Dienstag, 19. März 2024

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Generalbundesanwalt Peter Frank
"Ich möchte davor warnen überzureagieren"

Bisher sei bei der Gewalttat von München von einem Amoklauf auszugehen, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank im Deutschlandfunk. Die Ermittlungen zum Motiv dauerten allerdings noch an. München zeige, dass man sich davor hüten müsse, übereilt und vorschnell Schlüsse zu ziehen und Bewertungen abzugeben.

Peter Frank im Gespräch mit Gudula Geuther | 31.07.2016
    Generalbundesanwalt Peter Frank vor der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe.
    Generalbundesanwalt Peter Frank vor der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. (dpa / Uli Deck)
    Geuther: Herr Generalbundesanwalt, frisch im Amt haben Sie in einem Interview auf die Frage, was Sie sich vorgenommen haben, geantwortet: "Vorsätze werden meist durch die Entwicklung überholt." Nach den jüngsten Gewalttaten, wie haben Sie die vergangenen Tage verbracht?
    Frank: Deutschland ist in den letzten zwei Wochen von schlimmen Anschlägen erschüttert worden, auch von Taten und Ereignissen erschüttert worden, wie die Tat in München. Ich selbst war am Wochenende in München und habe die Stadt selbst erlebt, wie angespannt sie war. Und es war eine sehr bedrückende Situation. Ich selbst war auch sehr bedrückt. Auch, wenn ich natürlich als Generalbundesanwalt weiß, dass Deutschland schon seit längerer Zeit im Visier des internationalen Terrorismus sich befindet, war die erste Assoziation: Jetzt ist es passiert. Jetzt ist ein Anschlag in München passiert oder jetzt sind Anschläge in München passiert. Auch, wenn sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass es ein doch – zumindest, was München anbelangt – ein anderer Geschehensablauf war.
    Geuther: Trotzdem, es gibt einzelne Berichte, wonach der Täter von München möglicherweise einen rechtsextremen Hintergrund gehabt haben könnte, er möglicherweise auch aus rassistischen Motiven getötet haben könnte. Wie relevant ist die Frage für Sie? Und prüfen Sie, ob Sie in dem Fall ermitteln werden?
    Frank: Wir stehen hier in einem engen Kontakt mit den bayrischen Behörden, mit der Staatsanwaltschaft in München, aber auch mit dem bayrischen Landeskriminalamt. Die Motivlage ist derzeit noch nicht gesichert. Derzeit ist – zumindest, was sich an gesicherter Erkenntnis herausgestellt hat – von einem Amoklauf auszugehen und nicht von einem Terroranschlag. Aber die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Und das ist auch, glaube ich, eine Erkenntnis aus den Ereignissen in München. Wir müssen uns davor hüten, übereilt und vorschnell Schlüsse zu ziehen und Bewertungen abzugeben. München hat auch gezeigt, wie wichtig es ist, dass man die Polizei ihre Sacharbeit machen lässt, dass man mit einem kühlen Kopf die Ermittlungen vorantreibt, um nicht vorschnell Vermutungen oder Spekulationen ins Kraut schießen zu lassen. Spekulationen und Vermutungen müssen immer von Tatsachen getrennt werden.
    Geuther: Was immer hier der Hintergrund gewesen sein mag, wir kommen später noch zu rechtsextremistischen Taten. Herr Frank, lassen Sie uns erst mal bei den jüngsten Ereignissen auch in anderer Hinsicht bleiben. Sie haben die Ermittlungen wegen der mutmaßlich islamistisch motivierten Anschläge in Ansbach und im Zug bei Würzburg gegen mögliche Komplizen oder Mitwisser übernommen. Das ist ein Schritt, der immer für Aufmerksamkeit sorgt, der Ermittlungen eine andere Dimension zu geben scheint. Was bedeutet er in diesen Fällen konkret?
