Dirk Müller: Zugehört hat nun Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten. Guten Morgen!
Franz-Josef Möllenberg: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Möllenberg, werden Sie Jürgen Rüttgers jetzt wählen?
Möllenberg: Nein, wahrscheinlich nicht, obwohl auf den ersten Blick der Vorschlag von Herrn Rüttgers sehr sympathisch ist. Aber die Probleme entstehen heute schon. Ich will das mit einem Beispiel unterlegen: Die Menschen brauchen mehr Geld, ein höheres Einkommen zum Auskommen, deshalb zum Beispiel Mindestlohn. Wir haben eine Situation, ich sage Ihnen ein Beispiel, im Hotel- und Gaststättengewerbe. Wir haben als Gewerkschaft NGG seit 2001 eine Politik betrieben - tarifvertragliche Altersvorsorge. Das haben wir auch für das Gastgewerbe. Nur im Gastgewerbe ist es so, dass die Menschen jährlich sage und schreibe 35 Millionen Euro verschenken. Oder ich kann es auch anders formulieren: Die 35 Millionen werden von den Arbeitgebern des Hotel- und Gastgewerbes vorenthalten. Das ist das eigentliche Problem, dass hier Druck auf die Menschen ausgeübt wird, dass ihnen tarifvertragliche Leistungen vorenthalten werden, dass die Niedriglöhne um sich greifen. Das gefährdet natürlich unser Sozialversicherungssystem.
Müller: Wie groß ist bei ihnen denn dieser Bereich Niedriglohn?
Möllenberg: Sehr groß. Wir haben die Probleme insbesondere im Bereich Hotel- und Gastgewerbe. Wir haben die Probleme teilweise im Bäckerhandwerk, im Fleischerhandwerk. Wir haben sie nicht so sehr im Industriebereich. Im Industriebereich beschränkt sich das auf Schlachthöfe und auf die Fleischwarenindustrie. Aber um das al in Zahlen zu sagen: Allein im Gastgewerbe in Deutschland sind sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 720.000, und dort sind qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine Ausbildung gemacht haben als Köchin, als Koch, als Restaurantfachfrau, Restaurantfachmann, drei Jahre Ausbildung, und die gehen teilweise mit einem Hungerlohn nach Hause. Das sind die eigentlichen Probleme, die wir haben.
Hinzu kommt noch, dass wir systematisch unser Sozialversicherungssystem aushöhlen. Ich erinnere an die verniedlichend sogenannten Minijobs, die 400-Euro-Jobs. Dort sind mittlerweile acht Millionen Menschen in Deutschland registriert und davon fast zwei Millionen, die das als Nebenjob machen müssen, weil das tatsächliche Einkommen nicht mehr ausreicht.
Müller: Da können Sie förmlich vor Augen die Altersarmut sehen?
Möllenberg: Ja! Wir haben sie heute noch nicht, wobei: 370.000 Menschen sind natürlich heute schon eine Hausnummer, und das ist bedrückend. Aber wenn sich das nicht ändert, wenn die Arbeitgeber nicht wieder bereit sind, zu vernünftigen Regelungen und Absprachen zu kommen, zu Tarifverträgen zu kommen, die letztendlich ja auch schützen, und diese Tarifverträge eingehalten werden, dann wird das in den nächsten Jahren eine Katastrophe in Deutschland.
Müller: Hat Sie, Herr Möllenberg, die Bundesregierung im Stich gelassen?
Möllenberg: So pauschal kann man das nicht sagen. Die Bundesregierung besteht aus drei Parteien. Das ist die CDU, das ist die CSU, und das ist die SPD. Die haben unterschiedliche Konzepte, und die müssen sich in der Großen Koalition auf etwas einigen. Wir haben, was die Rentenreform angeht, das flankierend begleitet durch tarifliche Altersvorsorgen. Unser Problem ist allerdings, dass bestimmte Schritte, die gemacht worden sind - beispielsweise Heraufsetzung des Rentenalters -, aus unserer Sicht vollkommen ins Leere gehen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die, die so etwas beschließen und die sich beraten lassen von Wissenschaftlern, überhaupt keine Ahnung haben, wie das draußen in den Betrieben aussieht.
