Mittwoch, 24. April 2024

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Anfeindungen gegen impfende Mediziner
"Häufung von Drohungen bis hin zu Morddrohungen"

Anonyme Anrufe, Falschmeldungen, Morddrohungen: Ärztinnen und Ärzte, Praxis- und Klinikpersonal sind wegen ihrer Impftätigkeit vermehrt Anfeindungen und Hass im Netz ausgesetzt. Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin, äußerte sich im Dlf besorgt. Durch eine solche Bedrohungslage werde aus Vertrauen schnell Misstrauen.

Peter Bobbert im Gespräch mit Thielko Grieß | 22.10.2021
Ein zwölfjähriges Mädchen wird in einer Arztpraxis von dem Hausarzt Tim Koop mit dem Serum von Biontech/Pfizer geimpft.
Ärzte die impfen, werden oft angefeindet. Es besteht eine große Beunruhigung beim Personal, sagt Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
In Berlin werden laut Landesärztekammer zunehmend Mediziner angefeindet, die gegen das Coronavirus impfen. Der Präsident der Berufsvertretung, Peter Bobbert, sagte im Deutschlandfunk, es gebe in den letzten Monaten eine Häufung von Drohungen gegenüber dem medizinischen Personal, die bis hin zu konkreten Morddrohungen reichten. Glücklicherweise sei kein Fall bekannt, in dem Ärzte deshalb das Impfen einstellen. Dennoch habe man die Sorge, dass aus Worten Taten folgten.
Bereits jetzt werde das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten gestört. Bobbert verlangte ein verstärktes Vorgehen gegenüber Falschmeldungen durch die Anbieter von Social-Media-Kanälen. Zugleich müsse aber die gesamte Gesellschaft die Atmosphäre von Aggressivität und Polarisierung aufbrechen.

Das Interview im Wortlaut:
Grieß: Herr Bobbert, Sie berichten von diesen Drohungen, von dieser Gewaltandrohung. Was geschieht da in Praxen und vielleicht auch in Krankenhäusern?
Bobbert: Tatsächlich merken wir in den letzten Monaten, dass da eine Häufung von Drohungen kommt bis hin zu Morddrohungen. Was geschieht ist, dass Ärztinnen und Ärzte, aber auch Praxispersonal und Klinikpersonal berichten, dass anonyme Anrufe kommen, dass auch Schreiben kommen, dass auch Falschmeldungen verbreitet werden über Social Media und dann solche Drohungen relativ schnell konkret werden – so konkret, dass eine große Beunruhigung beim Personal besteht.
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Grieß: Was bedeutet konkret? Wie konkret?
Bobbert: Bei Morddrohungen sind es ganz konkrete nicht nur Andeutungen, sondern klare Hinweise darauf, dass entsprechend hier die Person so bedroht wird, dass sie um ihr Leben bangen muss. Das bedeutet dann im ganz Konkreten, dass nicht nur die Polizei eingeschaltet wird, sondern auch schon leider Gottes es passiert, dass Praxen schließen müssen.
Grieß: Gab es schon tätliche Übergriffe?
Bobbert: Uns glücklicherweise noch nicht bekannt, aber das ist natürlich die Sorge, weil aus Worten ja Taten werden können, und diese Sorge treibt uns derzeit sehr, sehr um und das führte auch zu der gestrigen Stellungnahme.