    "Wir müssen immer einen kühlen Kopf bewahren"
    Frank: Sowohl Würzburg als auch der Anschlag in Ansbach sind aus unserer Sicht keine reinen Amokläufe, sondern sind Ausdruck und Ausfluss eines aus unserer Sicht zunächst einmal internationalen Terrorismusgeschehens. Wir haben deswegen die Ermittlungen übernommen, weil sich sehr früh herausgestellt hat, dass es Verbindungen und Beziehungen zum sogenannten Islamischen Staat gibt. Bereits bei dem Anschlag im Regionalzug in Richtung Würzburg hat sich der Attentäter ja in einem selbst gedrehten Video – das dann über eine Medienstelle, eine IS-nahe Medienstelle verbreitet wurde – als IS-Attentäter selbst präsentiert. Auch in dem Fall in Ansbach haben wir erkennen müssen – und zwar sehr schnell erkennen müssen –, dass der Attentäter Beziehungen, Verbindungen ins Ausland zu eventuell islamistisch-terroristischen Organisationen hat. Deswegen haben wir diese Ermittlungen übernommen. Und wir versuchen jetzt, in den Ermittlungen herauszubekommen, wie tief diese Verbindungen waren, welcher Art diese Verbindungen waren und versuchen dort Ergebnisse zu finden.
    Geuther: Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann sagt, der islamistische Terrorismus sei in Deutschland angekommen. Viele – auch Sicherheitsverantwortliche in Berlin – sagen: Die Welt ist aus den Fugen. Können oder wollen Sie dem etwas Nüchterneres entgegensetzen?
    Frank: Ich denke, dass die Einschätzung schon nüchtern und sachlich ist, die Herr Herrmann oder auch die Berliner Politik darauf gegeben hat. Dass der islamistische Terrorismus in Deutschland nun jetzt auch real und bewusst geworden ist, das zeigt sich. Jeder Ort in Deutschland kann zu jeder Zeit von einem terroristischen Anschlag bedroht werden. Wenn diese Metapher der Welt aus den Fugen geraten ist, dann zeigt sich vielleicht darin nur, dass es überall auf dieser Welt Anschläge geben kann. Das kann der Westen sein. Wir dürfen aber auch nie vergessen, dass gerade im Nahen Osten auch sehr viele, sehr schreckliche Attentate seitens des IS oder anderer terroristischer Organisationen begangen wurden. Fast tagtäglich sterben im Irak oder in Syrien Dutzende von Menschen durch Anschläge. Insoweit ist vielleicht diese Metapher der "Welt aus den Fugen geraten" eine wirklich sachliche Beschreibung.
    Geuther: Sie haben im Februar – das war also noch eine andere Sachlage – in einem Interview Journalisten zugestimmt, die von turbulenten, fast hysterischen Zeiten gesprochen haben und Sie haben vor Überreaktionen gewarnt. Würden Sie das heute noch so formulieren?
    Frank: Ja, das würde ich heute immer noch so formulieren. Auch, wenn Deutschland jetzt innerhalb kurzer Zeit von zwei aus unserer Sicht zunächst mal islamistischen Anschlägen betroffen wurde, möchte ich immer davor warnen, zu schnell überzureagieren. Wir müssen die Hintergründe ermitteln. Wir müssen insoweit immer einen kühlen Kopf bewahren, um die richtigen Ermittlungsschritte ergreifen zu können, um auch dann eventuell in der Politik die richtigen Schlüsse zu ziehen. Überreaktionen helfen, glaube ich, in keiner Situation.
    Geuther: Und, Herr Generalbundesanwalt, was die Politik betrifft, es werden derzeit Forderungen laut nach mehr Möglichkeiten, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen, nach einer Verschärfung des Waffenrechts, nach mehr Mitteln für die Fahndung im Darknet, also im – wenn man so will – versteckten, anonymen Netz und Vieles mehr. Ihr Eindruck – sind die Sicherheitsbehörden gut aufgestellt?
    Frank: Es ist gut und richtig, dass immer wieder eine Diskussion geführt wird darüber, ob den Sicherheitsbehörden ausreichend rechtliche, technische und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Terrorismus entwickelt sich technisch, personell, ideologisch, auch von den Abläufen immer wieder weiter und neu. Und genauso müssen sich auch die Sicherheitsbehörden und die Strafverfolgungsbehörden dem anschließen. Wir können nicht auf den Terrorismus von morgen mit Antworten von gestern reagieren oder mit Möglichkeiten von gestern reagieren.
    Geuther: Eine bessere Ausstattung der Polizei wird kaum jemand kritisieren. Für mehr Befugnisse, rechtliche Befugnisse müsste man Lücken feststellen können. Sehen Sie die?