Müller: Aber es gibt ja auch, Herr Möllenberg, als Faktum die demografische Entwicklung. Die Bundesbank beispielsweise macht heute laut "Bild"-Zeitung jedenfalls den Vorschlag, demnächst bis 68,5 Jahre zu arbeiten.
Möllenberg: Entschuldigung! Das sind die Theoretiker, Herr Müller. Wenn ich an einem Schreibtisch sitze, dann habe ich ein relativ bequemes Arbeitsleben - bei allem Stress. Aber wenn ich Schichtarbeiter bin, Dreischichtsystem habe, wenn ich von Umgebungseinflüssen am Arbeitsplatz in der Produktion ausgesetzt bin wie zum Beispiel Hitze, Lärm, Nässe, Kälte, dann sieht die Welt schon anders aus. Wenn ich im Hotel- und Gaststättengewerbe fast ständig Nachtarbeit habe - ich arbeite dort, wenn andere Menschen frei haben, samstags, sonntags, feiertags -, dann sieht die Welt anders aus. Das kann ich nicht bis 67 oder bis 68,5 machen. Ich halte es auch für fahrlässig, heute schon Prognosen abgeben zu wollen, wie das im Jahre 2050 aussieht. Hier ist ein Bündel von Maßnahmen notwendig, und man trägt im Prinzip nur zur Verunsicherung der Menschen bei. Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben und sollten lieber darauf achten, wie wir gute Arbeit transportieren, also auch Arbeitssicherheit, Gesundheitsvorsorge nach vorne bringen, auf die Tagesordnung heben, damit letztendlich Arbeit vernünftig ist. Und wissen Sie, die Menschen arbeiten, um zu leben; sie leben nicht, um zu arbeiten. Das ist auch eine Weisheit, die berücksichtigt werden muss.
Müller: Live bei uns im Deutschlandfunk war das Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Franz-Josef Möllenberg: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Möllenberg, werden Sie Jürgen Rüttgers jetzt wählen?
Möllenberg: Nein, wahrscheinlich nicht, obwohl auf den ersten Blick der Vorschlag von Herrn Rüttgers sehr sympathisch ist. Aber die Probleme entstehen heute schon. Ich will das mit einem Beispiel unterlegen: Die Menschen brauchen mehr Geld, ein höheres Einkommen zum Auskommen, deshalb zum Beispiel Mindestlohn. Wir haben eine Situation, ich sage Ihnen ein Beispiel, im Hotel- und Gaststättengewerbe. Wir haben als Gewerkschaft NGG seit 2001 eine Politik betrieben - tarifvertragliche Altersvorsorge. Das haben wir auch für das Gastgewerbe. Nur im Gastgewerbe ist es so, dass die Menschen jährlich sage und schreibe 35 Millionen Euro verschenken. Oder ich kann es auch anders formulieren: Die 35 Millionen werden von den Arbeitgebern des Hotel- und Gastgewerbes vorenthalten. Das ist das eigentliche Problem, dass hier Druck auf die Menschen ausgeübt wird, dass ihnen tarifvertragliche Leistungen vorenthalten werden, dass die Niedriglöhne um sich greifen. Das gefährdet natürlich unser Sozialversicherungssystem.
Müller: Wie groß ist bei ihnen denn dieser Bereich Niedriglohn?
Möllenberg: Sehr groß. Wir haben die Probleme insbesondere im Bereich Hotel- und Gastgewerbe. Wir haben die Probleme teilweise im Bäckerhandwerk, im Fleischerhandwerk. Wir haben sie nicht so sehr im Industriebereich. Im Industriebereich beschränkt sich das auf Schlachthöfe und auf die Fleischwarenindustrie. Aber um das al in Zahlen zu sagen: Allein im Gastgewerbe in Deutschland sind sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 720.000, und dort sind qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine Ausbildung gemacht haben als Köchin, als Koch, als Restaurantfachfrau, Restaurantfachmann, drei Jahre Ausbildung, und die gehen teilweise mit einem Hungerlohn nach Hause. Das sind die eigentlichen Probleme, die wir haben.
