Dienstag, 23. April 2024

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Ausgang der US-Wahlen
"So einen Eiertanz um die Wahl hat es noch nie gegeben"

Eigentlich sei es eine Selbstverständlichkeit für einen US-Präsidenten, die Wahlniederlage anzuerkennen, sagte der Historiker Volker Depkat im Dlf. Das Prinzip Checks and Balances solle verhindern, dass eine Institution die Verfassung verletze. Doch die Verfassungswächter schauten nur zu, was Trump mache.

Volker Depkat im Gespräch mit Christoph Heinemann | 15.11.2020
US-Präsident Donald Trump ist von hinten zu sehen - das restliche Bild ist schwarz.
Volker Depkat: "Trump hat bereits als Präsidentschaftskandidat die Integrität der Wahl in Frage gestellt, hat die Prozeduren der amerikanischen Demokratie in Frage gestellt." (picture alliance / AP Photo / Patrick Semansky)
Trumps Weigerung, seine Wahlniederlage einzugestehen, sei präzedenzlos, sagte Volker Depkat im Dlf. Noch nie habe ein amtierender Präsident seine Niederlage nicht anerkannt, erklärte der Wissenschaftler, der an der Universität Regensburg Amerikanistik lehrt. Trumps jüngste Andeutung, das Ergebnis der Wahl akzeptieren zu wollen, sei eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
"Er hat also bereits als Präsidentschaftskandidat die Integrität der Wahl in Frage gestellt, hat die Prozeduren der amerikanischen Demokratie in Frage gestellt." Depkat bezeichnete Trumps Amtszeit als "contempt of the constitution", eine Verachtung der Verfassung und der in der Verfassung niedergelegten Verfahren.
Schaden für die amerikanische Demokratie
Depkat warf der Republikanischen Partei vor, dass sie dies zugelassen habe. Man müsse sich nicht nur fragen, was Trump mache, sondern auch, warum die anderen das zuließen. Checks and Balances bedeuteten, dass sich die Verfassungsorgane gegenseitig beobachten, um zu verhindern, dass eine der Institutionen, das Oberste Gericht, die Exekutive, der Präsident und die Legislative, aus dem von der Verfassung gesetzten Rahmen ausbreche und damit die Verfassung verletze. Dies sei das Prinzip der amerikanischen Demokratie. "Hier stehen eben jede Menge Verfassungswächter beiseite und gucken zu, was Trump so macht", sagte Depkat im Interview der Woche.
Er rechnet damit, dass Trumps politisches Prinzip, sein politischer Stil und Agenda weiter bestehen werden, auch wenn der Präsident nicht mehr im Weißen Haus residiert. Man dürfe nicht vergessen, dass 70 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner Trump gewählt hätten. Im Dlf sprach Depkat auch über die Rolle der religiösen Rechten, der Republikanischen Partei und darüber, wie sich die Situation der Demokraten darstellt.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Christoph Heinemann: Was heißt das alles für den bevorstehenden Machtwechsel in Washington?
Volker Depkat: Na ja, das heißt, dass wir immer noch nicht ganz klar wissen, ob die Amerikanische Demokratie weiterhin so funktioniert wie sie all die Jahre funktioniert hat. Denn das, was wir momentan erleben ist ja völlig präzedenzlos. Es hat noch nie ein amtierender Präsident seine Wahlniederlage nicht anerkannt. So einen Eiertanz um die Legitimität der Wahl hat es in der Form auch noch nie gegeben. Und die leichte Andeutung von Trump, die wir jetzt hier mit Argusaugen verfolgen, deutet eventuell an, dass er jetzt bereit ist, seine Niederlage zu akzeptieren. Aber das wäre eigentlich eine Selbstverständlichkeit gewesen, wenn man nur mal zehn oder 20 Jahre zurück denkt. Also die Tatsache, dass wir hier so eine unsichere transition period, also eine Übergangsperiode, erleben, ist präzedenzlos in der amerikanischen Geschichte. Und was das jetzt alles heißt für den weiteren Bestand der Institutionen, für die Legitimität der amerikanischen Demokratie, das können wir heute, glaube ich, alles noch gar nicht absehen, denn das hat doch Erdbebengleiche Folgen, was hier momentan passiert.