    Frank: Entscheidend für eine Strafverfolgungsbehörde und auch für die Sicherheitsbehörden ist, dass Terroristen nicht in einem Dunkelfeld agieren, das für uns als blinde Flecken sich darstellt, also sich Terroristen in Bereichen tummeln und agieren und Vorbereitungshandlungen vornehmen, die für uns nicht einsehbar sind. Insoweit ist natürlich der Bereich der Kommunikation ein Themenbereich, in dem sich über Jahre hinweg Entwicklungen ergeben haben. Und so, wie sich letztendlich das Kommunikationsverhalten von Terroristen ändert, ist es auch sinnvoll, wenn sich die Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden entsprechend auch ändern.
    "Wir kommen mit den bestehenden Rechtsnormen sehr gut klar"
    Geuther: Um noch mal zu versuchen, das zu konkretisieren. Es gibt eine Befugnis, die die Bundesanwaltschaft in der Vergangenheit nicht genutzt hat. Das ist die sogenannte Quellen-TKÜ, also die Überwachung der verschlüsselten Kommunikation eines Verdächtigen durch ein Programm, das auf seinen Computer aufgebracht wurde. Die Bundesanwaltschaft hatte vor Ihrer Zeit die Ansicht vertreten, ohne eine spezielle Rechtsgrundlage gehe das nicht. Sie sind seit einem Dreivierteljahr im Amt. Halten Sie es wie die Vorgänger?
    Frank: Die Haltung der Bundesanwaltschaft, die Sie soeben zitiert haben, basiert ja auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Das Bundesverfassungsgericht hat hier klare Grenzen gezogen. Und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes sind auch für mich Richtschnur.
    Geuther: Was die Gewalttaten in Deutschland betrifft, beim Angriff in einem Zug bei Würzburg hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière von einer Tat gesprochen, die vielleicht im Grenzbereich von Terrorismus und Amoklauf liege. Beim Täter von Ansbach ist die Frage, ob er von einer weiteren Person im Internet angeleitet oder aufgestachelt wurde. In beiden Fällen ist noch nicht klar, wie eng die Verbindung zum sogenannten IS ist. Und in diesen Zusammenhang passt auch eine ganz andere Tat, nämlich der Messerangriff einer 15-Jährigen auf einen Bundespolizisten mit möglichen Verbindungen zum sogenannten IS im Februar. Das heißt, die Ränder der terroristischen Situation verschwimmen sozusagen. Stellt Sie das vor rechtliche Probleme?
    Frank: Nein. Die drei von Ihnen genannten Taten lassen sich mit dem rechtlichen Instrumentarium, das uns zur Verfügung steht, sehr gut lösen. Der Angriff auf die Passanten im Regionalzug nach Würzburg war für uns nach ersten Ermittlungsschritten dann schon erkennbar, dass es dort Verbindungen zu ausländischen Personen geben könnte oder zu anderen Personen geben könnte und damit auch zum IS. Der Täter hat sich ja sehr schnell mit seinem Video dazu bekannt, das über die IS-nahe Medienstelle Amaq auch präsentiert wurde. Der Täter in Ansbach – das sind die ersten Ermittlungsergebnisse – hatte einen relativ intensiven Kommunikationsverkehr mit anderen Personen. Er hat sich wohl auch anleiten lassen zum Bau dieses Sprengsatzes. Insoweit ist es für uns auch relativ klar, was unsere Ermittlungsinstrumente und was auch die Strafbarkeit anbelangt. Auch in dem Fall der von Ihnen angesprochenen Täterin, die vor einigen Monaten in Hannover einen Bundespolizisten angegriffen hat, gibt es für uns Ermittlungsansätze. Und das ist mit dem bisher uns zur Verfügung stehenden Ermittlungsinstrumentarium, auch mit den Strafnormen gut fassbar.
    Geuther: Als der IS in Deutschland sichtbarer wurde, als die Betätigungen insgesamt überhaupt des islamistischen Terrorismus sichtbarer wurden, da wurde diskutiert, ob diese Strafnormen des 129a und b – das heißt also Mitgliedschaft/Unterstützung der terroristischen Vereinigung – überhaupt noch passen, ob die nicht zu sehr von dem Bild der RAF geprägt sind. Das klingt jetzt bei Ihnen nicht so, als sei diese Diskussion für Sie noch relevant.
