Donnerstag, 28. März 2024

Kunstprojekt in Berlin
Olympische Verzerrungen durch einen Brennspiegel

Konzeptkünstler Olaf Nicolai blickt in der Ausstellung „I never look at you from the place from which you see me“ auf das Phänomen Olympia. Für seine Fotos nutzte der frühere Fechter den Parabolspiegel, mit dem das Olympische Feuer entzündet wird.

Von Tom Mustroph | 29.04.2023
Olaf Nicolai
I never look at you from the place from which you see me , 2023
Digitaldruck auf laminiertem Glasspiegel, Stahl, Gummi
186 x 230 x 100 cm
Auflage von 2
courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin
Die Fotos von Olaf Nicolai sind mit Hilfe eines Parabolspiegels entstanden, der das Licht auf einen Brennpunkt bündelt. (Foto: Uwe Walter, Berlin)
Der Brennspiegel von Olympia hat schier magnetische Wirkung. Noch vor der Eröffnung der Ausstellung strömt schon Publikum durch die Räume der Galerie Eigen + Art. Eine Delegation aus Taiwan besichtigt die Bilder, die der Parabolspiegel reflektiert, der seit 1936 die Olympische Flamme am historischen Ort in Griechenland entzündet. Als Spiegel ist er allerdings ein Paradox, betont der Konzeptkünstler Olaf Nicolai:
„Als ich ihn endlich in die Hand bekommen habe, habe ich gar nichts gesehen. Es ist ein Parabolspiegel. Und da ist eigentlich nicht so viel zu sehen, weil das Licht, das in diesen Parabolspiegel reinfällt, ja möglichst nicht wieder rauskommen, also nicht wieder bei mir ankommen soll, damit ich ein Bild sehe. Sondern es soll das ja schön auf einen Brennpunkt hin ableiten, dass es dort schön heiß wird. Parabolspiegel sind eigentlich Bildvernichtungsmaschinen.“
Fotografie Olaf Nicolai: Landschaft in Olympia /Griechenland
Fotografie Olaf Nicolai: Landschaft in Olympia /Griechenland (courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin)
Viel Energie entsteht im Brennpunkt aber doch. „Wir haben mal die Hand reingehalten, um zu sehen, was da für Temperaturen entstehen. Und das ist schon extrem heiß.“
Der Spiegel ist seit 1936 in Olympia im Einsatz, zu nur einem Zweck: „Mit diesem Spiegel wird nach wie vor die Olympische Flamme entzündet.“

Ein Parabolspiegel als Metaphernproduzent

Olaf Nicolai bekam ihn von der Person, die die Olympische Entzündungszeremonie leitet, für sein Kunstprojekt zur Verfügung gestellt. In der Ausstellung sieht man die Bilder, die Nicolai in einer Art Experimentalfotografie dennoch aufnehmen konnte: Säulengänge von Olympia sind erkennbar, allerdings stark gestaucht und verbogen. Grüne Farbpunkte mischen sich hinein, sie stammen von Bäumen und Sträuchern ringsum. Und auch das Blau des Himmels taucht auf in diesen Bildausschnitten. Sie sind konzentrisch geformt, geben die Wölbung des Spiegels wieder.
Fotografie Olaf Nicolai: I never look at you from the place from which you see me #7, 2023
Fotografie Olaf Nicolai: I never look at you from the place from which you see me #7, 2023 (courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin)
Für Nicolai ist der innen gekrümmte Parabolspiegel ein regelrechter Metaphernproduzent, gerade auch, wenn man damit auf die Olympischen Spiele blickt. „Was passiert eigentlich, wenn ich Bilder sehe? Und wie teilen wir bestimmte Standpunkte, um überhaupt Bilder wahrnehmen zu können, die gleichen Bilder wahrnehmen zu können? Also schon allein: Wann sehe ich in diesem Spiegel ein Bild? Daher hat man nicht auf einer metaphorischen, sondern auf einer sehr realen Ebene ähnliche Prozesse wie die, die wir Ideologie nennen. Also welche Perspektiven teilen wir? Welche Verzerrungen nehmen wir für das als korrekte Verzerrung an? Nach dem Motto: Dies ist das Bild, wo es fast stimmt.“

Spiegel wurde für die Olympischen Spiele 1936 angefertigt

Hinzu kommt: Der Spiegel und auch die ersten Fackeln für den Olympischen Fackellauf wurden von deutschen Firmen wie Carl Zeiss und Krupp für die Spiele von 1936 im Berlin der Nationalsozialisten gebaut. Die Spiele waren eine große Inszenierung der damaligen Machthaber. Blickt man allerdings genau in und auch auf den Spiegel, ergeben sich überraschende Details. Fackellauf und Parabolspiegel waren in ihren Ursprüngen kein genuines Projekt der nationalsozialistischen Propaganda-Maschinerie.
„Am Anfang habe ich erst gedacht, dass es inszeniert wurde, damit Leni Riefenstahl in ihrem Beginn vom Film so ein tolles, schönes, mythisches Moment hat. Na, die hat einfach Glück gehabt, dass das so gepasst hat.“
Fotografie Olaf Nicolai: I never look at you from the place from which you see me (Solo), 2023
Fotografie Olaf Nicolai: I never look at you from the place from which you see me (Solo), 2023 (courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin)