Heinemann: Aber die Frage lohnt sich ja zu stellen. Die Londoner Financial Times kommentierte in dieser Woche: "Indem Donald Trump die mehr als 200-jährige Tradition Amerikas mit Füßen trete, bringe er das System in Gefahr." Geht es um die Demokratie in den USA?
Depkat: Also das macht er ja nicht jetzt erst seit der Wahl. Das macht er ja eigentlich schon seitdem er Präsidentschaftskandidat 2016 war. Ich erinnere nur daran, dass er sagte – und unwidersprochen sagte 2016, er würde die Wahlergebnisse nur akzeptieren, wenn er gewinnt. Das heißt, er hat also bereits als Präsidentschaftskandidat die Integrität der Wahl infrage gestellt, hat die Prozeduren der amerikanischen Demokratie infrage gestellt. Die letzten vier Jahre Amtszeit waren eine einzige contempt of the constitution, wie die Amerikaner sagen, also eine Verachtung der Verfassung und der in der Verfassung niedergelegten Verfahren. Insofern ist das jetzt hier nur der letzte Schlag oder das letzte Hurra eines Präsidenten, der vier Jahre lang nichts anderes gemacht hat also die Institutionen und Verfahren der amerikanischen Demokratie zu unterlaufen.
Aber er hat es ja nicht alleine gemacht. Die Parteifreunde von der republikanischen Partei standen ja in Treue fest zu ihm und haben die ganze Zeit das zugelassen. Also man muss sich nicht nur fragen, was macht Trump, sondern die andere Frage ist eben: warum lassen die anderen das zu in diesem hochkomplexen Gewebe von checks and balances der amerikanischen Verfassung, also dass die Verfassungsorgane sich gegenseitig beobachten und in Balance halten, um zu verhindern, dass eine der Institutionen, und das ist eben der Supreme Court, das oberste Gericht, das ist die Exekutive. Das ist der Präsident. Und es ist die Legislative. Dass eine dieser Institutionen aus dem von der Verfassung gesetzten Rahmen ausbricht und damit die Verfassung verletzt. Das ist ja eigentlich das Prinzip der amerikanischen Demokratie, und hier stehen eben jede Menge Verfassungsrechtler beiseite und gucken zu, was Trump so macht.
"Es haben 70 Millionen Amerikaner Trump gewählt"
Heinemann: Das scheint aber viele Wählerinnen und Wähler nicht gestört zu haben.
Depkat: Nein. Und das kann man sich jetzt auch fragen, ob genau das jetzt nicht eine Taktik ist, um schon die nächste Wahl vorzubereiten. Denn eines ist auch klar, selbst wenn Trump aus dem Office, aus dem Amt ist, und nicht mehr im Weißen Haus residiert, das politische Prinzip oder den politischen Stil, die politische Agenda, die er die letzten Jahre verfolgt hat, werden ja weiter bestehen. Und wir dürfen nicht vergessen, es haben 70 Millionen Amerikaner Trump gewählt. Das sind so viele Stimmen auf einen Wahlverlierer wie noch nie. Und sie haben am Anfang ja gesagt, okay, von den Wahlleuten her gerechnet ist es vielleicht genau umgekehrt mit 306 Wahlleuten für Biden und 232 für Trump. Aber wenn man sich den popular vote, also die Gesamtzahl der Stimmen anguckt, hat eben Biden jetzt mit fünf Millionen Stimmen Vorsprung gewonnen. Das ist mehr als Hillary Clinton hat, aber die 70 Millionen, die Trump gewählt haben, sind ja nicht weg.
Heinemann: Schauen wir uns eine Gruppe an. Wieso unterstützen etwa die evangelikalen Christinnen und Christen diesen verhaltensoriginellen Präsidenten und nicht den bürgerlichen Katholiken Joe Biden?