    Frank: Wir kommen mit den bestehenden Rechtsnormen sehr gut klar, was den islamistischen Terrorismus anbelangt. Das zeigen ja auch eine Reihe von Verurteilungen, die wir in den letzten Jahren erwirkt haben. Im Syrien-Irak-Konflikt betätigt sich ja nicht nur der sogenannte Islamische Staat als eine der Konfliktparteien. Es gibt dort mehrere, verschiedene Organisationen, unter anderem auch die Jabhat al-Nusra oder andere, Junud al-Sham. Das sind mehrere islamistisch geprägte Organisationen, die Terror in Syrien, im Irak haben, aber auch teilweise weltweit exportieren. Wir haben in den letzten Jahren rund 15 Verurteilungen erwirkt durch die Oberlandesgerichte. Wir haben auch Bestätigungen und Rechtsauffassungen des Bundesgerichtshofs erwirkt, die sowohl den sogenannten Islamischen Staat, aber auch andere terroristische Organisationen als terroristische Vereinigung im Sinne des deutschen Strafgesetzbuchs qualifiziert haben. Die im Übrigen alle größer sind als drei Personen. Die im Übrigen alle feste Strukturen aufweisen, so, wie es auch die bisherige, alte Rechtsprechung war. Und wenn sich aus Deutschland jemand in das syrische-irakische Kriegsgebiet begibt, wenn jemand aus Deutschland dort sich dem sogenannten Islamischen Staat unterstellt, wenn jemand aus Deutschland bei der Jabhat al-Nusra kämpft, sich an Waffen ausbilden lässt, dann ist das eine mitgliedschaftliche Betätigung. Und hierfür haben wir eine Reihe von Verurteilungen erwirkt. Genauso, wie wir Verurteilungen erwirkt haben für andere Personen, die aus Deutschland die terroristischen Organisationen im Syrien-Irak-Konflikt durch die Lieferung von Geld, durch die Lieferung von teilweise militärischem Ausrüstungsmaterial unterstützen.
    "Flüchtlinge stehen bei uns nicht unter einem Generalverdacht"
    Geuther: Und gleichzeitig stehen Sie im Tatsächlichen zum Teil vor erheblichen Schwierigkeiten. Fangen wir an mit den Ermittlungsverfahren gegen Flüchtlinge, wenn ein Verdacht, wie eben beschrieben, besteht. Das geht zum Beispiel dann zurück auf Anzeigen anderer Flüchtlinge. Wie können Sie eigentlich prüfen, was da dran ist? Bundesinnenminister de Maizière betont ja immer wieder, es gibt keine Referenzdatei, in der man nachschauen kann, wer für den sogenannten IS oder andere in Syrien oder im Irak gekämpft hat.
    Frank: Ja. Zunächst möchte ich vielleicht eines vorweg sagen. Flüchtlinge stehen bei uns nicht unter einem Generalverdacht. Es ist auch für uns nicht entscheidend, ob jemand Flüchtling ist oder einen anderen Aufenthaltstitel hat. Es ist für uns auch nicht entscheidend, welcher Nationalität jemand angehört. Für uns ist entscheidend: Radikalisiert sich jemand und ist jemand bereit Anschläge zu begehen oder sich einer terroristischen Vereinigung anzuschließen? Wir haben in den letzten Monaten – nicht nur wir, sondern auch vor allem die Polizeibehörden und die Sicherheitsbehörden – vermehrt Hinweise darauf bekommen, dass sich auch bei den Flüchtlingen Angehörige terroristischer Organisationen befunden haben sollen. Wir gehen diesen Hinweisen im Einzelnen nach. Da gibt es eine Reihe von Hinweisen, die sich als nichtzutreffend herausgestellt haben. Aber immer dann, wenn sich der Verdacht ergibt, ein begründeter Verdacht ergibt, dass sich nicht nur unter Flüchtlingen Angehörige des sogenannten Islamischen Staates oder anderer terroristischer Vereinigungen, der Al-Kaida befinden, dann greifen wir diese Verfahren auf und versuchen, dort die Täter oder die Beschuldigten zu überführen.
    Geuther: Trotzdem noch mal: Wie gehen Sie mit diesen tatsächlichen Schwierigkeiten um?
