Freitag, 19. April 2024

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IOC-Pläne zur Wiederaufnahme
Rechtsprofessorin: "Ausschluss kann gerechtfertigt werden"

Das IOC will russische Athletinnen und Athleten wieder zu weltweiten Sportveranstaltungen zulassen und begründet das mit Menschenrechten. Laut eines DOSB-Gutachtens ist ein Ausschluss aber rechtens. Patricia Wiater, Autorin des Gutachtens, erklärt warum.

Patricia Wiater im Gespräch mit Astrid Rawohl | 26.03.2023
Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, während einer Sitzung des Exekutivkomitees in Lausanne.
Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, während einer Sitzung des Exekutivkomitees in Lausanne. (AFP / LAURENT GILLIERON)
Auf seinem Meeting in Lausanne wird das Internationale Olympische Komitee (IOC) am Dienstag entscheiden, ob und unter welchen Umständen Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen dürfen. Aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind die beiden Nationen aktuell von den meisten Sportverbänden ausgeschlossen. IOC-Präsident Thomas Bach befürwortet die Rückkehr der Sportlerinnen und Sportler. Ein Ausschluss sei rechtswidrig und diskriminierend, sagt er.
Ein Gutachten, das der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nun in Auftrag gegeben hat, kommt zu einem anderen Ergebnis.
Erstellt hat dieses Gutachten die Rechtsprofessorin Patricia Wiater von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie erklärt im Deutschlandfunk, dass ein Ausschluss aufgrund von Nationalität "aus menschenrechtlicher Sicht nicht als Verstoß gegen Diskriminierungsverbote zu qualifizieren ist, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens müssen mit dem Ausschluss legitime Ziele verfolgt werden, zweitens muss ein klares und angemessenes Verhältnis zwischen diesen Zielen und den Auswirkungen auf russische und belarussische Athletinnen und Athleten bestehen."

"Menschenrechtliche Details in öffentlicher Debatte vernachlässigt"

In ihrem Gutachten habe Wiater nun geprüft, ob die von einem Ausschluss verfolgten Ziele auch bei einer Wiederaufnahme russischer Athletinnen und Athleten unter den vom IOC angedachten Auflagen verfolgt werden könnten. "Diese menschenrechtlichen Details werden in der öffentlichen Debatte leider vernachlässigt", sagte sie. In der Öffentlichkeit werde ein Ausschluss aufgrund von Nationalität gleich als Diskriminierung dargestellt. "Diese Gleichung ist verkürzt und in der Sache dann auch falsch."
Ihr Gutachten komme zu dem Schluss, "dass es in der Extremsituation des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine durchaus legitime Ziele für den Ausschluss russischer Athletinnen und Athleten gibt, die auch nicht gleichermaßen wirkungsvoll verfolgt werden können, wenn diese unter Auflagen wieder zugelassen würden."
Als besonders relevant sehe Wiater zwei Zwecke an: "Der erste ist der Schutz der Menschenrechte von ukrainischen Athletinnen und Athleten. Die Sportverbände und auch IOC sind verpflichtet, sich schützend vor die Menschenrechte von besonders vulnerablen Sportlerinnen und Sportlern zu stellen", so Wiater.
Eine Konfrontation mit der Kriegssituation im Rahmen der Wettkämpfe könne sich für ukrainische Athletinnen und Athleten belastend auf ihr "Recht auf psychische Gesundheit, auf den Schutz ihrer Würde und auch auf ihr Recht auf eine ungestörte Teilnahme am Sport als Ausdruck kulturellen Lebens auswirken. Von solchen Konfrontationen können wir ausgehen und müssen wir ausgehen, wenn etwa kriegsverherrlichende Symbole zu Schau gestellt werden oder sie in unmittelbaren Wettkampfsituationen gegen Athletinnen und Athleten antreten, die dem Militär des Aggressorstaats Russland angehören."