Depkat: Das ist überhaupt eine der zentralen Fragen. Also das politische Verhalten der religiösen Rechten, der evangelikalen Christen, die ja seit 1980 eigentlich zum festen Wählerstamm der republikanischen Partei gehören, die aber eigentlich durch die republikanischen Präsidenten, die sie seit 1980 auch mit gewählt haben, auch immer wieder enttäuscht worden sind, weil eben die Präsidenten, wenn sie dann einmal im Amt waren, doch nicht so eine politische Linie verfolgt haben, wie es den evangelikalen Christen lieb gewesen wäre. Und das ist Trump natürlich als der Traditionszerstörer, der Trump, der auch gegen das Parteiestablishment der eigenen Partei, der Republikaner, angewettert, erst mal ein willkommener Kandidat, von dem man jetzt eben hofft, dass das, was man jetzt seit 40 Jahren von republikanischen Präsidenten sich erwartet, auch endlich mal umgesetzt wird.
Warum weiße Evangelikale Präsident Trump unterstützen
Gott habe den heidnischen Trump geschickt, um sein Volk zu beschützen – so in etwa erklären weiße Evangelikale ihre Unterstützung für Trump. Philip Gorski erläutert das Phänomen in seinem Buch "Am Scheideweg".
Aber die Geschichte mit diesen Evangelikalen ist eben noch sehr viel komplizierter. Also man spricht ja eigentlich so von einer dritten Welle des religiösen Erwachens. Das beginnt so in den 1950er Jahren. Die Verbindung von evangelikaler Christlichkeit und biblischem Fundamentalismus, das ist auch keine Selbstverständlichkeit. Die organisieren sich eben als evangelikale Christen seit den 1950er Jahren, bleiben aber bis etwa 1980 aus der Politik raus. Die leiden stumm an dem, was um sie herum passiert, sie leiden an den Liberalisierungsgewinnen der 60er Jahre, sie leiden an der Abtreibungsgesetzgebung, an der zunehmenden Legitimität von außerehelichem Sex, sie leiden an der Emanzipationsbewegung der Schwulen und Lesben, machen aber erst nichts. Also sitzen zu Hause und beten und warten auf die Widerkehr des Herrn. Halten sich aber aus der Politik raus, im Sinne der silent church, der schweigenden Kirche.
Und in den 80er Jahren, und das hängt auch mit Ronald Reagan zusammen, findet dann ein Phasenwechsel statt, dass die Evangelikalen jetzt beginnen, sich politisch einzumischen. Jerry Falwell, einer dieser evangelikalen Cheerleader, sagt: "The days of the silent church are over." Die Tage der schweigenden Kirche sind vorbei. Wir müssen uns politisch einmischen. Und seitdem versuchen sie eigentlich alles auch, um den öffentlichen Diskurs im Sinne ihrer politischen und moralischen Vorstellungen zu gestalten. Sind dabei sehr erfolgreich, weil sie ein sehr ausgebreitetes Netzwerk an Medien, an schulischen und universitären Institutionen haben. Und es gelingt ihnen eben, eine Diskursmacht zu entfalten. Auch, weil sie sehr imaginativ mit den neuen Technologien umgehen. Das Privatfernsehen. Die Christen waren mit die ersten, die eigene Sender für Gottesdienste aufbauten. Die haben Twitter und E-Mail schon genutzt, da dachten die Demokraten noch darüber nach, ob das eigentlich alles so sinnvoll ist. Und insofern sind die eben eine Macht, weil sie sich eben auch institutionalisiert haben. Und die sehen eben in Trump teilweise so etwas wie den Messias. So, nun kann man sich fragen, warum sind die eigentlich für Trump?
"Geschickte Taktik, um die Evangelikalen bei der Stange zu halten"
Heinemann: Seine Tweets strotzen nicht vor Nächstenliebe.