    Frank: Natürlich ist es für uns immer wieder schwierig, in einem doch fernab gelegenen Kriegsgebiet – in dem ja jegliche staatliche Kontrolle, jede jegliche staatliche Struktur zusammengebrochen ist – auch Beweise zu erheben. Allerdings sind wir nicht immer darauf angewiesen im Wege der Rechtshilfe Beweise aus diesem syrisch-irakischen Kriegsgebiet zu gewinnen. Wir haben auch sehr viele Beweismittel hier in Deutschland. Allein mit dem Flüchtlingsstrom sind auch sehr viele geschädigte, geschundene Personen, vertriebene Personen, die Opfer des sogenannten Islamischen Staates geworden sind, hierher nach Deutschland gekommen. Auch insoweit stehen uns sehr viele Beweismittel als Zeugen zur Verfügung.
    Geuther: Und nur, um das noch mal klarzustellen, ich hatte die Frage jetzt eingeleitet über die Flüchtlinge, aber von den mehr als 130 Verfahren, die Sie führen, ist das natürlich nur der allergeringste Teil. Wir haben ja bisher im Zusammenhang mit Syrien vor allem über die verschiedenen islamistischen Organisationen gesprochen. Der syrische Menschenrechtsanwalt Ibrahim Alkasem hat vor Kurzem in der Online-Ausgabe der "Zeit" an Sie appelliert, systematisch und strukturiert auch insbesondere Folter durch die Assad-Seite in den Blick zu nehmen.
    Frank: Wir haben nicht nur terroristische Organisationen im Blick. Die Bundesanwaltschaft ist seit dem Inkrafttreten des Rom-Statuts ja mit der Umsetzung und mit der Verfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch – das zeitgleich in Kraft getreten ist – beauftragt. Wir führen – was den syrisch-irakischen Bürgerkrieg anbelangt, mehrere Strukturverfahren, um zu beobachten und herauszufinden und zu ermitteln und Beweise zu sichern: Wer könnte Kriegsverbrechen begehen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Wir haben da sowohl den sogenannten Islamischen Staat im Blick, wir haben da aber auch das Regime im Blick. Und insoweit ist es für uns auch wichtig, Beweise, Beweismittel – das sind in der Regel Zeugen, die als Flüchtlinge hierher nach Deutschland gekommen sind –, diese Beweismittel zu sichten, auch in Kooperation mit anderen ausländischen Staaten. Denn Flüchtlinge sind ja nicht nur nach Deutschland gekommen. Insoweit stehen wir in einem engen Austausch mit anderen Staatsanwaltschaften anderer europäischer Länder, in denen auch entsprechende War Crime Units gebildet wurden, um hier gemeinsam Beweise zu sichern, die wir vielleicht einmal nutzbar machen können, wenn Teilnehmer solcher Kriegsverbrecherhandlungen hierher nach Deutschland kommen.
    Geuther: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Generalbundesanwalt Peter Frank. Herr Frank, noch vor einigen Wochen hätten wir dieses Gespräch wahrscheinlich mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus begonnen. Sie haben mehrere Verfahren übernommen. Im April haben Sie fünf Personen festnehmen lassen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer rechtsterroristischen Vereinigung. Dieser "Gruppe Freital" rechnen Sie auch noch weitere Personen hinzu. Hätten Sie sich ohne die Erfahrung mit dem NSU vorstellen können, dass es Terrorismus von rechts in Deutschland geben könnte?
    Frank: Durch die Erkenntnisse aus dem NSU-Komplex hat sich der Blickwinkel auf den Themenkomplex Rechtsextremismus sicherlich noch etwas stärker verstärkt. Die Bundesanwaltschaft hat in dieser Folge ein eigenes Referat "Deutscher Terrorismus rechts" gebildet. Wir haben in Zusammenarbeit auch mit den Länderbehörden in der Zwischenzeit eine Strategie entwickelt, wie wir das Thema Rechtsterrorismus, Rechtsextremismus auch aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden stärker durchleuchten und beleuchten wollen. Denn eines muss klar sein: Eine terroristische Organisation wie der NSU, der doch über Jahre hinweg vielleicht unbekannt und unerkannt in Deutschland Morde begangen hat, das darf es nicht mehr geben. Und insoweit sind wir in einem engen Austausch und in einer engen Vernetzung, nicht nur mit den Staatsanwaltschaften der Länder, sondern auch mit den Polizeibehörden des Bundes und der Länder, mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dazu gehört auch, dass der Generalbundesanwalt das eine oder andere Verfahren von den Ländern – das auch dort stärker ermittelt und ausgeleuchtet wird – immer wieder übernimmt. Und eine Folge war die Übernahme dieses Verfahrens Freital.
