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Archäologie-Projekt in der Türkei
Dächer bauen in Bergama

Seit mehr als 140 Jahren laufen in Pergamon in der Türkei Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Jetzt haben die Forscher ein Projekt gestartet, um Bewohner der Nachbarorte mehr einzubinden. Unter anderem helfen Jugendliche aus dem Ort dabei, historische Dächer neu zu decken.

Von Karin Senz | 21.08.2019
Haus in Bergama ohne Dach
Viele Häuser im Ort haben keine oder undichte Dächer (Deutschlandfunk/Senz)
Oben auf dem Berg liegt die berühmte Grabungsstätte Pergamon, ihr zu Füßen die Stadt Bergama. Da wohnt Sami Demir schon sein ganzes Leben lang, seit 50 Jahren:
"Früher dachte ich - soll ich‘s ganz offen sagen…? Warum suchen andere nach Altertümern in unserem Land? Das lag natürlich daran, dass wir über einiges nicht Bescheid wussten."
Einmal hat er sich geleistet, die Funde der antiken griechischen Stadt oben anzuschauen. Aber zum Grabungsteam hatte er nie Kontakt, bis vor Kurzem. Der Architekt Ilgin Kemaller stand plötzlich vor seiner Tür und bot ihm und auch anderen an, dass das Deutsche Archäologische Institut Istanbul das marode Dach neu decken würde – ganz umsonst. Aber nicht nur Sami Demir war erstmal misstrauisch, erinnert sich der Architekt:
"Die meisten haben gesagt, dass viele historische Funde von hier nach Deutschland verschleppt wurden. Ich habe versucht sie zu überzeugen, habe gefragt, was wohl aus diesen Werken geworden wäre, wenn sie heute noch hier wären. Denn viele dieser historischen Stücke sind in Haushalten benutzt worden, sind verloren gegangen oder mit Graffiti besprüht worden."
Endlich ein dichtes Dach
Das Haus von Sami Demir stammt aus dem 19. Jahrhundert, erzählt er stolz, während sich draußen vor der prächtigen Eingangstür ein Brautpaar fotografieren lässt. Er ist das gewohnt. Trotzdem - noch einen Winter hätte er mit seiner Familie hier nicht mehr verbracht. Es hat überall reingeregnet. Eine Reparatur konnten sie sich nicht leisten – wie auch Ayfer Sasmazer. Die 52-jährige hat sich wie Demir von Architekt Kemaller überzeugen lassen und sitzt mit ihrer Familie zum ersten Mal, seit sie das Haus vor über 30 Jahren gekauft haben, im Trocknen:
"Nach diesen Reparaturen ist es toll, von hier aus dem Regen zuzuschauen. Früher hatten wir viele Eimer aufgestellt, die brauchen wir jetzt nicht mehr, Gott sei Dank."
Erzählt die kleine Person ganz gerührt und zeigt auf ihre Gänsehaut am Arm, die sie beim Gedanken an all das immer noch kriegt. Dann geht der Blick wieder kurz hoch zur Decke:
"Wir haben sofort aufgeräumt, die Fassade draußen gestrichen, danach hier drinnen."
Jetzt ist das weiße Haus mit der blauen Türe und den blauen Fensterländen ein echtes Schmuckstück. So hatte sich Ulrich Mania vom Deutschen Archäologischen Institut in Istanbul das vorgestellt. Er und sein Team wollen natürlich die antiken Fundstücke restaurieren und erhalten, die teils uneingezäunt mitten im Ort stehen, aber eben auch die historischen Wohnhäuser:
"Es braucht das Bewusstsein der Leute, dass die das mögen, dass die was damit anfangen könne. Es braucht Bildung. Und wir versuchen da einen kleinen Beitrag zu leisten."
Jugendliche aus dem Ort lernen handwerkliche Grundlagen
Die Dächer hat ein Zimmermann gedeckt zusammen mit ein paar Jungs aus dem Ort, die vorher keine richtigen Jobs hatten:
"Da läuft viel schief unter den Jugendlichen hier zum Beispiel mit Drogen. Deswegen haben wir uns auch mit der Auswahl der Menschen, die in unserem Projekt mitarbeiten sollten, richtig schwer getan. Viele Jugendliche hier schlafen bis zwei oder drei Uhr. Aber ich sehe das so, dass wir zumindest drei von ihnen von der Straße holen konnten."