Depkat: Erstens das, nicht vor Nächstenliebe. Er lügt. Er ist mehrfach geschieden. Was sehen sie Evangelikalen in Trump? Nun kann man zwei Sachen dazu sagen: das eine ist, dass sie den liberalen Gesellschaftsentwurf, wie ihn 2016 zum Beispiel Hillary Clinton symbolisierte, noch sehr viel mehr hassen also so etwas wie Trump. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass gerade das Moralisch-Defizitäre, das Sündhafte des Menschen, für die Evangelikalen im besonderen Maße attraktiv ist, weil sie eben ein Weltbild haben, das zutiefst in der Sündhaftigkeit des einzelnen Menschen ankert. Und der Weg zur Erlösung ist eben erst mal die Anerkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit. Und das hat Trump ja nun immer wieder gemacht, indem er gesagt hat: ja, ich bin alles andere als perfekt, und bitte, nehmt mich nicht so hart ins Gericht. Ich bin ein Sünder, aber damit bin ich ja eigentlich so wie ihr alle. Und das ist eben eine sehr geschickte politische Taktik, um die Evangelikalen bei der Stange zu halten.
Heinemann: Und sie haben damit bei den Republikanern einen Partner gefunden, einer der einflussreichsten dieser Partei, Mitch McConnell, der Mehrheitsführer im Senat, hat jetzt eine Überprüfung der Wahl als rechtmäßig bezeichnet, im Sinne des Präsidenten. Und dann hat er ein Loblied auf Mark Esper angestimmt, den Donald Trump als Verteidigungsminister gerade gefeuert hat. Welchen Reim machen Sie sich auf das Verhalten der Republikaner im Augenblick?
Depkat: Ja, das ist eine weitere zentrale Frage. Also man könnte ja eigentlich erwarten, und das System der amerikanischen Demokratie legt es eigentlich nahe oder macht es den individuellen Repräsentanten im Kongress eigentlich zur Aufgabe, auch über den Präsidenten zu wachen. Also der Kongress als Wächter über die Verfassung schließt eben auch die Partei des jeweils regierenden Präsidenten mit ein, die eben dann doch eine Distanz zu diesem Präsidenten insofern halten muss als sie auch immer wieder überprüfen muss: macht unser eigener Mann im Weißen Haus eigentlich das, was verfassungskonform ist? Insofern wäre jetzt eigentlich die Rolle der Republikaner im Kongress, zu sagen: Donald, die Zeit ist vorbei, stell dich auf den Boden der Tatsachen, erkenne das Wahlergebnis an und sieh zu, dass wir jetzt hier einen ordentlichen Übergang hinbekommen.
Joe Biden
US-Präsidentschaftswahl - Der Kampf um die Stimmauszählung
Joe Biden gilt als sicherer Sieger der Präsidentenwahl in den USA. Die Auszählung der Stimmen ist aber weiter nicht abgeschlossen. In einem Bundesstaat muss nachgezählt werden und in mehreren klagt Donald Trump.
Heinemann: Tun sie aber nicht.
Depkat: Tun sie aber nicht und damit machen sie sich eigentlich auch schuldig. Das haben sie aber all die Jahre jetzt schon gemacht während der Präsidentschaft. Und die Republikaner selbst sind natürlich jetzt in einer kaum erträglichen Situation, denn je mehr sie sich gegen Trump stellen, desto mehr müssen sie um ihre eigene politische Karriere in Zukunft fürchten. Denn das ist eben doch, was in den letzten Jahren passiert ist. Dass Trump die republikanische Partei gekapert hat. Wir hatten ja am Anfang immer noch die Erwartungen, dass es so was geben würde wie eine innerparteiliche Opposition, dass sich eine breite Plattform gegen den Präsidenten formieren würde. Davon ist eigentlich nur noch Mitt Romney übrig geblieben. Der Rest der Partei ist eigentlich inzwischen Trump-Partei, und Trump macht ja jetzt schon Drohungen in Richtung Loyalität: wenn ihr mir jetzt nicht loyal gegenüber euch verhaltet, dann fürchtet um eure politische Zukunft. Da lässt er auch seine Söhne inzwischen los, um das zu sagen. Insofern sind es die um ihre Wiederwahl und ihre politische Zukunft fürchtenden Republikaner im Kongress, die jetzt eigentlich nicht das mit der Energie und mit der Entschlossenheit machen, was sie eigentlich machen müssten, nämlich Trump davon zu überzeugen, dass die Wahl vorbei und seine Zeit abgelaufen ist.
