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Am Ende steht das "große Ziel einer möglichen Versöhnung"

Die Stasi-Unterlagenbehörde habe es geschafft, Transparenz herzustellen über das Wirken der Staatssicherheit, sagt Roland Jahn, Leiter der Behörde. Zudem sei es gelungen, die Daten zu schützen, die über die Menschen in der DDR gesammelt wurden.

Roland Jahn im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Im Urlaub erreichen wir dankenswerterweise den Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Guten Morgen, Roland Jahn!

    Roland Jahn: Ja, guten Morgen! Im Urlaub bin ich eigentlich nie, deswegen heute hier am Telefon.

    Dobovisek: Im Grunde wurde das Stasi-Unterlagen-Gesetz gleich zweimal verabschiedet, zunächst von der Volkskammer der DDR und erst deutlich später vom Deutschen Bundestag, und zwar am 29. Dezember 1991. Warum dauerte das so lange?

    Jahn: Ja, man hat sich schwer getan in der Deutschen Einheit mit diesen Stasi-Unterlagen, und deswegen war ein längerer Prozess notwendig, aber was rausgekommen ist, hatte umso bessere Qualität, und das ist das Entscheidende.

    Dobovisek: Der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maiziére, befürchtete damals "Mord und Totschlag", so wörtlich, würden die Stasi-Archive geöffnet werden. Warum, meinen Sie, Herr Jahn, blieben die anfänglich befürchteten Rachefeldzüge der Stasi-Opfer aus?

    Jahn: Ja, weil es gelungen ist, ein Verfahren zu entwickeln, was die Einsicht in die Stasi-Akten möglich macht, was eine rechtsstaatliche Grundlage hat. Es ist gelungen, einerseits Transparenz herzustellen über das Wirken der Staatssicherheit und andererseits aber einen Datenschutz gegenüber den Informationen, die gesammelt worden sind über die Menschen in der DDR über die Betroffenen, die menschenrechtswidrig gesammelt worden sind, und dass diese Daten geschützt werden, das ist das Entscheidende.

    Dobovisek: Aber die Namen derer, die zum Beispiel Sie, Herr Jahn, bespitzelt haben, die sind ja dann bekannt gewesen auch für Sie. Welche Gefühle haben Sie zum Beispiel denen gegenüber?

    Jahn: Ach, das ist eine ganz subjektive Angelegenheit, und es hat sich auch verändert. Die erste Akteneinsicht, die damals am 2. Januar stattgefunden hat, das war 92, also vor 20 Jahren, das war schon etwas Schockierendes. Das war schon etwas, was auch unter die Haut ging, als man gelesen hat, welcher Freund einen bespitzelt hat. Und in dem Moment ist man natürlich doch etwas aufgeregt. Aber mit den Jahren hat man dann einen gelassenen Umgang auch damit gefunden, wie man sich dem Problem nähert und vor allen Dingen, was man an Erkenntnissen darüber hat, wie es funktioniert hat. Wie ist dieser Mensch dazu gekommen, dass er gespitzelt hat? Wie ist es abgelaufen? Das ist doch das Entscheidende: Wir wollen begreifen, wie es funktioniert hat.

    Dobovisek: Aus der Gelassenheit droht sich 21 Jahre nach der Wiedervereinigung ein nostalgischer Nebel über Teile der DDR-Vergangenheit zu entwickeln, frei nach dem Motto: War doch alles gar nicht so schlecht. Ist dem so?

    Jahn: Ich denke nicht, ich denke, dass die 20 Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz sehr dazu beigetragen haben, hier Transparenz zu schaffen über das Funktionieren einer Diktatur. Und das ist das Entscheidende, dass diese Gesellschaft hier einen offenen Umgang damit hat, dass sie aufarbeitet, dass sie es möglich macht, was der Kulturstaatsminister auch angesprochen hat, dass eine Befriedung eintritt und am Ende natürlich das große Ziel einer möglichen Versöhnung steht.

    Dobovisek: Es gibt aber nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung auch für DDR-Verbrechen zum Beispiel. Wie gehen Sie mit Geschichtsverfälschung um?

    Jahn: Also ich denke, dass die letzten 20 Jahre der Anwendung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gezeigt haben, dass hier ein sehr sensibler Umgang mit DDR-Geschichte erfolgt ist, und dass es nicht unbedingt nötig war, hier mit Strafrechtsparagrafen loszugehen und Leute, die die Geschichte anders sehen, mit Strafe zu drohen, sondern dass eine offene Diskussion stattgefunden hat, und dass mithilfe der Stasi-Akten auch gezeigt worden ist, wie ist es abgelaufen? Die Stasi-Akten sind Dokumente, die immer wieder genutzt werden, gerade für Medien und Wissenschaft, und um es aufzuzeigen, wie es abgelaufen ist in der DDR.