Hinzu kommt noch, dass wir systematisch unser Sozialversicherungssystem aushöhlen. Ich erinnere an die verniedlichend sogenannten Minijobs, die 400-Euro-Jobs. Dort sind mittlerweile acht Millionen Menschen in Deutschland registriert und davon fast zwei Millionen, die das als Nebenjob machen müssen, weil das tatsächliche Einkommen nicht mehr ausreicht.
Müller: Da können Sie förmlich vor Augen die Altersarmut sehen?
Möllenberg: Ja! Wir haben sie heute noch nicht, wobei: 370.000 Menschen sind natürlich heute schon eine Hausnummer, und das ist bedrückend. Aber wenn sich das nicht ändert, wenn die Arbeitgeber nicht wieder bereit sind, zu vernünftigen Regelungen und Absprachen zu kommen, zu Tarifverträgen zu kommen, die letztendlich ja auch schützen, und diese Tarifverträge eingehalten werden, dann wird das in den nächsten Jahren eine Katastrophe in Deutschland.
Müller: Hat Sie, Herr Möllenberg, die Bundesregierung im Stich gelassen?
Möllenberg: So pauschal kann man das nicht sagen. Die Bundesregierung besteht aus drei Parteien. Das ist die CDU, das ist die CSU, und das ist die SPD. Die haben unterschiedliche Konzepte, und die müssen sich in der Großen Koalition auf etwas einigen. Wir haben, was die Rentenreform angeht, das flankierend begleitet durch tarifliche Altersvorsorgen. Unser Problem ist allerdings, dass bestimmte Schritte, die gemacht worden sind - beispielsweise Heraufsetzung des Rentenalters -, aus unserer Sicht vollkommen ins Leere gehen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die, die so etwas beschließen und die sich beraten lassen von Wissenschaftlern, überhaupt keine Ahnung haben, wie das draußen in den Betrieben aussieht.
Müller: Aber es gibt ja auch, Herr Möllenberg, als Faktum die demografische Entwicklung. Die Bundesbank beispielsweise macht heute laut "Bild"-Zeitung jedenfalls den Vorschlag, demnächst bis 68,5 Jahre zu arbeiten.
Möllenberg: Entschuldigung! Das sind die Theoretiker, Herr Müller. Wenn ich an einem Schreibtisch sitze, dann habe ich ein relativ bequemes Arbeitsleben - bei allem Stress. Aber wenn ich Schichtarbeiter bin, Dreischichtsystem habe, wenn ich von Umgebungseinflüssen am Arbeitsplatz in der Produktion ausgesetzt bin wie zum Beispiel Hitze, Lärm, Nässe, Kälte, dann sieht die Welt schon anders aus. Wenn ich im Hotel- und Gaststättengewerbe fast ständig Nachtarbeit habe - ich arbeite dort, wenn andere Menschen frei haben, samstags, sonntags, feiertags -, dann sieht die Welt anders aus. Das kann ich nicht bis 67 oder bis 68,5 machen. Ich halte es auch für fahrlässig, heute schon Prognosen abgeben zu wollen, wie das im Jahre 2050 aussieht. Hier ist ein Bündel von Maßnahmen notwendig, und man trägt im Prinzip nur zur Verunsicherung der Menschen bei. Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben und sollten lieber darauf achten, wie wir gute Arbeit transportieren, also auch Arbeitssicherheit, Gesundheitsvorsorge nach vorne bringen, auf die Tagesordnung heben, damit letztendlich Arbeit vernünftig ist. Und wissen Sie, die Menschen arbeiten, um zu leben; sie leben nicht, um zu arbeiten. Das ist auch eine Weisheit, die berücksichtigt werden muss.
Müller: Live bei uns im Deutschlandfunk war das Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.