    Geuther: Und gerade da hatte die Aufdeckung der NSU-Taten ja auch tatsächlich Konsequenzen für Ihre Behörde bei der Frage der Übernahme und der Zuständigkeit. Dafür muss es ja immer einen besonderen Grund geben, sonst sind die Landesbehörden zuständig. Und in der Vergangenheit gab es da auch schon Streit. Jetzt müssen die Landesbehörden Sie vor allem früher informieren, wenn es Anhaltspunkte gibt zum Beispiel, ob ein Fall besondere Bedeutung hat. Klappt das denn jetzt?
    "Recht muss immer durchgesetzt werden"
    Frank: Wir stehen in einem sehr engen Austausch. Wir haben in den letzten anderthalb Jahren diverse Regionalkonferenzen mit den Staatsanwaltschaften, Polizeibehörden, Verfassungsschutzbehörden der Länder, teilweise unter Beteiligung auch von Behörden aus dem Ausland durchgeführt. Denn eines muss man sehen: Auch der Rechtsextremismus ist nicht nur auf Deutschland beschränkt. Auch hier gibt es immer wieder Kontakte in das Ausland. Sei es allein, was die Beschaffung bestimmter pyrotechnischer Gegenstände anbelangt. Sei es als Rückzugsgebiete oder Vernetzung mit anderen ausländischen rechtsterroristischen oder rechtsextremistischen Strukturen. Wir haben ein Ansprechpartner-Netzwerk entwickelt. Wir versuchen auch, dieses noch weiter zu entwickeln, indem wir die Länderstaatsanwaltschaften noch enger an uns heranbinden. Und insoweit berichten uns die Länder sehr frühzeitig. Wir berichten den Ländern aufgrund unserer Erkenntnisse. Und ich glaube, das ist auch das Entscheidende.
    Geuther: Es wurde einzelnen Ländern – gerade auch im Osten der Republik – vorgeworfen, eine Tat später als rechtsextremistisch einzuordnen als andere – vorsichtig gesagt. Stimmt das? Und wenn ja, stimmt das immer noch?
    Frank: Um hier eine Sensibilisierung auch bei jedem zu erreichen, haben wir, hat die Bundesanwaltschaft, in Zusammenarbeit aber auch mit den Generalstaatsanwaltschaften der Länder verschiedene Instrumentarien entwickelt. Eines ist zum Beispiel – auch, wenn das vielleicht banal klingen mag – die Entwicklung eines Formblattes, wie man frühzeitig rechtsextremistische Straftaten erkennen kann. Denn vielfach ist ein erster Kontakt mit rechtsextremistischen Straftaten nicht immer dann gegeben, wenn Volksverhetzungen begangen wurden, der Hitler-Gruß gezeigt wird, wenn Hakenkreuze an die Wand gemalt werden. Häufig sind es Straftaten der Allgemeinkriminalität. Es sind Körperverletzungshandlungen. Und hier muss jeder Staatsanwalt frühzeitig wissen – nicht nur der Staatsanwalt, der sich in einer Spezialabteilung befindet –, muss sich jeder Staatsanwalt frühzeitig bewusst werden: Gibt es hier Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass es sich um einen rechtsextremistischen Hintergrund handelt? Und insoweit haben wir versucht, jeden Staatsanwalt und im Übrigen auch versucht, jeden Vollzugsbeamten – denn man muss auch im Strafvollzug erkennen: Jemand, der wegen eines Diebstahls, eines Ladendiebstahls sitzt, auch der kann einen rechtsextremistischen Hintergrund haben – frühzeitig diese Strukturen zu erkennen, um sie dann den zuständigen Behörden zu melden, damit sich daraus nichts verfestigt.
    Geuther: Es gab im vergangenen Jahr fast 1.500 politisch rechts motivierte Gewalttaten und darunter eine bisher nie gehabte Zahl von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Wie gehen Sie als Generalbundesanwalt damit um?