Praxen schließen, Objektschutz muss eingerichtet werden

Grieß: Praxen müssen zeitweise schließen. Das heißt, Hausärzte, niedergelassene Ärzte ziehen sich zurück, beenden womöglich das Impfen gegen Corona, weil es ihnen zu gefährlich wird?
Bobbert: Zumindest vorübergehend wurde auch eine Praxis dahingehend geschlossen, weil die Mitarbeitenden in der Praxis keine Atmosphäre mehr sahen, in einer solchen Form zu arbeiten, so dass auch Objektschutz eingerichtet werden musste.
Grieß: Objektschutz ist Security-Personal?
Bobbert: Ja, glücklicherweise ist mir aber kein Fall bekannt, wo Ärztinnen und Ärzte eine Konsequenz daraus gezogen haben, Leistungen einzustellen oder nicht impfen zu wollen. Das ist mir glücklicherweise noch nicht bekannt.
Aber es zeigt die Sorge auch, die wir haben, denn es ist ja nun mal so, dass durch ein solches Bedrohen sich vieles verändert in unserer Arbeit. Das wichtigste was wir haben ist das Verhältnis zu unseren Patientinnen und Patienten und dieses Verhältnis ist ja geprägt durch ein Vertrauen. Durch eine solche Bedrohungslage wird aus Vertrauen schnell auch Misstrauen und darunter leidet ein Arzt-Patient-Verhältnis enorm und darunter leidet unsere Medizin. Das ist eine große Sorge, die wir haben. Und dann, dass darüber gegebenenfalls Leistungen eingestellt werden, in dem Fall zum Beispiel Praxen gegebenenfalls schließen.
Was wir auch sehen – auch das wurde ja in den letzten Tagen veröffentlicht: Es sind ja nicht nur Kolleginnen und Kollegen in Praxen und Kliniken. Es sind auch Wissenschaftler, die bedroht werden, die sich im Covid-19-Bereich forschend betätigen und äußern. Darunter leidet Wissenschaft, darunter leidet Forschung, darunter leiden dann auch entsprechende Möglichkeiten, zukünftig besser medizinisch zu agieren. Darunter leidet unsere gesamte Medizin.
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"Bei Covid-19 sind sehr viele Falschmeldungen im Umlauf"

Grieß: Als eine Ursache machen Sie Falschmeldungen in sozialen Medien aus. Was sind das für Falschmeldungen?
Bobbert: Es gibt einen Fall aus dem Frühjahr dieses Jahres, wo über Social Media Accounts gespült wurde, dass in einer Klinik geimpft wurde und darüber 50 Todesfälle produziert wurden, die dann nicht veröffentlicht wurden und das, so behauptet, dann unter eine Geheimhaltung fiel. Das fiel dann auch relativ auf breiten Boden in den Social-Media-Blasen.
Glücklicherweise konnten wir dem sehr, sehr schnell begegnen und entsprechend auf Unterlassung hinweisen, weil es diesmal nicht anonym gepostet wurde, aber das sind dann solche Falschmeldungen, die dann sehr persönlich werden.
Grieß: Da nehmen dann Menschen das sehr ernst und glauben, dass sie dem Einhalt gebieten müssten. Wie schaffen es diese Falschmeldungen, in Aggression umgesetzt zu werden von Menschen?
Bobbert: Was wir bei Covid-19 sehen ist, dass sehr, sehr viele Falschmeldungen im Umlauf sind und dass es da sehr verwirrende Informationen gibt gegenüber Covid-19 und auch den Therapien und gegenüber Impfungen. Diese Falschmeldungen sind oft gepaart mit einem sehr aggressiven Tonfall, der dann entsprechend auch umschlägt in den Tonfall, den Patientinnen und Patienten gegenüber der Ärzteschaft darstellen.
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Grieß: Gibt es ein Gegenmittel? Das ist eine Frage, die ich jetzt einem Arzt stelle, aber natürlich ist die Antwort deutlich komplizierter. Gibt es eine Art Möglichkeit, die Falschmeldungen aus sozialen Netzwerken zu entfernen? Was wünschen Sie sich?
Bobbert: Tatsächlich erwarte ich, gerade was auf Social-Media-Kanälen passiert, dass die entsprechenden Anbieter dort vorgehen. Da sehe ich in den letzten Wochen auch Möglichkeiten, die dort praktiziert werden, um entsprechend die richtigen Hinweise dahingehend zu platzieren. Aber was uns alle in der Gesellschaft, meiner Ansicht nach, bewegen sollte – und das wollten wir auch zum Ausdruck bringen – ist, dass wir diese Atmosphäre aufbrechen müssen. Wir müssen immer wieder zurückkommen auf demokratisches menschliches Miteinander, auch in der Kommunikation. Aggressivität und Polarisierung sind hierbei nicht das Richtige, sondern auch wenn die Meinungen anders sind, Respekt, Toleranz und Menschlichkeit, das muss unsere Gesellschaft prägen und das muss auch der Boden unserer Kommunikation sein. Das ist dann auch der Boden, auf dem so etwas, was wir derzeit sehen, nicht wachsen kann.
Ganz wichtig: Wenn wir solche Drohungen derzeit haben, dass klar wird – und auch das war der Grund, warum wir uns als Ärztekammer Berlin geäußert haben -, dass es eine Minderheit ist und dass der große Teil der Gesellschaft hier Solidarität und Unterstützung zeigt gegenüber denen, die hier bedroht werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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