Erklärt Architekt Kemaller. Die drei machen jetzt auch gleich bei einem Workshop mit – sechs Wochen lang lernen sie von zwei erfahrenen Steinmetzten auf der Grabung des Archäologischen Instituts. In der Türkei läuft Ausbildung von Fachkräften normalerweise anders, sagt Archäologe Mania:
"Man arbeitet als Junge eben mit seinem Vater zusammen und irgendwann kann man es auch. Aber das hat sehr wenig damit zu tun, dass diese Leute vielleicht eine Ausbildung bekommen wie wir sie kennen. Mit drei Jahren Berufsschule. Uns geht es darum, dass wir aus dem Schema rauskommen, dass nur die Söhne von den Vätern lernen. Wenn wir hier eben mal drei vier Leute ausbilden, hat das eine Breitenwirkung."
Mitarbeit an der Ausgrabungsstelle
Erster Einsatzort für Kenan und Aytan ist an der sogenannten Roten Halle, einem Ziegelbau aus Römischer Zeit. Hier dürfen sie in den nächsten Wochen mithelfen Bögen zu sichern und auszubessern. Die beiden sind Anfang 20. Um 7 Uhr geht’s morgens los. Der Ruf der deutschen Pünktlichkeit und Disziplin hat sie nicht abgeschreckt. Im Gegenteil, sie sind total dankbar für diese Chance, versichert Kenan:
"Natürlich fangen wir sehr früh an. Aber wenn man was gerne macht, gibt‘s keine Aufgabe, die man nicht meistern könnte. Ich hatte überhaupt keine Angst und habe auch gesagt, dass ich alles mache, was mir gesagt wird."
Die Augen des jungen Mannes blitzen neugierig. Seinen gelben Bauhelm trägt er ganz stolz auf dem Kopf, wie auch sein neuer Kollege Aytan. Der schaut immer wieder zu seinem Ausbilder:
"Unsere Lehrer sind wirklich zuckersüß. Wenn sie zum Beispiel was von uns wollen, sagen sie das nicht im Befehlston, sondern bitten drum. Und sie wissen, wie man was erklärt. Auch wenn ich was falsch mache, sagen sie nicht: Warum hast du das so gemacht!? Sie geben Ratschläge wie: Es wäre besser, wenn du das so machst. Manchmal fragen sie uns sogar selber um Rat. Sie halten sich nicht für überlegener."
Ungewöhnliche Töne in einem ungewöhnlichen Projekt. Archäologe Mania und sein Team haben aber noch viel mehr Pläne. Dazu gehört eine Schauwerkstatt. Da wollen sie zum einen Touristen zeigen, wie sie restaurieren. Zum anderen wollen sie aber auch den Einheimischen was bieten:
"Eine Möglichkeit wäre es zum Beispiel, dass wir einen Werkzeugpool anlegen, wo sich die Bewohner des Nachbarviertels Werkzeug ausleihen können."
Nachbarort soll auch vom Archäologie-Tourismus profitieren
Mania trägt feste Schuhe und ein Tuch um den Kopf zum Schutz vor der Sonne. Sein Gesicht ist tief gebräunt. Wenn er und seine Kollegen durchs Viertel direkt unterhalb des Grabungsgeländes laufen, halten sie immer wieder ein Schwätzchen. Allerdings verirren sich selten Besucher von der Grabungsstätte hier runter. Die meisten kommen am Busparkplatz außerhalb an, besichtigen die Altertümer und düsen nach ein paar Stunden wieder ab. Aber auch das Problem ist das Grabungsteam angegangen. Mania deutet auf ein mannshohes Drehkreuz mitten in der Landschaft:
"Es war lange nicht möglich aus dem Grabungsgelände rauszukommen. Das ist uns aber sehr wichtig dass Besucher auch direkt in die Altstadt kommen können."
Der Ort soll schließlich auch vom Tourismus profitieren, findet er. So wird das Drehkreuz zum Symbol. Der hohe Zaun zwischen Grabung und Ort ist durchlässig mit findigen Projektideen und offenen Herzen.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags wurde Ulrich Mania irrtümlicherweise als Grabungsleiter bezeichnet. Zwar leitet er de facto die Ausgrabungen, die offizielle Bezeichnung als Grabungsleiter ist jedoch nicht zutreffend.