Idee des Fackellaufs stammt aus den 1920er-Jahren

Die Idee des Fackellaufs wurde bereits in den 1920er-Jahren vom jüdischen Archäologen und Sportfunktionär Alfred Schiff vorgeschlagen. Schiff grub selbst in Olympia, nahm als Kampfrichter auch an Olympischen Spielen teil. Und er leitete aus seiner Antikenforschung die gleichermaßen verbindende wie erhebende Praxis des Feuers, das weitergetragen wird, ab. Schiff verlor 1933 alle offiziellen Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland. Carl Diem, der Organisationschef der Spiele, hielt aber seine schützende Hand zumindest bis 1936 über ihn. Schiff konnte im Begleitprogramm der Spiele noch die Ausstellung „Sport der Hellenen“ im Berliner Pergamon-Museum ausrichten – freilich, ohne dass sein Name dort genannt wurde. Diem selbst verlor 1933 wegen seiner jüdischen Ehefrau alle Ämter im deutschen Sport. Das IOC hielt an ihm aber fest als Chef des Organisationskomitees.

Abgrenzung von Politik und Sport

Das könnte dem jetzigen IOC-Chef Thomas Bach sogar als Argument dienen, wenn er im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg auf die Unabhängigkeit des Sports von der Politik pocht. „Wir können nicht alle Probleme dieser Welt mit Sport lösen. Damit darf man ihn nicht überfrachten. Wir müssen uns der Frage zuwenden: Wie können wir dieses Spannungsfeld auflösen? Dazu gehört zunächst. Die klare Abgrenzung zwischen Sport und Politik. So muss der Sport die Autorität der Politik respektieren. Und die Politik muss diese verantwortungsvolle Autonomie des Sports respektieren.“
Das sagte Bach im März beim Politischen Forum Ruhr in Essen . Er begründete damit, warum er russische und belarussische Sportler wieder zu Wettkämpfen zulässt. Dass der Angriffskrieg Russlands den Olympischen Frieden gebrochen hatte – so etwas wie die heilige Formel des antiken wie des modernen Olympias -, ist für Bach offenbar kein Ausschlag gebendes Argument in seiner Positionierung des Sports gegenüber der Politik.
IOC-Präsident Thomas Bach (l.) im Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Jahr 2019.
IOC-Präsident Thomas Bach (l.) im Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Jahr 2019. (imago images / ITAR-TASS / Sergei Bobylev via www.imago-images.de)

Deutsche Bewerbung für die Olympischen Spiele 2036

In seiner Rede in Essen äußerte sich Bach auch positiv gegenüber einer Bewerbung Deutschlands für die Olympischen Spiele 2036, einhundert Jahre nach den Olympischen Spielen im NS-Staat. Spiegel-Künstler Nicolai hält dies für eine interessante Herausforderung. „Ich denke, man wird dem Datum 2036 nicht entgehen. Also es ist einfach da. Und wenn man selbst mit so einem Datum umgehen möchte und auch ein Konzept hat, wie man diese ganze Geschichte und diese ganzen historischen Dimensionen positionieren möchte, dann wäre das ein interessantes Unternehmen. Ich würde aber nicht glauben, dass das IOC von sich aus das in einer Weise tut, wo man sagt: Aha, das ist ja interessant.“
Zu einer Aufarbeitung würde die Würdigung des jüdischen Archäologen und Sportfunktionärs Alfred Schiff gehören. Ebenso die Aufarbeitung der Rolle Carl Diems. Der schützte einerseits seinen jüdischen Kollegen, war andererseits wegen seiner Neigung, Sport und Militär zusammenzudenken, in die Kriegspropaganda der Nationalsozialisten eingebunden.
Mit dem Olympischen Feuer wurde 1936 auch ein Hochofen der Krupp-Werke entzündet. Aus dem dort geschmiedeten Stahl wurden Waffen gebaut, die wenig später ganze Jahrgänge olympischer Athleten auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs töteten. Auf all diese komplexen Zusammenhänge fällt das Licht des Spiegels, der sonst in Olympia die Flamme entzündet – und dessen Bildproduktion bis Ende Mai in Berlin zu sehen ist.
*Anm. d. Red: Wie das Olympische Museum dem Deutschlandfunk mittlerweile mitteilte, handelt es sich bei dem ausgestellten Spiegel nicht um das Original der Firma Zeiss von 1936, sondern um einen Nachbau aus griechischer Hand.