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Akten freigegeben
Die geheimen Dokumente Bin Ladens

Die US-Geheimdienste haben Dokumente freigegeben, die in Osama Bin Ladens Versteck nach dessen Tötung vor vier Jahren gefunden worden waren. Sie belegen taktische Differenzen unter den hochrangigen Terroristen von Al-Kaida - und Bin Ladens sorgsame Vorkehrungen, um nicht entdeckt zu werden.

20.05.2015
    Passanten stehen vor Zeitungen in Washington D.C. nach der Tötung Osama Bin Ladens
    Passanten stehen vor Zeitungen in Washington D.C. nach der Tötung Osama Bin Ladens (imago stock & people)
    Bin Laden wollte die USA mit einer neuen, groß angelegten Attacke aus der muslimischen Welt vertreiben. Al-Kaida sollte sich darauf konzentrieren, "die US-Bevölkerung und ihre Vertreter zu ermorden und zu bekämpfen", heißt es in einem Dokument, das die US-Geheimdienste veröffentlichten. Die einzige Möglichkeit, die US-Außenpolitik zu beeinflussen, seien Angriffe, schreibt Bin Laden an anderer Stelle. Dadurch sollten die USA gezwungen werden, "die Muslime in Ruhe zu lassen".
    Heftiger Streit um strategische Ausrichtung
    Doch auch über die strategische Ausrichtung von Al-Kaida wurde heftig gestritten. So forderte Bin Laden, die Terrorattacken sollten sich auf den größten Feind USA konzentrieren: "Wir sollten Einsätze gegen die Armee und Polizei in allen Regionen stoppen, außer im Jemen", schrieb er. Darin zeige sich seine Sorge, "eine Uneinigkeit des globalen Dschihads könnte den Niedergang der Bewegung einleiten", mutmaßt ein ranghoher US-Geheimdienstanalyst. Bin Laden wirbt in den Dokumenten für groß angelegte Terrorattacken. Einige seiner Stellvertreter finden dies hingegen angesichts der permanenten Gefahr durch Drohnen der USA zu schwer zu organisieren. Nach Bin Ladens Tod rief die neue Al-Kaida-Führung ihre Anhänger auf, als Einzelkämpfer Anschläge zu verüben.
    Dass die Organisation von Al-Kaida im Irak, ein Vorläufer der Miliz Islamischer Staat (IS), einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten anheizte, brachte Bin Laden und seinem damaligen Vize Ayman al-Zawahri scharfe Kritik ein. Dass Bin Laden die in seinem Namen angerichteten "Skandale" und das Blutvergießen nicht verurteile, dafür werde er von Gott zur Rechenschaft gezogen werden, schrieb die Gruppe "Dschihad- und Reformfront" in einem Brief von 2007. "Wenn Du es noch kannst, ist es Deine letzte Chance, den Zusammenbruch des Dschihad im Irak aufzuhalten." Heute hat der IS Al-Kaida in den Schatten gestellt.
    Die US-Spezialeinheit Navy Seals fand bei ihrem Zugriff in Abbottabad am 2. Mai 2011 tausende Dokumente. Auf richterliche Anordnung wurden mehr als hundert dieser Schriftstücke nun freigegeben. Dies habe nichts damit zu tun, dass der Journalist Seymour Hersh die offiziellen Angaben über die Ergreifung und Tötung Bin Ladens kürzlich in Frage gestellt habe, sagte CIA-Sprecher Ryan Trapani.
    Angst vor Enttarnung trieb bin Laden zu äußerster Vorsicht
    Die Angst, von US-Spionen in seiner Villa entdeckt zu werden, trieb Bin Laden zu äußerster Vorsicht. So gab er an seine Familie und sein Umfeld die Anweisung: "Unsere Sicherheitssituation erlaubt es nicht, zu Ärzten zu gehen. Also gebt Acht auf Eure medizinischen Bedürfnisse, vor allem Eure Zähne."
    Als seine Frau Umm Hamsa von einer Iran-Reise zurückkehrte, musste sie ihre komplette Kleidung wechseln, aus Angst, es könnte eine Wanze darin versteckt sein. "Da den Iranern nicht vertraut werden kann, könnte ein Chip in Deine Sachen implantiert worden sein." Ärger rief Bin Laden mit seinem Verbot an seine Adjutanten hervor, per E-Mail zu kommunizieren.
    (nch/tgs)