Heinemann: Und das Ganze ist ja eine verkehrte Welt, denn die Farbe der republikanischen Partei ist rot. Gegründet wurde sie Mitte des 19. Jahrhunderts als die liberalere der beiden großen Parteien, um die Sklaverei abzuschaffen. Und heute gelten sie ja zumindest als konservativ. Welchen Weg haben sie dorthin zurückgelegt?
Depkat: Na ja, ob sie immer gleich die liberalere Partei waren, ist eben auch eine Frage, denn es ist schon richtig, dass sie als Partei gegründet wurde, die gegen die Sklaverei agitierte. Das ist die Partei Abraham Lincolns, des Präsidenten auch des amerikanischen Bürgerkriegs, der ja in den Krieg gezogen ist, um die Union zu erhalten und die Sklaverei abzuschaffen. Aber nur weil die Republikaner gegen Sklaverei waren, heißt es nicht, dass sie nicht doch auch eine rassistische Dynamik hatten. Das ist eine andere Geschichte. Aber es war vor allen Dingen die Partei des Nordens. Abraham Lincoln ist 1860 im Süden schon gar nicht mehr angetreten, weil er wusste, da kriege ich sowieso keine Schnitte. Die Partei des Nordens, die Partei auch der business interests, also der Geschäftsinteressen der Wirtschaftsbosse.
Und die Demokraten waren eigentlich bis nach 1950 die Partei des Südens, die Partei der Sklavenhalter, die Partei der white supremacy, die Partei des so genannten soliden Südens, die eben wie eine Eins die regionalen Interessen des Südens vertreten hat und die deshalb auch immer dagegen war, die Bürgerrechtsgesetzgebung, wie sie dann in den 60er Jahren gemacht worden ist, überhaupt zu verfolgen. Es war die Partei der Rassentrennung, es war die Partei des Jim Crow, diese Jim Crow Gesetze, das System der Rassentrennung. Und es findet dann eben beginnend mit der Wahl 1968 eine massive Transformation der politischen Landschaft statt, insofern als die Republikaner als Partei des Nordens dann in den Süden vordringen. Es ist Richard Nixon mit seiner so genannten southern strategy. Er hatte klar erkannt, dass die Demokraten mit der Bürgerrechtsgesetzgebung der 60er Jahre, die das Ende der Rassentrennung bestimmte, eine große Zahl von Wählern entfremdet hat. Die Wähler, die eigentlich mit der Politik ihrer demokratischen Partei in Sachen Bürgerrechtsgesetzgebung völlig uneinverstanden waren. Und diesen Pool an Unzufriedenen hat Richard Nixon 1968 schon systematisch für die republikanische Partei gewonnen, im Zuge der southern strategy. Und der nächste Schritt ist dann eben Ronald Reagan, der in der Wahl 1980 zusätzlich zu den ganzen entfremdeten Demokraten auch noch die Evangelikalen in die Reihen der Republikaner herüberzieht und damit eine Wählerschaft für die republikanische Partei erschafft, die bis heute letztlich die strukturellen Verhältnisse bestimmt. Das ist immer noch die Wählerschaft der republikanischen Partei.
"Demokratische Partei ist ein ziemlich bunter Haufen"
Heinemann: Schauen wir auf die andere Seite: Joe Biden hat jetzt Ron Klain, einen politisch sehr erfahrenen Harvard-Juristen zu seinem Stabschef ernannt und der Mann gilt als anschlussfähig an die Parteilinke. Wofür stehen heute linke Demokratinnen und Demokraten?