    Dobovisek: Der anfängliche Ansturm auf die Behörde war enorm. Allein am ersten Tag der Akteneinsicht waren die gedruckten 20.000 Antragsformulare binnen Stunden vergriffen. Wie groß ist heute noch das Interesse an den alten Akten?

    Jahn: Ja, das Interesse heute ist ja ungebrochen, und viele sind erstaunt, dass noch so viele Anträge auf Akteneinsicht da sind. Wir haben alleine, was die Aktenansicht von betroffenen Menschen angeht, haben wir letztes Jahr 87.000 Anträge gehabt, wir haben dieses Jahr auch wieder eine annähernd große Anzahl, und ich denke, es wird noch einige Jahre dauern, bis diese Zahl zurückgeht.

    Dobovisek: Kommen wir zur Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, die am 1. Januar in Kraft treten wird. Dabei geht es unter anderem auch um die Zwangsversetzung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter aus ihrer Behörde. Der erste Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde Joachim Gauck kritisiert auch Sie persönlich, Herr Jahn. Hören wir mal rein.

    "Gauck: Ich halte diese Auseinandersetzung um die Beschäftigung der Leute, die früher ihr Gehalt von der Stasi bekommen haben, für übertrieben. Ich hätte diesen Ansatz nicht gewählt. Erstmal muss man noch einmal deutlich sagen, dass das Gros dieser Leute niemals die Bevölkerung verfolgt hat, sondern als Personen- und Objektschützer tätig war. Und ich habe nur solche übernommen, die das Vertrauen von Menschen aus der Demokratiebewegung hatten, die uns schon einmal unterstützt hatten."

    Dobovisek: Warum halten Sie, Herr Jahn, den Schritt dennoch für angemessen?

    Jahn: Also ich denke erst mal, dass das Joachim Gauck hier sagt, es ist eine alte Diskussion, diese Diskussion ist schon über 20 Jahre alt. Ich habe diese Position immer kritisiert, die Joachim Gauck hier vertritt, und wir waren halt da nicht einer Meinung. Trotzdem muss man natürlich sagen, dass Joachim Gauck gerade in seiner Zeit als Bundesbeauftragter Großartiges geleistet hat, und deswegen denke ich, ist es auch wichtig, dass man hier diese unterschiedlichen Positionen austrägt. Für mich ist da eines deutlich: Das Problem, was dadurch entstanden ist, dass diese Stasi-Mitarbeiter – das sind übrigens hauptamtliche Stasi-Offiziere gewesen und nicht irgendwer – dass diese Stasi-Mitarbeiter gerade in der Behörde arbeiten, die aufarbeiten soll. Dieses Problem besteht halt nach wie vor, und bevor ich mein Amt angetreten habe, habe ich mit den Opferverbänden geredet.

    Dobovisek: War es damals also ein Fehler von Joachim Gauck, diese Mitarbeiter einzustellen?

    Jahn: Ich denke, es war ein klarer Fehler, diese Mitarbeiter einzustellen. Nur wir müssen jetzt mit dem Problem einfach umgehen, und deswegen ist die Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes eine gute Voraussetzung auch dafür, dass diese ehemaligen Stasi-Mitarbeiter, die in der Behörde jetzt arbeiten, in anderen Bundesverwaltungen eingesetzt werden und dort sich einbringen können in die Gesellschaft. Und damit haben wir natürlich dann eine Möglichkeit, den Konflikt zu lösen, das Opfer, wenn sie zu uns kommen, wenn sie zum Aktenlesen kommen, keinen ehemaligen Stasi-Offizieren begegnen.

    Dobovisek: Aber ist das der richtige Umgang mit zum Teil auch verdienten Mitarbeitern, sie zwangszuversetzen?

    Jahn: Es wird ja eine ganz normale Versetzung gemacht, wie im öffentlichen Dienst. Es geht darum ...

    Dobovisek: Dafür braucht man kein Gesetz.

    Jahn: Dafür braucht man kein Gesetz, aber der Deutsche Bundestag hat ein politisches Zeichen setzen wollen gerade in Richtung der Opfer, und deswegen scheidet das Gesetz nicht. Das Entscheidende ist doch, dass wir hier zu einer Lösung kommen, und dass wir hier in den nächsten Wochen von den Bundesverwaltungen Stellen bereitgestellt bekommen, dass wir die Möglichkeit haben, dass diese Mitarbeiter in anderen Bundesverwaltungen arbeiten.

    Dobovisek: Roland Jahn, der Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde. Heute vor 20 Jahren trat das Stasi-Unterlagen-Gesetz in Kraft. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.