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Austermann weist Rüttgers' Rentenvorschlag zurück

Der CDU-Politiker Dietrich Austermann betrachtet den Vorschlag seines Parteifreundes Jürgen Rüttgers zur Rentenerhöhung für langjährige Beitragszahler als fragwürdig. Für eine höhere Rente müssten die Beiträge angehoben werden, sagte Austermann, Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Damit hätten die Arbeitnehmer noch weniger Geld in der Tasche als bisher.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Viele in der Union sind so richtig sauer auf Jürgen Rüttgers - wieder einmal. Erneut hat der nordrhein-westfälische Regierungschef einen politischen Versuchsballon gestartet, der zunehmend an Höhe gewinnt - wieder einmal. Es geht diesmal um die Rente. Rüttgers Forderung: Diejenigen, die lange eingezahlt haben, sollen mehr bekommen als diejenigen, die weniger Jahre eingezahlt haben - zumindest eine höhere Rente für diejenigen, die nach über 30 Jahren Berufstätigkeit weniger Geld bekommen, weniger Rente bekommen, als dies die Grundsicherung vorsieht. Die Kanzlerin und viele andere aus der CDU-Führung sind entschieden dagegen, doch vor allem zahlreiche CDU-Politiker in Nordrhein-Westfalen unterstützen den Vorstoß ihres Ministerpräsidenten - Streit in der Union.

    Am Telefon ist nun Dietrich Austermann (CDU), Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Guten Morgen!

    Dietrich Austermann: Guten Morgen!

    Müller: Herr Austermann, hat Jürgen Rüttgers ein zu großes Arbeitnehmerherz?

    Austermann: Nein, das glaube ich nicht. Ich halte es schon für richtig, dass auch innerhalb der Union immer wieder deutlich gemacht wird, dass wir für soziale Gerechtigkeit und soziale Verantwortung eintreten. Allerdings halte ich den Vorschlag, den er hier macht, für ungeeignet, an dieser Stelle wirksam zu werden, denn er richtet sich indirekt gegen ein Millionenheer von Arbeitslosen, die durch ihre Beiträge zur Rentenversicherung belastet werden.

    Müller: Das habe ich nicht verstanden.

    !Austermann: Sie müssen davon ausgehen, dass höhere Renten bedeuten, dass entweder höhere Beiträge gezahlt werden oder für andere Leistungen gekürzt werden. Wenn ich eine höhere Rente verspreche für längere Bezugszeiten, muss in der Regel natürlich den Beitrag erhöhen. Den Beitrag erhöhe ich bei denen, die heute aktiv beschäftigt sind. Das heißt, die aktiv Beschäftigten haben netto weniger in der Tasche zu Gunsten der Rentner. Dies ist ja gemacht worden vor Kurzem mit einem Vorschlag, indem die Rente für die nächsten beiden Erhöhungen angehoben wurden. Das führt dazu, dass die Beitragssenkung nicht wie vorgesehen erfolgen kann. Das heißt eben, die Arbeitnehmer werden mehr belastet.

    Da wir bisher immer davon ausgegangen sind nach der Rentenformel, je höher das Einkommen, das Nettoeinkommen der Arbeitnehmer, umso höher in absehbarer Zeit die Rente, ist das, was Rüttgers jetzt vorschlägt, kontraproduktiv.

    Müller: Herr Austermann, es geht aber, wenn wir das richtig verstanden haben, um diejenigen, die jahrelang, jahrzehntelang eingezahlt haben, die Beiträge gebracht haben, wenig verdient haben und dann weniger Geld, weniger Rente, bekommen als diejenigen, die nicht gearbeitet haben.

    Austermann: Wir haben doch heute die Situation, je nach dem, wie lange sie eingezahlt haben, bekommen sie auch entsprechend höhere Rente. Das heißt, die Relation zwischen Arbeitsdauer und Beitragszahlung ist doch heute da. Das heißt, jeder Mensch kriegt entsprechend seiner Einzahlungszeit auch seine Rente.

    Es kann aber sein, dass jemand besonders wenig verdient. Dann macht sich das nur indirekt bemerkbar. Dann bekommt er die Grundrente, und die Grundrente ist höher als das, was seiner Beitragszahlung entspricht.

    Müller: Dann ist ja derjenige ein bisschen meschugge, der arbeiten geht.

    Austermann: Wenn er sehr wenig verdient, ist das so, aber wir müssen einfach sehen, dass ja viele Leute mehrere Renten beziehen, mindestens zwei Renten beziehen aus mehreren Arbeitsverhältnissen, darüber hinaus Betriebsrenten beziehen. Und das alles macht den Vorschlag von Ministerpräsident Rüttgers umso fragwürdiger.

    Müller: Herr Austermann, um da aber noch mal nachzuhaken. Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, könnte man schon die Formel so formulieren: derjenige, der für wenig Geld arbeiten geht, kann sich das im Grunde sparen.