Depkat: Also, da muss man zunächst erst einmal feststellen, dass alles, was in Amerika links heißt, in Deutschland allenfalls gemäßigt sozialdemokratisch ist, auch wenn Bernie Sanders herumläuft und sagt, er wäre ein demokratischer Sozialist, er ist in seinen Vorstellungen eigentlich maximal ein moderater Sozialdemokrat und mit den Demokraten ist es eben auch so eine Sache. Sie sind eben, wie gesagt, bis 1945 die Partei des Südens. Es ist dann in den 30er Jahren aber eine Wählerschaft für die demokratische Partei entstanden, und das verbindet sich mit dem Namen Franklin Delano Roosevelt, Präsident auch des Zweiten Weltkrieges, der eigentlich ausgehend von dieser starken Basis im Süden dann eine neue Wählerschaft in den industriellen Ballungszentren des Nordens im Gebiet um die großen Seen und in Neuengland und so findet, sodass wir eigentlich mit Franklin Delano Roosevelt eine sehr ambivalente Wählerschaft für die Demokratische Partei haben. Auf der einen Seite eben sind die Demokraten des Südens und die Industriearbeiterschaft des Nordens im Zusammenhang auch mit den ethnischen Minderheiten und Afroamerikanern.
Diese demokratische Partei ist seitdem eigentlich ein ziemlich bunter Haufen von ganz gegensätzlichen Interessen und es war immer schon ein Problem, diese vielen Interessen in der Partei zusammenzuhalten und was ja in den letzten Jahren passiert ist, ist, dass diese demokratische Partei eigentlich zur Partei einer linksliberalen, eines Bürgertums gworden ist und dabei eigentlich ihre Wählerschaft in den industriellen Ballungszentren, die Industriearbeiterschaft, die sogenannten Blue Collar Workers, also die Leute, die im Blaumann zur Arbeit gehen, auch die unteren Mittelschichten völlig aus dem Auge verloren haben und diese Leute sind eben von der demokratischen Partei auch sehr entfremdet und die hingen eigentlich völlig im politisch leeren Raum und man muss eben schon sagen, dass Donald Trump da offenbar eine Sprache gefunden hat und auch eine Agenda gefunden hat, um gerade diese industrielle Arbeiterschaft, die unteren Mittelschichten, für sich zu gewinnen.
Heinemann: Sie müssen uns aber trotzdem noch einmal erklären, wieso eine Krankenversicherung für nicht wenige Menschen in den USA mit Sozialismus gleichzusetzen ist.
Depkat: Das ist eben die Kultur des amerikanischen Individualismus, also die Idee, dass das für sich selbst verantwortliche Individuum in Freiheit und Selbstverantwortung für sich zuständig ist, das eigentlich keine staatliche Fürsorge braucht, sondern der Staat wird eigentlich vielmehr gedacht als Eingriff, Beschränkung der individuellen Freiheit, die es ja zu erhalten gilt. Insofern war eben gerade der Sozialstaat in den USA immer schon in einem Maße umstritten, wie wir das uns hier in Deutschland eigentlich gar nicht vorstellen können, wo wir ja dann doch alle, wenn auch mit Unterschieden, aber doch von der Notwendigkeit des Sozialstaates überzeugt sind. In Amerika und das beginnt in den 1930er Jahren mit Franklin Delano Roosevelt und dem sogenannen New Deal, der die Grundlagen für einen Wohlfahrtsstaat amerikanischer Prägung legt. Der ist von Beginn an, so rudimentär im Vergleich zu Europa auch ist, von Beginn an umstritten und es formiert sich eine konservative Bewegung schon in den 1930 Jahren im Widerstand zu dem Sozialstaat. In dem Zusammenhang muss man aber eben auch sagen, die Mehrheit der Amerikaner hat ja eine Krankenversicherung, sodass wir dann eben jetzt hier auch an das Problem stoßen, dass es in einer zunehmend wohlhabenden Gesellschaft wie der US-amerikanischen in Kombination mit der Kultur des Individualismus eiigentlich zunehmend schwieriger wird, überhaupt noch Mehrheiten für die Anliegen der Armen und Zurückgelassenen zu organisieren.
"Angst vor einem zu starken Staat"
Heinemann: Kommt daher auch die Ablehnung des sogenannten tiefen Staates?
