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Aufstieg eines Populisten im Musterland der Toleranz

Seit über sechs Jahren beherrscht der Rechtspopulist Geert Wilders in den Niederlanden die innenpolitische Debatte. Mit seinen Anti-Islamparolen macht er auch international Schlagzeilen. Wer aber ist dieser Mann mit der wasserstoffblond gefärbten Haartolle - und welcher Ideologie folgt seine "Partei für die Freiheit"?

Von Annette Birschel |
    Unser Vormarsch ist nicht zu stoppen, sagte Geert Wilders nach den Regionalwahlen im März. Erneut hatte seine "Partei für die Freiheit" einen spektakulären Sieg errungen. Der lange Mann mit der wasserstoffblondierten Haartolle ist ein Phänomen in dem einstigen Musterland von Toleranz und Konsens. Nun hat der Politologe Meindert Fennema, Professor am Amsterdamer Institut für Migration und ethnische Studien in den Niederlanden die erste Biografie über Geert Wilders vorgelegt. Mit dem Titel: Der Zauberlehrling:

    "Der Titel verweist auf Goethe. Der Lehrling lernt vom Zauberer die Kunst, doch es läuft total aus dem Ruder. Nun gibt es zwei Varianten: Der Zauberer kommt zurück und schafft wieder Ordnung, oder es geht schlecht aus."
    Der Zauberer, so Meindert Fennema, ist Frits Bolkestijn. Der prominente Politiker der rechtsliberalen "Volkspartei für Freiheit und Demokratie", - kurz VVD - Bolkestijn hatte Wilders 1990 als Fraktionsmitarbeiter angestellt, als Experten für Sozialversicherungen. In wenigen Jahren arbeitet er sich hoch vom Assistenten mit Realschulabschluss zum Abgeordneten und Sprecher des rechten Flügels. Meindert Fennema:

    "Er ist immer rechts gewesen. Und er war immer pro Israel. Auf Geburtstagspartys zeigte er gerne ein Video über die Steinigung einer Frau und sagte: Das ist der Nahe Osten. Bis zum 11. September galt das als merkwürdiges Hobby. Doch nun wurde die Kritik an diesen Regimes politisch relevant."
    2004 wird der Filmregisseur Theo van Gogh durch einen radikalen Islamisten ermordet - ein entscheidender Wendepunkt im Leben von Wilders, davon ist der niederländische Politologe überzeugt:

    "Das führte dazu, dass Wilders sich stark radikalisierte. Er musste untertauchen, wird seither ständig bewacht. Auch dadurch wurde er zum Populisten. Sein Hass auf die politische Elite entstand durch die Erfahrung als Opfer des Islamterrors und durch die laschen Reaktionen eben dieser Elite, auch seiner eigenen Partei."
    Geert Wilders bricht mit der VVD und führt einen erbitterten Kreuzzug gegen den Islam und die etablierten Parteien. Mit Erfolg. Heute ist seine Partei für die Freiheit die drittstärkste Kraft und hält die Mitte-Rechts-Minderheitsregierung im Sattel. Meindert Fennema rekonstruiert Wilders Aufstieg mit Hilfe von Interviews, seinen Reden, er sprach mit dessen Freunden und Parteikollegen. Dieser selbst lehnte jede Mitarbeit ab. Dank seines packenden Stils liest sich "Der Zauberlehrling" wie ein politischer Thriller. So ist es kein Wunder, dass nun nach diesem Buch in den Niederlanden auch eine Fernsehserie entsteht. Oft beschreibt er dies aus der Perspektive von Wilders. Gerade das aber wird Fennema von vielen Kritikern vorgeworfen. Es sei keine objektive Biografie, meint Elsbeth Etty, Kolumnistin der renommierten Tageszeitung NRC Handelsblad:

    "Das funktioniert nicht. Wenn man in den Kopf eines anderen kriecht, begibt man sich auf das Gebiet der Fiktion. Fennema will aber eine wissenschaftliche Biografie schreiben. Doch für dieses Genre gibt es Regeln. Nach meiner Ansicht ist es ein unzuverlässiges Buch."
    Dennoch kommt diese Biografie der Wahrheit sehr nahe. Das zeigt ein zweites Buch mit dem Titel "Die Scheinelite der Falschmünzer". Geschrieben wurde es von Martin Bosma, seines Zeichens Wilders Chefideologe. Bosma rechnet darin mit allem und jedem ab, was angeblich links ist: Universitäten, die niederländische Justiz, Politik und Kultur. Das Buch macht Furore in allen Medien - und die Wilderspartei salonfähig, beobachtet Elsbeth Etty:

    "In der Debatte über Bosma vermisse ich die echte Auseinandersetzung mit der Ideologie der Wilderspartei. Darüber, wie sie die Geschichte verfälschen. Bosma nennt Hitler einen Sozialisten und stellt die Sozialdemokraten auf eine Linie mit den Nationalsozialisten. Das ist irrsinnig, aber es wird ernst genommen."
    Die Auseinandersetzung über Wilders und seine Ideologie hat aber begonnen. Das ist ein Verdienst beider Bücher. Dabei gibt gerade der Ideologe Bosma der packenden Biografie des Politologen Fennema eine ungeheure Brisanz: Der Zauberlehrling wagt den Angriff auf die Fundamente der Gesellschaft.

    Annette Birschel über Meindert Fennema: "Geert Wilders – Tovenaarsleerling". 283 Seiten, in Deutschland für cirka 19 Euro erhältlich (ISBN: 978-9-035-13534-5) und Martin Bosma: "Schijn-elite van de valsemunters". 374 Seiten für etwa zehn Euro (ISBN: 978-9-035-13604-5). Beide Bücher kommen aus dem niederländischen Prometheus Verlag.