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Al-Sisi muss "ausgestreckte Hand zu seinem Programm" machen

Frieden und Stabilität in Ägypten seien nur möglich, wenn die Muslimbrüder in der Politik integriert würden, sagt der SPD-Politiker Klaus Brandner. Wichtig seien nun schnelle Neuwahlen und eine Verfassung mit deutlicher Haltung zu universellen Menschenrechten und weniger religiösen Aspekten.

Klaus Brandner im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Mario Dobovisek: Wieder gab es Massenproteste in Ägypten, Tausende Islamisten sind am Abend auf die Straßen gegangen, um für ihren abgesetzten Präsidenten Mursi und gegen das Vorgehen der Armee zu demonstrieren. Dabei blieb es ruhig, es erreichten uns keine Meldungen über Tote und Verletzte. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie angespannt die Lage ist, wie festgefahren der Streit zwischen Mursi-Anhängern und -gegnern. Bis gestern war die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton im Land. Sie besuchte auch den Gefangenen Mohammed Mursi. Zwei US-Senatoren werden in Kairo erwartet, denn die internationale Gemeinschaft ist alles andere als zufrieden mit der Entwicklung in Ägypten nach dem Putsch. Mein Kollege Jürgen Liminski hatte am Abend Gelegenheit, darüber mit Klaus Brandner zu sprechen. Der Sozialdemokrat ist im Bundestag, dort Vorsitzender der Deutsch-Ägyptischen Parlamentariergruppe. Die erste Frage lautete: Lässt sich auf Dauer die Konfrontation mit dem Militär vermeiden?

    Klaus Brandner: Sie lässt sich aus meiner Sicht nur dann vermeiden, wenn neben der klaren Haltung für Sicherheit im Land zu sorgen, auch deutlich wird, dass ein martialisches Auftreten, ein Auftreten mit überdeutlicher Härte nicht betrieben wird, sondern wenn deutlich wird, dass die Politik der ausgestreckten Hand Erfolg hat, denn man muss sich auch in die Lage der Muslimbrüder versetzen. Sie haben aus ihrem Gefühl das gemacht, was wir immer gesagt haben: demokratische Wahlen durchgeführt, einen Präsidenten gewählt, und mit einer Demokratie ist natürlich die Absetzung eines gewählten Präsidenten durch einen Volksaufstand nicht zu akzeptieren. Unter dem Gesichtspunkt kann man zwar Verständnis für die Situation aufbringen, man muss aber deutlich den jetzigen Machthabern und auch der Übergangsregierung sagen, es ist ganz wichtig, dass ihr viele, viele Zeichen der Versöhnung setzt und nicht nur auf Härte nach außen.

    Liminski: Auf der einen Seite die Muslimbrüder, das Militär hat sich allerdings auf die andere Seite des Volkes – Sie reden vom Volksaufstand – geschlagen. Die Restauration nach der Revolution scheint in vollem Gange zu sein. General Sisi ist sozusagen der neue Bonaparte. Kann er das Land, das Volk wieder einen?

    Brandner: Er wird das Volk nur dann einen können, wenn er wirklich die ausgestreckte Hand zu seinem Programm macht. Wenn er nicht nur auf Härte setzt und nicht nur durch die Ankündigung, dass er Protesten mit aller Macht entgegentreten wird, auftritt, sondern indem das, was zu erwarten ist, nämlich die Muslimbrüder in einen Prozess mit einzubeziehen für die Veränderung in diesem Land, dieser Versöhnungsprozess wird nur erfolgreich sein, wenn er das auch durch praktische Taten wahr macht.

    Liminski: Was heißt das konkret? Neuwahlen oder vielleicht eine andere Verfassung oder – wie kann er die Muslimbrüder einbinden?

    Brandner: Nein, man muss zwei Dinge sehen: Der Versöhnungsprozess im Inneren ist ja nicht nur ein Prozess, wo es um die Frage von Unterdrückung geht, von unverhältnismäßiger Einschränkung von Menschenrechten geht, sondern erwartet wird ja insbesondere auch ein Prozess der wirtschaftlichen und der sozialen Besserstellung. Denn die Ziele der Revolution waren Brot, Freiheit und Gerechtigkeit. Brot hat es nicht mehr gegeben, die sozialen Verhältnisse sind nicht besser geworden, die Freiheitsrechte sind ausgedehnt worden, ansonsten wären die Demonstrationen und auch viele Aktivitäten zum Beispiel der Medien nicht möglich. Sie werden sicherlich durch die jetzige Situation weiter eingeschränkt sein, und mehr Gerechtigkeit hat es natürlich auch noch nicht gegeben, weil – das ist eben der große Nachteil nach den Wahlen gewesen, und auch durch den Prozess, den Mursi nicht hinbekommen hat, dass er eine aktive Politik für mehr Gerechtigkeit und für wirtschaftlichen Wohlstand hinbekommen hat. Daher letztlich auch die großen Demonstrationen, die das Militär genutzt hat. Und es bleibt am Ende dabei, es war aus meiner Sicht ein Putsch, auch wenn man Verständnis für den Unmut der Bevölkerung aufbringen konnte. Aber man muss auch doch letztlich sehen, dass ein solches Land, das in einen Demokratieprozess hineingeführt wird, dass es dort Geduld braucht, dass es dort auch aktive Unterstützung seitens des Westens braucht, diesen Prozess der Liberalisierung, der Demokratisierung und der wirtschaftlichen Besserstellung weiterhin zu unterstützen.