Depkat: Ja, natürlich und das hat ja Donald Trump auch von Anfang gesagt und das nutzt er jetzt ja eigentlich auch, um die Legtimität der Wahlen in Frage zu stellen, dass das irgendwie ein tiefer Staat, ein Deep State ist, der ihm hier eine legitime Volkswahl zu klauen beabsichtigt, aber auch da, und deshalb ist die historische Perspektive immer gut und Geschichte ist überhaupt das einzige gute Fach, das wir haben.
Heinemann: Sagt der Historiker.
Depkat: Sagt der Historiker in Vollzug seiner Dienstaufgaben, nein, aber hier müssen wir jetzt wirklich mal auf die amerikanische Revolution zurückgehen. Also, wir sprechen jetzt über die Jahre von 1760 bis 1789, die Unabhängigkeitserklärung am 4. Juli 1776, also der Schritt in die amerikanische Unabhängigkeit, die ja auch zugleich, und das ist das Wichtige bei der Unabhängigkeitserklärung, so etwas wie die politische Grundphilosophie der amerikanischen Kultur formuliert, und da wird eben vor allen Dinge die Angst vor einem zu starken Staat als das wesentliche Moment der amerikanischen Revolution gesehen.
Die Idee ist, dass ein Staat wie immer dimensioniert er auch ist, die individuelle Freiheit einschränkt und potenziell auch zerstört, sodass also für die Amerikaner die einzige Funktion von Staatlichkeit überhaupt ist, die individuelle Freiheit zu schützen. Das heißt, die Idee eines Staates, der im Sinne sozialer Gerechtigkeit umverteilend in die Gesellschaft eingreift, ist überhaupt nichts, was in der amerikanischen politischen Kultur angelegt ist, weshalb es eben die Gegner des Wohlfahrtsstaates auch immer leicht hatten, den Wohlfahrtsstaat als unamerikanisch hinzustellen und das hohe Lied des freien Marktes zu singen, wo dann der Markt selber schon dafür sorgen würde, dass die entstehenden sozialen Probleme auch gelöst werden, aber eben nicht durch staatliche Intervention.
Paradoxon: Abbau des Sozialstaates und Ausweitung der Militärausgaben
Heinemann: Gleichzeitig sind aber doch die Bürgerinnen und Bürger bereit, Unsummen für die Armee zum Beispiel zur Verfügung zu stellen.
Depkat: Ja, und das ist eben eine der Paradoxien, eine der Blindstellen, die jede Kultur wohl irgendwie hat, aber das ist eben der ungelöste Widerspruch, den wir ja schon auch bei Ronald Reagan gesehen haben. Also, auf der einen Seite sagt er in seiner Antrittsrede zur Inauguration 1981, "The government is not the solution to the problem. The government is the problem." Also, die Regierung ist nicht die Lösung unserer Probleme, sondern die Regierung ist das Problem, weshalb er ja auch dann den ganzen Prozess des systematischen Abbaus von Wohlfahrtstaatlichkeit einleitet und gleichzeitig ist die Präsidentschaft Ronald Reagans eine Eskalation des Kalten Krieges. Wir erinnen uns alle noch an SDI, dieses Star Wars-Programm, wo er da irgendwie russische Raketen aus dem Weltall abschießen wollte, weil er gerade Star Wars gesehen hatte und so eine massive Ausweitung des militärischen Haushaltes mit der Idee, eine Armee zu schaffen, die so stark ist, dass sie keiner auf der Welt irgendwie auch nur ansatzweise in Bedrängns bringen könnte und diese Politik hat sich ja durchgesetzt. Das hat nicht unter Clinton aufgehört, das hat nicht unter Obama aufgehört. Dieses Paradox von auf der einen Seite Abbau des Sozialstaates und gleichzeitig Ausweitung der Militärausgaben ist ein Paradoxon der amerikanischen Poliitk seit 1980, unabhängig von dem Präsidenten, der gerade im Amt ist.