    Frank: Für die Beobachtung von rechtsextremistischen Straftaten gibt es im Bundesamt für Verfassungsschutz das gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum rechts, in dem auch wir – die Bundesanwaltschaft – vertreten sind. In diesem Zentrum, das eine Plattform darstellt, in dem Polizeibehörden, Dienste, Nachrichtendienste, aber auch die Staatsanwaltschaft vertreten ist, werden solche Vorfälle gemeinsam bewertet. Wir, die Bundesanwaltschaft, schauen uns diese schwerwiegenden Straftaten, wenn sie ein bestimmtes Ausmaß erreicht haben, immer wieder an, um dort auch herauszufinden, ob sich Strukturen bilden. Das ist eine der Konsequenzen auch der Ergebnisse aus der Aufarbeitung NSU, dass wir verschiedene Strukturverfahren angelegt haben, um frühzeitig herauszufinden: Welche Entwicklungen spielen sich in bestimmten Bereichen ab? Wir haben – gerade, was die Anschläge auf die Flüchtlingsheime im letzten Jahr anbelangt – Strukturen, Verfahren geführt, um festzustellen: Gibt es Vernetzungen? Sind das nur Taten von Einzelpersonen oder von lokalen kleineren Gruppierungen? Oder hat sich da eine größere Vernetzungsstruktur gebildet? Findet da vielleicht eine Steuerung aus einem etwas größeren Ganzen statt? Wir haben auch im Blick, zusammen mit den Polizei- und den Verfassungsschutzbehörden: rechtsextremistische Musikgruppen. Wir haben im Blick besonders: rechtsextremistische Gefährder. Wir stehen insoweit in einem engen Kontakt und Austausch mit dem Bundeskriminalamt. Wir kriegen in regelmäßigen Abständen alle Gefährder aus dem rechtsextremistischen Bereich gemeldet, die wir dann wiederum mit unseren Erkenntnissen versuchen abzuklären. Nur, wenn man versucht, das Phänomen Bereich Rechtsextremismus ganzheitlich zu betrachten und unter allen möglichen Aspekten und Blickwinkeln auch zu durchleuchten, dann lässt sich frühzeitig verhindern, dass sich wieder eine neue Struktur NSU bildet. Das ist für uns sehr wichtig.
    Geuther: Jetzt haben wir über Rechtsextremismus gesprochen, vorher über den Islamismus, über eine Amok-Tat. Gleichzeitig waren laut Verfassungsschutzbericht auch Linksextremisten im vergangenen Jahr deutlich gewalttätiger als zuvor. Und man könnte auch weitergehen. Die Verrohung steigt offenbar insgesamt. Nicht nur in der Sprache im Internet, auch im öffentlichen Dienst, im Arbeitsamt oder in der Ausländerbehörde werden Mitarbeiter öfter angegriffen. Was kann Recht da überhaupt leisten?
    Frank: Es ist seit längerer Zeit zu erkennen, dass die Gewaltbereitschaft in Deutschland zugenommen hat. Und so, wie Sie es beschrieben haben, es beginnt zunächst einmal mit einer Verrohung der Sprache. Und es führt dann zu einer Verrohung auch in der körperlichen Auseinandersetzung. Seit Jahren steigt der Anteil von Gewaltstraftaten. Und auch, wenn man sich die Entwicklung innerhalb der Gewaltstraftaten anschaut, so findet man immer wieder einen Anstieg auch der Vehemenz von Gewalt. Recht – und das ist das Entscheidende und Wichtige von Recht – Recht muss immer durchgesetzt werden. Recht muss insoweit standhaft bleiben, denn sonst verliert das Recht seine Achtung. Wir haben in Deutschland Werte letztendlich immer durch Rechtsnormen versucht auch abzusichern und Werteentfaltung durch das Schaffen von Recht einen Rahmen zu geben. Und nur, wenn wir diesen Rechtsrahmen auch konsequent verteidigen – und dazu gehört eine konsequente Strafverfolgung – nur, wenn wir diesen Rechtsrahmen verteidigen, dann haben wir eine Chance, dass das Recht und damit auch die Werte erhalten bleiben.
    Geuther: Herr Generalbundesanwalt, vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.