"Ausschluss wirkt deeskalierend"

Ein zweiter legitimer Zweck sei, "dass die internationalen Sportverbände und das IOC mit dem Ausschluss einen friedenspolitischen Beitrag leisten und einer propagandistischen Instrumentalisierung des Sports entgegentreten", sagt Wiater. "Von einem solchen Missbrauch zu Kriegspropaganda-Zwecken ist derzeit leider auszugehen, wenn der Präsident des NOKs Russlands mit den Worten zitiert wird, es sei eine Ehre für jeden russischen Sportler, wenn er zum Erfolg des Krieges beitragen könne. In der Aussage wird direkt auf den Sportler abgestellt, nicht auf Symbole wie zum Beispiel die Flagge oder eine Hymne. Die Teilnahme russischer Athletinnen und Athleten unterstützt nach dieser Aussage den Krieg. Im Umkehrschluss dient der Ausschluss russischer Athletinnen und Athleten dem legitimen Zweck, deeskalierend auf den Konflikt einzuwirken."
Da der Sportler selbst als Propaganda-Instrument verwendet werden, würde auch eine Teilnahme russischer Athletinnen und Athleten unter neutraler Flagge nicht verhindern, dass der Sport für Kriegspropaganda missbraucht werde, erklärt Wiater.

"IOC bezieht sich nur auf zwei Sonderberichterstatterinnen"

In der öffentlichen Debatte, bemängelt Wiater, werde aktuell nur auf die Rechte russischer und belarussischer Athletinnen und Athleten geschaut. "Das ist verkürzt", sagt sie. "Das IOC bezieht sich in seinen bisherigen Erwägungen zentral auf zwei UN-Sonderberichterstatterinnen, die beide die Schutzwürdigkeit russischer und belarussischer Athletinnen und Athleten in den Blick nehmen. Das Mandat dieser beiden Sonderberichterstatterinnen ist ein begrenztes, es ist auf ein ganz bestimmtes Thema fokussiert, nämlich Diskriminierung und Sport als Ausdruck kulturellen Lebens. Es gibt aber auf UN-Ebene mehr als 40 Sonderberichterstatterinnen und Sonderberichterstatter zu menschenrechtlichen Themen. Wir kennen jetzt nur die Stimme von Zweien. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Diese Perspektive Menschenrechte zugunsten von russischen und belarussischen Athletinnen und Athleten ist nicht die einzig relevante Sichtweise. Wir müssen auch die menschrechtliche Schutzwürdigkeit von ukrainischen Athletinnen und Athleten in den Blick nehmen."
Wichtig sei deshalb, dass der Schutz der ukrainischen Athletinnen und Athleten auch als menschenrechtliches Thema in den Fokus gerückt werden, so Wiater. "Der Schutz der Menschenrechte von Ukrainerinnen und Ukrainern ist zentral und müsste in die Entscheidungssituation einfließen. Also die Gleichung, dass momentan die Menschenrechte es verlangen würden, diese Wiederzulassung zu ermöglichen, ist verkürzt."
Der DOSB wollte Wiaters Gutachten dem IOC vorlegen. Eine Rückmeldung habe sie bislang nicht erhalten.

"Einschätzung der UN-Generalversammlung an Eindeutigkeit kaum zu übertreffen"

IOC-Präsident Thomas Bach betonte zuletzt in Essen, einer Sanktion der UN-Generalversammlung folgen zu wollen, wenn es sie gäbe. Das sei missverständlich, sagt Wiater. "Schon im März 2022, kurz nach Beginn der Aggression hat die UN-Generalversammlung die Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine aufs Schärfste missbilligt", sagte sie. "Also die völkerrechtliche Einschätzung der Generalversammlung, die hier ganz früh vorgenommen wurde, ist an Eindeutigkeit kaum zu übertreffen."
Bach könne also Sanktionen ansprechen, die nur vom UN-Sicherheitsrat beschlossen werden können, vermutet Wiater. Der UN-Sicherheitsrat sei durch das Veto-Recht Russlands derzeit jedoch blockiert. "Das heißt, wenn das IOC sein eigenes Handeln von einer Resolution und von Handlungspflichten, die der Sicherheitsrat auferlegt, abhängig macht, wird aus der Richtung nichts kommen. Das kann nicht der richtige Maßstab sein."