Heinemann: Herr Depkat, bei dieser Wahl haben wir wieder gelernt, die Bundesstaaten führen in den USA ein Eigenleben. Inwiefern durchzieht der Konflikt zwischen Bundesstaaten und Bundesregierung die Geschichte der USA?
Depkat: Ja, auch da ist wieder die amerikanische Revolution mit ihrer Angst vor einem zu starken Staat, mit ihrer Angst vor der Zentralisierung politischer Machtzentralen und wir lernen in der Schule in Deutschland ja alle immer, das System der Checks and Balances, also der wechselseitigen Kontrolle von Legislative, Exekutive und Judikative auf Bundesebene als Teil einer Gewaltenteilung, aber von vornherein galt eben der amerikanische Föderalismus auch als Moment der vertikalen Gewaltenteilung, dass eben auch die Einzelstaaten verhindern sollten, dass der Bundesstaat eine zu starke Macht bekommt, sodass eben die relative Eigenständigkeit der Einzelstaaten ein Element ist, um eben eigentlich letztlich die politische Macht zu dezentralisieren und von daher auch noch einen weiteren Check einzubauen, der verhindert, dass eben die Zentralgewalt hier irgendwie übergriffig wird und das resultiert eben in einer weitgehenden Eigenständigkeit der Bundesstaaten. Was wir momentan ja auch erleben, ist, dass jeder Staat sein eigenes Wahlgesetz hat und dass die Wahl in jedem Staat so ein bisschen anders funktioniert, weshalb es ja auch dieses Mal so lange gedauert hat, angesichts der knappen Ergebnisse, die Stimmen alle auszuzählen.
Donald Trump steht bei einer Wahlkampfrede an einem Rednerpult 
Wie Trump die US-Wahl vor den Supreme Court bringen könnte
Joe Biden hat die erforderliche Mehrheit von 270 Wahlleuten erreicht und die US-Präsidentschaftswahl damit gewonnen. Doch Donald Trump geht weiter gerichtlich gegen die Wahl vor. Ob er mit dieser Verzögerungsstrategie Erfolg haben könnte, ist umstritten.
Heinemann: Welcher Heilungsprozess in der US-Geschichte könnte für eine Annäherung der beiden Seiten, die sich in den USA gegenüberstehen, die Sie beschrieben haben, Pate stehen?
Depkat: Den sehe ich momentan nicht, denn der letzte große Heilungsprozess ist ja der des Bürgerkrieges, als dann eben die zerfallene Union nach der Niederlage der Südstaaten irgendwie wieder zusammenkommen sollte und da ist eben der von der Bundesregierung ausgehende Heilungsprozess dahingehend gelaufen, dass man da die Sklavenhalter und die Repräsentanten der Südstaaten dann doch nicht allzu sehr belangt und der andere Punkt, da ist die sogenannten Home Rule, wonach eben die genaue Ausgestaltung der – in Anführungsstrichen – Rassenbeziehungen den Einzelstaaten überlassen werden sollte, was letztlich einen rassistischen Konsens im Süden zementierte. Letztlich kann man sagen, die letzte Heilung der amerikanischen Demokratie fand auf Kosten der Schwarzen statt, insofern als die Weißen sich darauf geeinigt haben, dem Süden eigentlich seine Idee der White Supremacy zu lassen. Ich sehe momentan nicht, weil die politische Polarisierung ist letztlich Ergebnis einer sozial-moralischen Polarisierung. Es geht um Lebensstile. Es geht darum, welcher Lebensstil als amerikanisch zu gelten hat. Es geht darum, wer überhaupt das Recht hat, zu definieren, was amerikanisch ist. Also, das, was wir im momentan als politische Polarisierung erleben, ist letztlich aufbauend auf einer Polarisierung von sozial-moralischen Milieus, die momentan mit dem Rücken zueinander stehen und gerade nicht irgendwie noch in einer dialogfähigen Bereitschaft einander zugetan sind und solange sich diese Polarisierung nicht ändert, sehe ich auch nicht, wie da nachhaltig etwas heilen kann.