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Asyl beim Erzfeind
Türken suchen in Athen Schutz vor Erdogan

Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei haben mehr als 2.000 türkische Staatsbürger in Griechenland um Asyl gebeten. Die meisten sind Gülen-Anhänger, aber auch viele Kurden und linke Türken verlassen ihre Heimat. In Griechenland bauen sie sich eine neue Existenz auf - und hoffen doch auf schnelle Rückkehr.

Von Rodothea Seralidou | 18.06.2018
    Die griechische und türkische Fahne.
    In den türkischen Medien spiele Griechenland kaum eine Rolle, sagen junge Türken in Athen. (imago/Rainer Unkel)
    Seref und Asena sitzen gemütlich mit ihrem Freund Mustafa im Hinterhof seiner Altbauwohnung im Athener Stadtteil Neos Kosmos. Auf dem Tisch haben sie gefüllte Weinblätter und kaltes Bier. Seref ist aus Ankara, Mustafa aus Izmir und die junge Frau in der Runde, Asena, aus Istanbul. Getroffen haben sich die drei in der Firma, in der sie alle arbeiten, einem internationalen Call-Center-Unternehmen, das auch eine türkischsprachige Abteilung hat. Der 26-jährige Seref, ein schlanker junger Mann in schwarzem T-Shirt und Jeanshose, kam vor anderthalb Jahren nach Athen, sagt er. Vorher hatte er im türkischen Außenministerium gearbeitet.
    Atheisten als Gülen-Anhänger verfolgt
    "Obwohl ich gar nicht an Gott glaube, könnte ich jederzeit als Gülen-Anhänger verfolgt werden. Ich habe mich nicht mehr sicher gefühlt. Denn ich habe viele Freunde, die auch Atheisten sind. Sie hassen diese religiöse Organisation von Gülen. Und trotzdem wurden sie als Gülen-Anhänger beschuldigt und bestraft. Es hätte mich also jederzeit auch treffen können."
    Seref ist homosexuell und hat sich in der Türkei unter anderem für die Rechte der Schwulen und Lesben eingesetzt, sagt er. Sein Arbeitskollege Mustafa, kurdischer Abstammung und bekennender Linker, war Lehrbeauftragter an der Universität Troia. Für ihn fingen die Probleme nicht erst mit dem gescheiterten Putschversuch an, sondern schon im Jahre 2013. Weil er an den damaligen Gezi-Protesten teilnahm, verlor er seinen Lehrauftrag, sagt er:
    "In der Türkei wirst du in Schubladen gesteckt. Auch wenn du nichts Illegales machst, kann das Konsequenzen haben. Die Regierung weiß genau, was du unterstützt."
    Asena, nickt. Sie selbst hat sich in der Türkei nicht bedroht gefüllt, sagt die 25-Jährige, sie wollte aber nach Europa. Deshalb ist sie nun in Athen. Und muss als Türkin ständig eine Frage beantworten: "Magst du Erdogan?" Mustafa unterbricht sie:
    "Ich bin sehr froh darüber. Das zeigt doch, dass die Griechen nicht gegen uns Türken insgesamt sind, sondern gegen Erdogan!"
    Bisher jedenfalls hätten die meisten Leute in Athen positiv auf ihn reagiert, sagt Mustafa. Dass die Türkei und Erdogan in den griechischen Nachrichten so viel Raum einnehmen, können die drei überhaupt nicht verstehen:
    "Einmal saß ich in einem Café und es lief eine TV-Sendung. Zweieinhalb Stunden lang war Erdogan und seine Wahlkampfrede das einzige Thema. Ich habe nicht viel verstanden, außer die Wörter Erdogan und Istanbul."
    In den türkischen Medien hingegen, spiele Griechenland kaum eine Rolle, sagen die jungen Türken. Dass Erdogan die Grenzen zu Griechenland in seinen Reden in Frage stellt und griechische Inseln beansprucht: Diese Rhetorik sei nichts weiter als ein politisches Spielchen vor den Wahlen, sagen die drei jungen Türken, um die Stimmen der Nationalisten zu bekommen.
    Hoffen auf einen Politikwechsel
    Ihre Stimme haben Seref, Mustafa und Asena schon am Wochenende abgegeben: In der türkischen Botschaft in Athen. Ihre Hoffnungen legen sie auf Erdogans größten Konkurrenten, den säkularen Präsidentschaftskandidaten Muharrem Ince. Mustafa:
    "Wenn er an die Macht kommt und ich Fortschritte sehe, dann würde ich gerne in die Türkei zurückkehren. Denn meine Heimatstadt Izmir ist eine wunderschöne Stadt, ich hatte ein gutes Leben, war vor all diesen Ereignissen ein angesehener Lehrer. Ich bin nach Griechenland gekommen, um mich frei zu fühlen und damit ich das hier trinken kann."
    Er zeigt auf sein Bier. Erdogan habe die Alkoholsteuer so sehr erhöht, sagt Mustafa, dass man sich Bier und Raki in der Türkei kaum mehr leisten kann. Ein Wechsel im Präsidentenamt würde also nicht nur die politische Situation in der Türkei ändern, so seine Hoffnung, er würde auch die kleinen Genüsse im Alltag der Menschen wieder erschwinglicher machen.