    Austermann: Das ist nicht meine Formulierung, weil ich den Eindruck gewonnen habe in vielen, vielen Jahren, dass diejenigen, die zunächst mit einem Einstiegsgeld anfangen, in der Regel die Chance haben, auch später besser zu verdienen, und die, die als wenig Bezahlte überhaupt Arbeit finden, besser dastehen als die, die nicht arbeiten. Wir haben aber leider in Deutschland die Situation so, dass es immer noch nicht attraktiv genug ist zu arbeiten. Da liegt das Problem, und darüber müssen wir uns unterhalten. Das bedeutet, die Steuern müssen runter. Das bedeutet, die Beiträge müssen runter. Wir müssen also diejenigen besserstellen, die arbeiten, und nicht diejenigen, die aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden sind oder die nicht arbeiten.

    Müller: Bleiben wir, Herr Austermann, bitte noch einmal bei der Grundsicherung. Da hat es einen CDU-Parteitagsbeschluss gegeben, Leipziger Reformparteitag, so wird er ja immer genannt, 2003, wo steht, dass die Mindestrente, die hinterher gezahlt werden soll, 15 Prozent über der Grundsicherung liegen soll. Können Sie sich daran erinnern?

    Austermann: Ich kann mich daran erinnern, weil ich an dem Parteitag war.

    Müller: Und halten Sie das nach wie vor für richtig?

    Austermann: Ich halte es nach wie vor für richtig, dass wir uns bemühen, eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik zu machen, die dazu führt, dass die Menschen wesentlich höhere Renten bekommen als die Grundrente. Die Grundrente soll nur ein Auffangtatbestand sein. Auf diesem Wege sind wir. Wenn Sie die Entwicklung bei den Einkommen sehen in diesem Jahr, so muss es weitergehen: durch Mitarbeiterbeteiligung, durch vernünftige Lohnsteigerungen, durch andere Dinge. Es muss zu ordentlichen Löhnen, Reallöhnen, wieder kommen, und dann steigt entsprechend auch die Rente - und zwar deutlich über der Grundrente, die wie gesagt nur ein Auffangtatbestand ist. Es kann aber nicht so sein, dass wir sagen, wir sichern jede Tätigkeit oder auch Nichttätigkeit ab bis zu einem bestimmten Maße, und dann legen wir noch einen Draufschlag darauf.

    Müller: Aber wenn Sie, Herr Austermann, sagen, dass die Menschen zu wenig verdienen oder viele Menschen zu wenig verdienen, dann hätten Sie doch mit der SPD mitgehen können - Mindestlohn.

    Austermann: Nein, das ist ja kontraproduktiv. Unser Problem in Deutschland ist ja, dass wir einfache Arbeit und billige Arbeit nicht mehr im Land halten können - siehe Thema Nokia. Deswegen müssen wir dafür sorgen, wie wir eine Ergänzung finden aus dem allgemeinen Topf für diejenigen, die eine gering bezahlte Arbeit haben, die anders in Deutschland nicht gehalten werden kann, durch Aufstockung - und Aufstockung ist ja nichts Schlechtes. Das ist jedenfalls vernünftiger, als dass wir zwangsweise einen Mindestlohn kreieren und dann die Arbeit ins Ausland abwandert. Insofern liegt die SPD da völlig falsch.

    Müller: Gehen wir noch einmal auf das aktuelle Rentensystem ein beziehungsweise auch auf die Prognosen, die da ja sagen, in den nächsten Jahrzehnten wird die Altersarmut steigen, werden diese geringen Rentenauszahlungen auch steigen beziehungsweise immer mehr Empfänger kommen dazu, die wenig Geld aus der Rentenkasse bekommen. Ist das jetzt schon klar, dass es eine ganz große Gerechtigkeitslücke bei der Rente gibt?

    Austermann: Ich denke, das ist vorschnell, wenn man heute vom Jahre 2030, 2050 redet und damit die Entwicklung aufnimmt. In den letzten Jahren war es ja oft so, dass am System repariert wurde von Jahr zu Jahr. Wir machen ja Gott sei Dank jetzt inzwischen eine Familienpolitik, die hoffentlich wieder zu steigenden Geburtenraten führt. Wir haben eine Politik, die Gott sei Dank jetzt endlich auf Reallohnsteigerungen ausgeht. Eine Festlegung, was in 20 oder 30 Jahren passiert, halte ich für leichtfertig, genauso wie ich es für leichtfertig halte, wenn man jetzt anfängt, voreilig an der Rentenformel etwas zu ändern, weil dann nämlich das ganze System nicht mehr berechenbar wird. Wir brauchen, gerade was die Altersversorgung betrifft, Verlässlichkeit und nicht ständig jeden Monat eine neue Diskussion.

    Müller: Und auch keine Aussetzung des Riester-Faktors?

    Austermann: Und keine Aussetzung des Riester-Faktors.

    Müller: Was aber gemacht wird für 2009 und 2010.

    Austermann: Ich habe, glaube ich, deutlich gemacht, dass ich den Schritt, der vor Kurzem gemacht worden ist, nicht für vernünftig gehalten habe, weil er dazu führt, dass die Arbeitnehmer heute stärker belastet beziehungsweise nicht entlastet werden und die Wirkung für die Rentner zwar in den nächsten zwei Jahren positiv ist, aber danach sich eher als belastend darstellt.

    Müller: Danke an Dietrich Austermann (CDU), Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein.