
Mehr als 18 Millionen Menschen leiden unter Hunger
Ein Helfer packt ihr „plumpy‘nut“ für ihren Sohn Lopeto in einen Beutel, also kalorienreiche Aufbaunahrung, die aus Erdnusspaste und vielen Nährstoffen besteht. Die Ration reicht für zwei Wochen. Dann soll Emariau mit dem Zweijährigen zur Kontrolle wiederkommen. In der mobilen Klinik unter dem Baum werden auch schwangere und stillende Frauen gewogen und gemessen. Viele sind akut unterernährt, sie bekommen ebenfalls Hilfe. Aber ältere Kinder, Frauen, die nicht schwanger sind oder stillen, und Männer werden gar nicht erst untersucht. Wenn sie unterernährt sind, wird das in der Statistik hier nicht erfasst. Den meisten Menschen bleibt als Lösung nur das, was Emariau für sich selbst und ihre sieben älteren Kinder plant: „Ich kann nichts für sie tun, außer mich hinzusetzen, zu beten und abzuwarten, was Gott mit dieser Dürre noch vorhat.“
Mehr Dürren infolge der Klimakrise
Borgemeister hat viele Jahre in West- und Ostafrika geforscht und gelebt. In dieser Zeit hat er beobachtet, wie die Abstände zwischen schweren Dürrezeiten immer kürzer wurden. Und dass immer häufiger ein anderes Extremwetter auf schwere Trockenheit folgt: Starkregen mit Überflutungen. Nun ist ein weiterer Grund für die dramatische Ernährungskrise in Ostafrika hinzugekommen: der Krieg in der Ukraine. Viele afrikanische Länder sind von den Lieferengpässen bei Getreide und den Preissteigerungen für Lebensmittel betroffen.
Getreide-Exporte aus der Ukraine fallen weg
Ernteerträge halten nicht mit dem Bevölkerungswachstum mit
„Wenn Sie sich die weltweiten Erträge angucken, die Entwicklung der Erträge von wichtigen Kulturpflanzen wie Mais, Weizen, Reis, dann sehen Sie eigentlich in allen Regionen dieser Welt außer Afrikas im Prinzip so eine Art lineare Steigerung. Die Erträge haben zugenommen mit der Zeit, und zwar kräftig zugenommen. Nicht in Afrika.“
Demgegenüber steht ein deutliches Bevölkerungswachstum. Zu Beginn der 1950er-Jahre lebten rund 240 Millionen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent. Seitdem hat sich die Bevölkerungszahl auf heute rund 1,3 Milliarden Menschen verfünffacht. Mit diesem starken Wachstum habe die Steigerung der Erträge bei weitem nicht mitgehalten.
„Die Zunahme der Erträge, die wir sehen in Afrika, sind nicht eine Zunahme auf die Fläche bezogen, sondern es heißt einfach, mehr Fläche wird dazugenommen. Das heißt, die landwirtschaftliche Nutzfläche weitet sich aus, beträchtlich aus, und zwar zulasten von Wäldern, zulasten von Savannenland, zulasten der Biodiversität.“
Ein Teufelskreis, weil sich dadurch das lokale Klima noch mehr verändere.
Produktivität der Landwirtschaft muss steigen
„Einer der wichtigsten Gründe dafür ist die Tatsache, dass die Böden ausgelaugt sind. Die Auswirkungen des Klimawandels beschleunigen die Verarmung der Böden. Das führt wiederum zu einem erhöhten Auftreten von Schädlingen und Pflanzenkrankheiten. Das alles wirkt sich auf die Produktivität der Flächen aus.“
Unterschiedliche Anbaumethoden werden untersucht
„Wir stehen hier auf einer unserer Langzeitversuchsflächen in Thika. Wir vergleichen ökologische und konventionelle Anbausysteme. Mit den Versuchen haben wir 2007 begonnen.“

