau Petry, Sie werfen ja der AfD nach Ihrem Weggang vor, dass sie sich weiter nach rechts bewegt hat, dass die Gemäßigten nichts mehr zu sagen hätten. Aber Sie selbst haben ja zum Beispiel gesagt, es sei eine unzulässige Verkürzung, wenn gesagt werde, die Verwendung des Begriffs "völkisch" sei rassistisch. Man müsse daran arbeiten, dass dieser Begriff wieder positiv besetzt werde. Jetzt waschen Sie Ihre Hände in Unschuld. Ist das nicht bigott?
    Petry: Herr Heckmann, ich wünschte, Sie würden das Interview noch mal lesen. Dann würden Sie feststellen, dass ich nicht gesagt habe, wir müssen endlich auch mal anfangen, mit den Zitaten ordentlich zu arbeiten. Ich wollte diesen Begriff nie reaktivieren. Ich habe ihn nie verwendet. Das lässt sich ganz leicht nachprüfen.
    Heckmann: Man muss daran arbeiten, dass dieser Begriff wieder positiv besetzt wird, ist ein direktes Zitat.
    "Innerhalb dieser Partei werden Lösungen kaum mehr erarbeitet"
    Petry: Nein, nein, so ist es eben nicht richtig. Wenn Sie daran interessiert sind zu erfahren, warum ich die AfD für nicht politikfähig halte, geht es nicht um den pauschalen Punkt, den die Medien gerne machen, dass die Partei weiter rechts rückt. So habe ich es auch nicht gesagt, sondern ich sage, die Partei ist inzwischen so etabliert, dass sie in der Tat nicht mehr an ihren Ideen hängt, dass es nicht mehr um die Umsetzung praktischer Politik geht für den Bürger, sondern dass die Belohnung intern von Gefolgsleuten, von Delegierten das Wichtigere geworden ist. Das ist der Grund, warum ich sage, dass innerhalb dieser Partei genauso wie innerhalb der CDU und anderer Parteien Lösungen kaum mehr erarbeitet werden. Das ist aber genau das, was die Bürger brauchen. Deswegen sage ich, wir brauchen ein offenes Forum. Noch einmal: Lassen Sie uns bitte nicht wieder die ganzen Skandälchen, die man uns während der AfD-Zeit versucht anzuhängen, in den Vordergrund rücken.
    Heckmann: Sie sollten aber schon zu dem stehen, was Sie gesagt haben, was Sie getan haben, und dazu gehört auch, dass Sie sich zum Beispiel mit Vertretern von Rechtsradikalen, Geert Wilders, Marine Le Pen, in der Öffentlichkeit haben sehen lassen, sich fotografieren lassen, sich mit denen, wie Ihre Kritiker sagen, ins rechtsradikale Bett gelegt haben.
    Petry: Ja. Ich kann die drei Pauschalvorwürfe - Sie haben jetzt die FPÖ vergessen, die sich anschickt, Österreich mit der ÖVP mit zu regieren - glatt vergessen. Wissen Sie, es gibt eine ganze Reihe von Leuten in Europa, von Bürgern, die sehen, dass die großen alten Parteien nicht in der Lage sind, Lösungen zu liefern, und wir haben in der Tat uns mit Wilders, der wirtschaftsliberal und ein großer Israel-Freund ist, aber mit dem Islam ein massives Problem hat, in der Tat getroffen und haben eine Vision für Europa skizziert. Ich wünschte, das würden andere Parteien auch so machen, denn Parteien leiden darunter, dass sie häufig nicht mehr erkennen, was der Bürger will. Und die Eintrittsbarriere für politische Tätigkeit in Parteien ist unglaublich hoch geworden. Bürger gehen dort nicht mehr hin und deswegen werden wir Politik mit der "Blauen Wende" und der Blauen Partei außerhalb der Parteischranken machen. Ich glaube, das ist ein Modell, das sich in Österreich gerade bewiesen hat und auch in Frankreich mit Macron, damit wir die Bürger zurück in die Politik holen.
    Heckmann: Das heißt, Sie würden sich mit Emmanuel Macron und Marine Le Pen und Geert Wilders noch mal treffen auf dieser Ebene?
    Petry: Herr Heckmann, wir sollten uns mit allen möglichen Politikern treffen, vor allen Dingen dann, wenn wir nicht mit ihnen einig sind. Das Reden miteinander findet viel zu selten statt. Wenn es den direkten Austausch der Ideen am besten vor dem Bürger auf einem offenen Podium gäbe, ich glaube, dann würde Politik sehr viel schneller funktionieren, als sie es bisher tut.
    Heckmann: Frauke Petry war das, die ehemalige Vorsitzende der Alternative für Deutschland, jetzt fraktionsloses Mitglied des Deutschen Bundestages, Initiatorin des Bürgerforums "Blaue Wende". Frau Petry, danke für das Gespräch. Und die sehr schlechte Tonqualität bitten wir zu entschuldigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.