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Afghanistan
EU treibt Abschiebungspläne voran

Mit etlichen Milliarden unterstützen die EU und andere Geberstaaten in den kommenden Jahren weiter Afghanistan. Die Hoffnung ist, dass sich das Land stabilisiert und dass die Menschen dort eine Bleibeperspektive haben. Zudem wird über die Rückführung von Flüchtlingen nach Afghanistan verhandelt. Aber noch ist das Land von Frieden weit entfernt.

Von Kai Küstner | 12.10.2016
    Eine Mutter mit ihrem ca. dreijährigen Sohn läuft vor einem Containerdorf vorbei und schaut in die Kamera. Die Frau trägt ein Kopftuch.
    Flüchtlinge aus Afghanistan gehören zur zweithäufigsten Gruppe von Antragstellern für Asyl in der EU. Hier eine Mutter mit ihrem Sohn vor dem Container-Dorf im Athener Vorort Skaramagas. (imago /ZUMA Press)
    Es wäre zwecklos, das zu leugnen: All jene Flüchtlinge, die sich gerade im letzten Jahr auf dem Weg nach Europa gemacht haben und all jene, die das noch tun werden, spielen im Umgang der EU mit Afghanistan eine Schlüssel-Rolle. Nun gab sich die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini alle Mühe abzustreiten, dass die vergangene Woche bei der großen Afghanistan-Konferenz beschlossenen Hilfs-Milliarden irgendwie als großer Hebel gedacht sind, um Kabul gefügig zu machen in Sachen Flüchtlingspolitik.
    "Alle Zusagen, die wir gemacht haben, sind nicht an Bedingungen geknüpft. Ganz sicher nicht die von der EU", beteuerte die EU-Außenbeauftragte. Doch andere stellten sehr wohl klar, dass sie einen Zusammenhang zwischen Finanzhilfen – mehr als 15 Milliarden Dollar bekommt Afghanistan in den nächsten vier Jahren – und der Rücknahme von illegalen afghanischen Migranten sehen. So machte der deutsche Außenminister Steinmeier deutlich, "dass wir ebenso erwarten, dass in Fragen der Migration und der Rückübernahme faire Zusammenarbeit mit uns stattfindet."
    Die Bundesregierung hat mittlerweile ein Rückführungs-Abkommen mit Kabul geschlossen, die EU ist auf bestem Weg dahin. Kurz vor der Afghanistan-Konferenz unterschrieben beide Seiten ein Papier, in dem Kabul schon mal zusagt, all jene zurückzunehmen, die kein Asyl in Europa bekommen. Ein Papier, das den recht harmlos klingenden Titel "Ein gemeinsamer Weg nach vorne" trägt. Das jedoch aus Sicht der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' alles andere als harmlos ist. Weil sich die Lage in Afghanistan in den letzten Monaten extrem verschlechtert habe.
    Abschiebungen würden Kabuler Regierung unter Druck setzen
    "Wie schlecht die Sicherheitslage ist, zeigt sich schon daran, dass sich westliche Organisationen kaum mehr aus ihren bewachten Gebäuden heraustrauen. Vor diesem Hintergrund ist es äußerst fragwürdig, dass man mehr Migranten in ihr Heimatland zurückbringen will."
    Zudem kritisiert Wolfgang Büttner von Human Rights Watch im ARD-Hörfunk-Interview, gerate die ohnehin wacklige Regierung in Kabul durch vermehrte Abschiebungen weiter unter Druck, das Land werde noch instabiler. "Die EU-Staaten, darunter auch Deutschland, wollen einfach Handlungsfähigkeit in der Migrations-Krise zeigen. Zudem soll ein Zeichen gesetzt werden an mögliche afghanische Flüchtlinge, dass es sich jetzt nicht mehr lohnt, nach Europa zu kommen."
    Die EU versichert, dass die Vereinbarung auch im Interesse Afghanistans sei, das ja die Abwanderung von immer mehr jungen, klugen Menschen zu verkraften habe. Und man drückt auf’s Tempo: Wie Offizielle dem ARD-Studio in Brüssel bestätigen, soll sich bereits Ende des Monats eine Arbeitsgruppe treffen, vermutlich in Kabul, die die Umsetzung des Migrations-Papiers vorantreiben soll.
    NATO-Soldaten bleiben in Afghanistan
    Jenseits dessen ist völlig unbestritten, dass der Westen weiterhin großen Aufwand betreibt, um das zerrüttete Land zu stabilisieren. Was die NATO mit einschließt: "Beim NATO-Gipfel im Juli haben wir beschlossen, unsere Trainings-, Ausbildungs- und Beratungs-Mission in Afghanistan fortzusetzen. Wir werden mit rund 13.000 Soldaten im Land bleiben", erklärte vor wenigen Tagen NATO-Generalsekretär Stoltenberg.
    Kritiker beklagen, die jüngste Ausbreitung der Taliban sei nun die Quittung dafür, dass man die Kampftruppen 2014 viel zu voreilig abgezogen habe. Und deshalb sei nun auch zweifelhaft, ob man mit dem derzeitigen Aufwand das Land erneut vor dem Abgleiten ins Chaos bewahren könne. Was ja eigentlich durch eine Arbeitsteilung gelingen soll: Die NATO-Bündnispartner unterstützen und finanzieren die afghanische Armee und Polizei – die EU und die Gebernationen tun selbiges mit der afghanischen Regierung. Die ohne ausländischen Geldzufluss eher früher als später zusammenbrechen würde.
    Die Afghanistan-Hilfen seien eine Investition, bekundete optimistisch die EU-Außenbeauftragte Mogherini, in "etwas, von dem alle glauben, dass es ein glückliches Ende finden könne". Voraussetzung dafür wäre allerdings, sagen Experten, dass eines Tages doch noch nachhaltige Friedensgespräche mit den Taliban stattfinden. Derzeit jedoch scheint das Vertrauen eher zu schwinden, auch bei den Menschen in Afghanistan selbst - weshalb ja auch so viele zu fliehen versuchen.