    Liminski: Sie sagen Brot, Freiheit, Gerechtigkeit. Was braucht Ägypten denn jetzt am dringendsten? Die wirtschaftliche Erholung, die Sicherheit auf der Straße, einen neuen Präsidenten oder vielleicht auch den alten?

    Brandner: Es bedingt sich eben alles. Natürlich dürfen die wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen und die Investitionen im Land jetzt nicht zurückgeschraubt werden. Es ist auf der anderen Seite wichtig, dass sehr schnell Neuwahlen erfolgen und dabei deutlich wird, dass keine Gruppe ausgeschlossen wird. Denn man kann es drehen und wenden, wie man will, die Muslimbrüder sind eine große Gruppe im Land, und nur durch die Integration dieser Gruppe wird es zu größerem inneren Frieden kommen, und unter diesem Gesichtspunkt sind die drei Dinge notwendig. Wirtschaftliche Verbesserung, schnelle Neuwahlen, damit die Demokratie nicht untergeht, und ein Prozess, der letztlich dafür sorgt, dass eine Verfassung nicht zu sehr eine religiöse Verfassung ist, sondern das, was für uns unteilbar ist, eine klare Haltung zu den universellen Menschenrechten.

    Liminski: Die Muslimbrüder haben in ihrer Verfassung de facto die Scharia an erste Stelle gesetzt. Ist das mit der Demokratie vereinbar?

    Brandner: Nein, das ist in unserem Verständnis von Demokratie nicht vereinbar. Die jetzige Verfassung ist an vielen Punkten sehr allgemein formuliert, und unsere Sorge ist letztlich, dass dadurch ein beliebiger Prozess entstehen könnte, nämlich ein beliebiger Prozess der Auslegung entstehen könnte. Unter diesem Gesichtspunkt, und das ist der Vorwurf ja auch an Ex-Präsident Mursi. Hätte er diesen Verfassungsprozess längst nacharbeiten können. Ich hoffe, dass aus diesem Prozess auch die Muslimbrüder deutlich gelernt haben. Sie haben oft genug angekündigt, dass sie noch mal bereit sind, die Verfassung zu überarbeiten, aber diese Ankündigung hat natürlich an Glaubwürdigkeit verloren, weil keine praktischen Taten gefolgt sind. Insofern ist eine Überarbeitung des Verfassungsprozesses dringend geboten.

    Liminski: Außenminister Westerwelle hat die Freilassung Mursis verlangt. War das klug oder klug genug, um mit der neuen Junta ins Gespräch zu kommen? Oder vielleicht konnte er gar nicht anders?

    Brandner: Ich meine, er konnte gar nicht anders. Es ist letztlich so, dass es auf unserem Verständnis, von unserem Grundverständnis zu einer Absetzung eines gewählten Präsidenten durch das Militär keine Politik geben darf, die einfach aus Beliebigkeit da ist. Auch, wenn man Verständnis für die Rolle des Militärs dort haben kann. Ich weiß aus vielen Gesprächen jetzt in das Land hinein, dass gerade liberale Ägypter oft sagen, also, warum messt ihr dem Militär so wenig demokratische Akzeptanz zu. Nun, das sind letztlich ja die Erfahrungen, die man insgesamt gesehen, in der ganzen Welt hat, dass das Militär nicht das Recht hat, oberster Wächter in einem Staat zu sein, oberster Wächter einer Verfassung zu sein. Unter diesem Gesichtspunkt ist es nur konsequent, dass man das auch deutlich ausdrückt. Und ich baue darauf, dass nicht nur die Frage der Freilassung eine Rolle spielt, sondern dass wir auch, und das mache ich auch selbst, die Gespräche mit Politikern der Muslimbrüder fortsetze, denn sie sind ein Teil des in einem Demokratieprozess befindlichen Ägyptens.

    Liminski: Was kann denn – Sie wollen reden mit allen Leuten – was kann denn Europa in dieser Lage tun?

    Brandner: Ich begrüße sehr, dass Frau Ashton diesmal sehr früh eine einheitliche Position Europas vertritt, nämlich, dass sie deutlich sagt, Mursi muss freigelassen werden, es gibt aus der Sicht Europas keinen Grund, ihn quasi zu inhaftieren. Das ist nicht akzeptabel. Und dass sie auf der anderen Seite darauf dringt, dass recht bald demokratische Wahlen stattfinden, und zum Dritten, dass sie darauf dringt, dass es einen nationalen Versöhnungsprozess gibt, der die Muslimbrüder mit einbezieht.

    Mod: Der SPD-Politiker Klaus Brandner. Und die Fragen stellte mein Kollege Jürgen Liminski.

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