Freitag, 19. April 2024

ARD, ZDF, Deutschlandradio
Wie kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk reformiert werden?

Seit den Debatten um den Rundfunkbeitrag und dem RBB-Skandal muss sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk rechtfertigen. Politiker fordern Reformen und Einsparungen, einige wurden bereits angestoßen. Ein Überblick.

26.05.2023
    Grüne Mainzelmännchen-Ampel
    Grün für Reformen: Wie kann es mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk weitergehen? (picture alliance / Andreas Arnold / dpa / Andreas Arnold)

    Was wird am öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisiert?

    Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland steht unter Druck. Nach der Erhöhung des Rundfunkbeitrags im Jahr 2021 und dem Skandal um die ehemalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger im Jahr 2022 wird vermehrt über den Umgang mit Geld, Strukturen und Reformen diskutiert.
    Mit 18 öffentlich-rechtlichen Fernseh- und 74 Radioprogrammen, ihrer Onlineauftritte und der Angebote in den sozialen Netzwerken, wirkt der ÖRR überdimensioniert. Jede Landesrundfunkanstalt hat jeweils einen eigenen Info-, Kultur- und Jugendsender, im Fernsehen konkurrieren mehrere Kultur- und Infoprogramme miteinander, in den Dritten gibt es viele ähnliche Sendungen mit gleichen Themen, wie etwa auch Jan Böhmermann in seiner Sendung "ZDF Magazin Royale" festgestellt hat.

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    Schon länger steht das Programm in der Kritik: redundant, irrelevant, nicht jung genug. Einerseits in unfairer Konkurrenz zu privaten Anbietern von Information, andererseits nicht konkurrenzfähig in Sachen Unterhaltung.
    Die Öffentlich-Rechtlichen sollen ein Angebot für alle machen, doch viele Sendungen richten sich an ein älteres Publikum. Die Zuschauer von ARD und ZDF haben ein Durchschnittsalter von 64 bzw. 65 Jahren - Tendenz steigend. Selbst die Jugendsender One und ZDFneo werden vor allem von Menschen mit einem Durchschnittsalter zwischen 57 und 60 geschaut.
    Eine Studie zum Jugendangebot Funk bemängelt, dass die Beiträge zu wenig politische Themen zu behandeln, zudem liegt der Schwerpunkt zu sehr auf dem Leben in westdeutschen Großstädten. Der Studie zufolge weisen Beiträge eine subjektive Tendenz auf und folgten damit einer nischigen journalistischen Praxis.
    Philipp Schild, Programmgeschäftsführer bei Funk, verteidigte das Konzept. Der Zugang über eine Reportage sei nun mal subjektiv. Man habe klare journalistische Standards. Meinung werde gekennzeichnet und von Fakten getrennt.
    Schließlich besteht auch eine Vertrauenskrise. Der Anteil der Menschen, die der politischen Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien vertrauen, ist einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge in den vergangenen drei Jahren von 78 Prozent auf 70 Prozent gesunken. Demnach halten in Westdeutschland 70 Prozent der Befragten politische Nachrichten der Öffentlich-Rechtlichen für glaubwürdig, in Ostdeutschland sind es 58 Prozent. Dennoch genießen ARD, ZDF und Deutschlandradio laut Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen 2022 im Vergleich zu privaten Anbietern immer noch das höchste Vertrauen.

    Welche Vorschläge und Forderungen gibt es?

    Oliver Schenk, der Chef der Staatskanzlei Sachsen, wünscht sich, dass sich vor allem die ARD-Sender wieder mehr auf ihre Regionalität besinnen, die Journalisten sollen etwa wichtige globale Entwicklungen regional einordnen: "Was bedeutet ein Krieg in Europa für mich vor Ort? Was bedeutet Machtverschiebungen zwischen den USA und China für uns in Deutschland - für mich und meinen Betrieb in der Region?"
    Der ehemalige ARD-Vorsitzende und WDR-Intendant Tom Buhrow warb im November 2022 für einen "neuen Gesellschaftsvertrag", eine "Art verfassungsgebende Versammlung für unseren neuen, gemeinnützigen Rundfunk". Er stellte auch zur Diskussion, ob es noch zwei bundesweite lineare Fernsehsender braucht. Gleichzeitig regte er auch ein bundesweites ARD-Radio an.
    Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat weniger Macht für die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Sender gefordert. Man solle auch die gesamte Gehaltsstruktur der Rundfunkanstalten prüfen und sich dabei am öffentlichen Dienst orientieren. Ein höherer Rundfunkbeitrag sei in absehbarer Zeit nicht vermittelbar, sagte er. Vertrauen müsse zurückgewonnen werden. Sachsen-Anhalt hatte 2020 als einziges Bundesland die Anhebung des Rundfunkbeitrages um 86 Cent auf 18,36 Euro blockiert.
    Die AfD fordert, wie es im Bundeswahlprogramm von 2021 heißt, eine "grundlegende Reform" mit einem Angebot, das auf ein Zehntel reduziert ist. Der Rundfunkbeitrag und Werbung sollen entfallen, finanziert werden soll der "Grundfunk" sowie der "Heimatfunk" durch eine Abgabe von Technologiekonzernen und Video-Streaming-Diensten.

