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Afghanistan
Nichts ist sicher in Kabul

Die Gespräche mit den Taliban seien tot, hat US-Präsident Donald Trump vergangene Woche mitgeteilt. Die radikalislamischen Taliban hatten weitere Angriffe in Afghanistan verübt. Die Sicherheitslage sei im Land noch schlechter geworden, heißt es. In Kabul schwindet bei den Menschen die Zuversicht auf Frieden.

Von Martin Gerner | 17.09.2019
Im Vordergrund des Bildes ist ein durch eine Explosion zerstörter Hochzeitssaal in Kabul zu sehen, im Hintergrund untersuchen Männer den Raum.
Eine politische Lösung des Konflikts in Afghanistan ist nicht in Sicht (AFP / Wakil Kohsar)
"Teile der Afghanen sind ein bisschen erleichtert. Weil auf der einen Seite hatten sie natürlich auf echten Frieden gehofft. Aber es war nicht transparent und nicht klar, was da verhandelt wurde. Ein Abzugsabkommen oder geht es um Frieden?"
Yahya Wardak ist Berater des afghanischen Bildungsministeriums. Nach der Absage von US-Präsident Trump an die Taliban ist er unsicher, was als Nächstes kommt.
Wardak: "Ich war der Meinung schon 2001, in Bonn, hätte man die Taliban einladen müssen. Um sie an diesem Prozess zu beteiligen. Das war einer der größten Fehler des ganzen Afghanistan-Engagements. Jetzt ist es ein wenig spät."
Wardak hat einen Vorteil zu vielen Landsleuten: Er kann zwischen Afghanistan und Deutschland pendeln, unterhält in Bonn ein kleines Informationszentrum.
Der Mann, der mein Fahrer ist auf dieser Reise, ist dagegen zu arm, um auszureisen: "Ich bleibe hier, egal was kommt. Das ist mein Vaterland. In diesen Straßen bin ich zuhause. Das ist meine Heimat. Ich gehe nirgendwo hin."
Vom Verschwinden der Zuversicht
Ohne einen Fahrer des Vertrauens sollte niemand in ein Auto steigen, mahnt man mich diesmal. Wir reden über Politik, sobald ich einsteige.
"Wir Afghanen können uns selbst verteidigen", sagt Fahrer Fahrhad Ahmad. "Wir haben es auch früher ohne die Amerikaner geschafft. Ich meine eine Armee, die auf eigenen Füssen steht."
Trotzig wirkt er. Spricht aus, was einige denken, andere sich wünschen: "Wir brauchen Amerika nicht. Amerika schadet uns in Wirklichkeit. Sie verhalten sich wie Feinde. Das weiß jeder hier."
Doha, Washington, Moskau - alle Entscheidungen über Afghanistans Zukunft fallen im Ausland dieser Tage. Die eigene Regierung muss zuschauen.
Besuchstermin bei Naser, einem erfahrenen afghanischen Entwicklungshelfer: "Ich habe keine Zuversicht mehr. Ich arbeite jetzt 19 Jahre für den Wiederaufbau meines Landes. Ich sehe keinen Anlass mehr, optimistisch zu sein. Eigentlich möchte ich nur raus hier."
Noch vor drei Jahren, bei unserem letzten Treffen, war derselbe Naser zuversichtlich, wollte unbedingt bleiben. Ein gut bezahlter Experte bei internationalen NGOs.
"Es ist gefährlich, auf die Straße zu gehen"
"Ich habe viele Schulen gebaut und Straßen hier. Mir ist klar, dass wir Afghanen in erster Linie unser Land selbst aufbauen müssen. Aber ich habe meine Verantwortung getan. Genug ist genug. Irgendwo hat alles ein Ende."
In Kabul, auch bei Naser, gibt es massive Stromausfälle dieser Tage. Aufständische haben im Norden Strommasten gesprengt. Über die Taliban erzählt er, was in unserer westlichen Erzählung kein Platz hat:
"Ich rede von afghanischen Bekannten von mir, die Baufirmen betreiben, und auch Hilfsorganisationen: Sie alle zahlen Schutzgeld an die Taliban, damit sie ihre Projekte im Land ungestört durchführen können. Ohne Schutzgeld an die Taliban würde dort kein Stein auf dem anderen stehen. Egal ob im Norden oder Süden. Zwangsabgaben an die Taliban - das ist eine Wirklichkeit in Afghanistan."
Im Straßenbild von Kabul sieht man so gut wie keine Ausländer mehr. Am Charai Zambagh, wo bis zum Anschlag vor zwei Jahren die deutsche Botschaft stand, jetzt sieben Meter hohe Betonmauern. Afghanistan - das neue Palästina.
Naser: "Es ist gefährlich, auf die Straße zu gehen. Ich vermeide alles, um in keine Demonstration zu geraten. Du weißt nie, ob jemand in die Menge läuft und sich in die Luft sprengt. Warum soll ich für eine Demo mein Leben riskieren?"
Nächster Ausstieg: ein Hotel für Hochzeiten. Feiern. Hier und Jetzt. Weil das Morgen ungewiss ist.
Aliullah Nazary: "Ich habe hier meine Hochzeit gefeiert. Ich müsste glücklich sein. Aber ich hatte viel Angst."
"Wem willst du noch vertrauen?"
Aliullah war Übersetzer für die Bundeswehr in Afghanistan. Nun wohnt er in Hamburg und holt seine Angetraute nach. Aber denkt noch an den Anschlag auf eine Hochzeit, wenige Tage zuvor:
"Es gab eine Explosion bei dieser Hochzeit. Und 80 Tote. Deshalb hatten wir ein schlechtes Gefühl und immer wieder Angst vor einer Explosion. Glücklicherweise verlief alles ok, aber wir haben früher als sonst aufgehört."
Naser: "Wenn eine Hochzeit angegriffen wird, wenn Partei-Zentralen nicht mehr sicher sind, wenn Schulen angegriffen werden, Krankenhäuser nicht mehr sicher sind. Wem willst du noch vertrauen? Deshalb gehe ich nicht raus."
Mein Fahrer und ich sind da noch immer auf der Straße unterwegs. Und Aliullah in Gedanken bei Deutschland.
Aliullah Nazary: "Es gibt ein heißes Thema in Deutschland: Flüchtlinge. Viele Afghanen sind in der Türkei zurzeit. Aber ihr Ziel ist Deutschland. Leider ist die Sicherheitslage überall im Land noch schlechter geworden hier. Die Menschen fühlen sich nicht sicher."