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Amoklauf in München
Zweifel an der offiziellen Tatversion

Lange Zeit wusste man nicht, ob es sich beim Amoklauf von München um einen Terrorakt handelt. Jetzt gehen die Ermittler davon aus, dass der Täter ein 18-jähriger Deutsch-Iraner mit rechtsextremen Ansichten war. Doch bei den Menschen gibt es Zweifel an der offiziellen Tatversion.

Von Susanne Lettenbauer | 01.08.2016
    Die Blumensträuße, Kerzen und Trauersprüche nehmen kein Ende. Sie liegen und stehen am U-Bahneingang und am Eingang zum Olympia-Einkaufszentrum in München.
    Blumensträuße, Kerzen und Trauersprüche am U-Bahneingang und am Eingang zum Olympia-Einkaufszentrum in München. (Deutschlandradio/Susanne Lettenbauer )
    Die Blumensträuße, Kerzen und Trauersprüche nehmen kein Ende. Sie liegen und stehen am U-Bahneingang, am Eingang zum Olympia-Einkaufszentrum, an Seitenausgängen, vor einem Döner-Imbiss und neben dem seit dem 22. Juli auf unbestimmte Zeit geschlossenen McDonalds. Der Täter hatte per Facebook in das beliebte Schnellrestaurant eingeladen und dann kaltblütig auf der Straße um sich geschossen - ein seit einem Jahr vorbereiteter Racheakt, weiß man heute. Die Anspannung hat sich noch immer nicht gelegt, eine Woche nach dem Amoklauf, kurz vor dem Besuch der Bundeskanzlerin:
    - "Ja, keine Ahnung, ich muss früh und abends zur Arbeit, ich fahre jetzt auch zur Arbeit, wir sitzen hier immer im McDonalds, trinken einen Kaffee jeden Tag von der Siedlung, weil ich wohne da gleich dahinter. Also es ist schon ein komisches Gefühl."
    - "Ja, das ist mein McDonalds hier, wo ich eigentlich auch immer gern hingehe."
    Vier Tage lang war die vielbefahrene, vierspurige Straße am Olympia-Einkaufszentrum gesperrt, gespenstische Ruhe begleitete die zahlreichen Gedenkfeiern direkt vor Ort. Jetzt fahren wieder Busse vorbei, die Autofahrer drängeln trotz der vielen Menschen, die immer wieder stehenbleiben vor den Blumen. Die Trauerkränze, von Ministerpräsident Horst Seehofer und Oberbürgermeister Dieter Reiter an eine Hecke gelehnt, sind etwas verblichen.
    "Ich will nicht reden."
    Viele Anwohner und Geschäftsleute sind noch immer geschockt
    Der Obsthändler gleich zwischen U-Bahnaufgang und dem Schnellrestaurant redet nur leise. Er sei in psychologischer Behandlung, zwei Einschusslöcher in dem Schild vor seinem Stand zeigen: Er hat Glück gehabt.
    "Ich habe alles gesehen, ich habe alles mitgekriegt, ich habe alles selber miterlebt."
    Ein paar Tage war sein Stand geschlossen, jetzt muss er wieder arbeiten trotz psychologischer Behandlung, eine finanzielle Unterstützung wurde ihm noch nicht angeboten. Vieles sei ihm noch immer unklar, sagt dieser Deutschtürke und er sei mit dieser Meinung nicht allein:
    Es fehlt einfach eine saubere Aufklärung, wissen Sie, so mit Bildern, mit Videos, der Mann schießt. Es gibt hier hunderte Kameras, also wir werden bestimmt von fünf Kameras jetzt hier erfasst, aber diese Kameras haben nichts gezeigt von dieser Tat. Wir sind hier mitten im Einkaufszentrum, die Geschäfte haben Kameras.
    Gab es wirklich nur einen Täter?
    Vor allem bei Münchnern mit Migrationshintergrund kursieren verschiedenste Theorien. Der Täter vor dem Schnellrestaurant kann nicht derselbe gewesen sein wie auf dem Parkdeck. Waren es nicht doch zwei Täter? Verheimlicht die Polizei Details? Waren es nicht ganz andere Attentäter und der 18-jährige mutmaßliche Deutsch-Iraner nur ein Opfer wie die neun anderen jungen Menschen auch?
    Hinter vorgehaltener Hand wird von einem zweiten NSU geredet. Der anfänglich schleppende Polizeieinsatz, das gebe doch zu denken, kritisiert der Onkel eines Opfers auf einer der Gedenkfeiern:
    "Es ist so schön – 2000 Polizisten waren da, die österreichischen Nachbarn waren da, das Sondereinsatzkommando war da, aber keiner war hier, um das geht es."
    Die Eltern des Attentäters bekommen in ihrer Wohnung gleich um die Ecke mittlerweile Morddrohungen, für sie ist München nicht mehr sicher, obwohl auch sie Opfer sind.
    Etliche Kilometer stadteinwärts läutet beim ökumenischen Gedenkgottesdienst die Totenglocke der Münchner Frauenkirche. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist gekommen, Bundespräsident Joachim Gauck, Bundesratspräsident Stanislaw Tillich, Verfassungsschutzpräsident Hans Georg Maaßen und zahlreiche Bundesminister. Die wichtigsten Vertreter der katholischen, evangelischen, muslimischen und jüdischen Gemeinde sprechen ein Gebet. Neun Kerzen werden angezündet. Die Opfer waren alle Muslime, trotzdem sei die Frauenkirche der richtige Ort, so Kardinal Reinhard Marx in seiner Trauerrede:
    "Die beiden Türme dieses Domes unserer lieben Frau zu München sind das Wahrzeichen unserer Stadt, der Orientierungspunkt. Menschen auf der ganzen Welt erkennen München, wenn sie diese Türme sehen. Deshalb ist es gut, dass wir uns heute hier versammeln. Denn diese beiden Türme gehören nicht nur uns Katholiken, uns Christen. Sie gehören der ganzen Stadt."
    Joachim Gauck: "Die Gesellschaft muss mehr hinschauen."
    Die Gesellschaft müsse mehr hinschauen, so Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Ansprache beim nachfolgenden Trauerakt im bayerischen Landtag:
    "Diese Menschen planen diese Taten sehr lange im Voraus, die Gesellschaft darf diese Menschen dann nicht allein lassen und dulden, dass sie zu Randständigen werden."
    Natürlich sei es gut, dass die Bundeskanzlerin nach München komme, sagen die Menschen vor den Blumen am Olympia-Einkaufszentrum. Die Anteilnahme der Politik, das helfe gerade den Münchnern mit Migrationshintergrund. Ob den Reden aber Taten folgen werden? Die Unsicherheit bleibt.