    Was wird bereits für Reformen getan?

    Ab dem 1. Juli 2023 gilt ein neuer Medienstaatsvertrag. Die Bundesländer haben den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erweitert. Die Aufgabe ist es, "ein Gesamtangebot für alle zu unterbreiten" und dabei alle Altersgruppen zu berücksichtigen, insbesondere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, aber auch Menschen mit Behinderungen und Familien. "Allen Bevölkerungsgruppen soll die Teilhabe an der Informationsgesellschaft ermöglicht werden." Dabei sollen die Anstalten die "Möglichkeiten nutzen, die ihnen aus der Beitragsfinanzierung erwachsen".
    Aufsichtsgremien sollen darüber wachen, dass die Sendeanstalten ihren Auftrag erfüllen und sie "wirtschaftlich und sparsam" arbeiten. Außerdem sollen die Gremien "inhaltliche und formale Qualitätsstandards" festsetzen und überprüfen. Die Anstalten sollen sich künftig auch mit der Bevölkerung über Qualität, Leistung und Fortentwicklung des Angebots austauschen.
    Die Anstalten dürfen die Zahl ihrer Sender nicht mehr erhöhen. Neben dem Ersten, Zweiten und den Dritten sollen 3sat und Arte erhalten bleiben. Spartenprogramme wie tagesschau24, ZDF info, Phoenix oder Kika können die Sender nur noch online verbreiten, wenn sie das so in Abstimmung mit den Gremien entscheiden.
    SWR-Intendant und ARD-Vorsitzender Kai Gniffke möchte eine Onlineplattform als Gegengewicht zu den internationalen Streaming-Anbietern etablieren. "Die ARD will in den kommenden Jahren mehrere Hundert Millionen Euro in die Entwicklung von Technologie investieren", sagte er bei einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie in Tutzing. "Dabei geht es zunächst um den Ausbau des gemeinsamen Streaming-Netzwerks mit dem ZDF."

    Was macht der Zukunftsrat?

    Um über eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beraten, hat die Rundfunkkommission der Länder einen Zukunftsrat einberufen. Dieser hat im März 2023 seine Arbeit aufgenommen. Im Herbst soll der Rat Empfehlungen abgeben, wie man ARD, ZDF und Deutschlandradio künftig organisieren sollte. Dabei soll es auch um Nutzung und Akzeptanz gehen.
    Die Mitglieder des Zukunftsrats sind:

    • Mark D. Cole, Medienrechtler (Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Europäisches Medienrecht)
    • Maria Exner, frühere Zeit-Online-Chefredakteurin und Publix-Gründungsintendantin
    • Peter M. Huber, ehemaliger Bundesverfassungsrichter
    • Julia Jäkel, frühere Gruner+Jahr-Verlagschefin 
    • Nadine Klass, Urheberrechtlerin von der Universität Mannheim,
    • Bettina Reitz, Präsidentin der Hochschule für Film und Fernsehen München und ehemalige BR-Fernsehdirektorin
    • Annika Sehl, Journalistikprofessorin (Universität Eichstätt)
    • Roger de Weck, Publizist und frühere Generaldirektor des Schweizer öffentlich-rechtlichen Rundfunks SRG
    Der Deutsche Journalistenverband (DJV) kritisiert die Zusammensetzung. Das Gremium sei mit Personen besetzt worden, die nur teilweise über aktuelle Medienkompetenz verfügten, schreibt DJV-Sprecher Hendrik Zörner. Das Schlimmste sei, dass kein einziger Praktiker aus den öffentlich-rechtlichen Redaktionen mit am Tisch sitzt. Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse spricht von einer "verpassten Chance".

    Wird der Rundfunkbeitrag sinken?

    Der Zukunftsrat soll nicht über den Rundfunkbeitrag entscheiden. Dafür ist die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten in Deutschland (KEF) zuständig. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten melden alle vier Jahre ihre Bedarfe an, die KEF prüft diese und legt deren Höhe fest. Im Jahr 2021 wurde der Beitrag auf 18,36 Euro erhöht, 2024 endet die aktuelle Beitragsperiode.
    Die Bundesländer wollen, dass der Beitrag stabil bleibt, damit die Finanzierung in der Bevölkerung weiterhin akzeptiert wird. Die Länder dürften zwar von der Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten abweichen, aber nur gemeinsam und nur aus sozialpolitischen Gründen – etwa, weil die Beitragszahler finanziell überfordert werden könnten. Kritik an der Struktur der Sender oder am Inhalt der Programme dürfe bei der Beitragsfestsetzung keine Rolle spielen.
    Der Medienkritiker Imre Grimm würde sich allerdings wünschen, dass der Rundfunkbeitrag sinkt. "Weil die bisherigen Sparbemühungen und auch die Skandale beim RBB für mich gezeigt haben, dass den Sendern die radikale Neuausrichtung ihrer selbst nicht aus eigener Kraft und ohne Schranken gelingt – klare Schranken aus der Politik oder aus der Gesellschaft", sagt der Ressortleiter Gesellschaft beim Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Es geht nicht um eine Verschlechterung der Situation, es geht um eine erhöhte Akzeptanz in der Gesellschaft."

    leg, Brigitte Baetz