„Wir vergleichen hier vier unterschiedliche Anbausysteme. Zum einen intensive Landwirtschaft, jeweils konventionell und biologisch. Außerdem Subsistenzlandwirtschaft, ebenfalls konventionell und biologisch. Wir schauen uns die vier unterschiedlichen Anbausysteme mit Blick auf ihre Produktivität, ihre Rentabilität und ihre Nachhaltigkeit an.“
Auf den Versuchsflächen wächst Mais. Am höchsten aufgeschossen sind die Pflanzen auf dem Stück, das nach der intensiven biologischen Methode bestellt wird. Das heißt: unter Einsatz von viel biologischem Dünger, biologischen Schädlingsbekämpfungsmitteln und in Trockenzeiten mit Bewässerung.
Erträge bei biologischem Anbau zunächst geringer
„Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es eine Umstellungsphase gibt, wenn man von konventioneller auf biologische Landwirtschaft übergeht. In dieser Phase sind die Erträge niedriger. Wir hoffen, dass unsere Daten die Landwirte künftig ermutigen, einige Jahre lang Geduld zu haben. Bei uns hat es etwa sechs Jahre gedauert, bis die Erträge des biologischen Systems mit denen des herkömmlichen Systems vergleichbar waren.“
Abschließende Daten gebe es noch nicht, sagt Karanja, der Langzeitversuch läuft erst in diesem Jahr aus. Die Wissenschaftler untersuchen fortlaufend, wie sich die Ergebnisse noch verbessern lassen, etwa durch andere biologische Pflanzenschutzmittel, um Ernteausfälle zu verhindern. Aber einige Ergebnisse seien schon deutlich:
„Beim biologischen Anbau bleiben mehr Restnährstoffe im Boden. Das System ist dadurch in der Lage, Nährstoffe von einer Saison zur anderen zu erhalten.“
Die Böden bleiben also fruchtbarer. Und ganz wichtig: Sie kommen auch mit der häufigeren Trockenheit infolge der Klimakrise besser klar, weil mehr Feuchtigkeit zurückgehalten wird. Unter anderem dadurch, dass die Erde mit Mulch, Stroh oder Pflanzenabfällen bedeckt und die Sonneneinwirkung gemildert wird.
Auch wenn die abschließenden Daten noch nicht vorliegen, zeichnet sich ab: Mit etwas Geduld ließe sich die Produktivität der Landwirtschaft in afrikanischen Ländern auf ganz nachhaltige Weise erhöhen – und damit die Abhängigkeit von teuren Importen reduzieren.
Mehr Bäume für mehr Fruchtbarkeit der Böden
„Ich kenne das genaue Alter aller Bäume auf meinem Feld, weil ich jeden einzelnen gesehen habe, als er aus dem Boden kam, und weil ich sie pflege. Der kleine hier ist zum Beispiel ein Jahr alt.“
Abdoulaye hat erst vor drei Jahren angefangen, sich für Bäume zu interessieren und dafür zu sorgen, dass auch auf seinem Feld welche wachsen. Die Not habe ihn zum Umdenken gezwungen, sagt der 67-jährige Familienvater.
„Die Situation vorher hat mir und den anderen Bauern im Dorf große Angst gemacht. Es gab keinen Schatten mehr, an vielen Stellen unserer Felder kam nacktes Gestein durch, der Wind hatte die Erde abgetragen, die Böden waren fast unfruchtbar geworden. Überall war Staub. Dann kamen Leute von einem Entwicklungsprojekt und haben uns erklärt, welche Vorteile es hat, wenn wir Bäume auf unseren Feldern haben. Sie hatten Recht, wir erleben seitdem, wie viel die Bäume verändern.“

„Bevor ich damit angefangen habe, waren meine Ernten mager, weil mein Feld nicht mehr fruchtbar war. Jetzt ernte ich mehr. Früher habe ich kaum 20 Maß pro Hektar eingebracht, jetzt sind es rund 80. Wenn es viel regnet, sogar 100.“
Entwickelt wurde die Methode von dem australischen Agrarwissenschaftler Tony Rinaudo, der dafür 2018 den Alternativen Nobelpreis bekam. Im Norden Kenias wurde sie vor zehn Jahren eingeführt. Doch bislang gibt es keine systematische Studie dazu, wie sich Bodenfruchtbarkeit und Produktivität dadurch verbessern.
Erfolge für die FMNR-Methode auch in Kenia
„Vor ich glaube drei Wochen war ich im Norden Kenias, in Marsabit. Ich war sehr erstaunt über die Erfolge einiger Frauen, die dort FMNR praktizieren. Marsabit ist eine der sehr trockenen Gegenden in Kenia, und in der gegenwärtigen Dürre ist die Lage dort besonders schwierig. In den Zeitungen konnte man sogar lesen, dass einige Viehzüchter ihre Kühe mit Karton füttern müssen, weil sie sonst nichts haben. Zu meinem Erstaunen erzählten mir die Frauen, die FMNR praktizieren, dass sie ihren Viehbestand nicht verloren haben. Und warum? Weil die Bäume, die sie dank FMNR schon gezogen haben, das Futter produzieren, das ihr Vieh zum Überleben braucht.“

„Wenn die Landwirte Bäume nachwachsen lassen, stellen sie fest, dass die Erdschicht auf ihren Feldern wieder dicker wird, die Böden werden fruchtbarer, sie ernten wieder mehr. Wenn das eintritt, ist ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln gesichert."
Hirse passt besser zum Klima als Mais
Mittlerweile gibt es verschiedene Methoden, Regenwasser auch in trockenen Regionen zu sammeln und für die Landwirtschaft zu nutzen. Wichtig wäre außerdem mehr Forschung zu Feldfrüchten, die an das harte Klima angepasst sind, wie etwa verschiedene Hirse-Sorten. In den vergangenen Jahren ist besonders viel wissenschaftliche Aufmerksamkeit in die Verbesserung von Mais geflossen – einer Pflanze, die für viele Gegenden Afrikas viel zu anspruchsvoll ist.
„Zum Beispiel zu biologischer Schädlingsbekämpfung, die mit Informationstechnologie unterstützt wird. Wenn wir die Partnerschaften zwischen Universitäten in Deutschland und Kenia stärken würden, könnten die hiesigen Universitäten von dem lernen, was in Deutschland entwickelt wurde und eine lokale Lösung finden, die genauso gut funktioniert. Ohne dass wir einfach kopieren würden, was anderswo entwickelt wurde.“
Schwere Ernährungskrisen wie die gegenwärtige sind also auch in Afrika kein Schicksal, noch nicht einmal unter den erschwerten Bedingungen der Klimakrise. Katastrophen, in denen kurzfristig nur noch Nothilfe Menschenleben retten kann, ließen sich teilweise verhindern.
Dafür müsste die Landwirtschaft im globalen Süden aber stärker gefördert und sehr viel Geld in die Hand genommen werden – nicht nur, aber auch aus den Ländern des globalen Nordens. Unter anderem, um mehr Forschung zu den Nutzpflanzen zu finanzieren, die an die Klimaverhältnisse in Afrika angepasst sind.