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Hildegard Müller kritisiert Rüttgers' Rentenvorstoß

Die CDU-Politikerin Hildegard Müller warnt vor Aufgeregtheiten in der aktuellen Rentendebatte. Der Vorstoß ihres Parteifreundes Jürgen Rüttgers zur Anrechnung von Beitragsjahren auf Rentenbezüge greife zu kurz, sagte die Staatsministerin im Kanzleramt.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Jürgen Rüttgers muss sich derzeit manches anhören aus der Union. Mit seinem Rentenvorstoß betreibe er verantwortungslose Politik, schimpft beispielsweise sein bayerischer Amtskollege Beckstein. Aus dem Wirtschaftsflügel der CDU wird gewarnt. Rentenpolitik nach Kassenlage führe ins Verderben, und er verlasse die christlich-sozialen Wurzeln der CDU, heißt es aus dem eigenen Verband. Rüttgers selbst, der immerhin stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU ist und Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, der will nicht nachgeben. Die Diskussion sei notwendig, er habe sie angestoßen und nun suche er Mehrheiten innerhalb der CDU, ließ er heute Morgen wissen. ( MP3-Audio , Beitrag von Martin Steinhage)

    Wir schauen nach Düsseldorf: Jürgen Rüttgers stützt sich auf Beschlüsse der Bundes-CDU von 2003 und auf ganz frische seines Landesvorstandes. Als der vor kurzem den kommenden Landesparteitag vorbereitete, kam auch das Rententhema auf den Tisch und offensichtlich auch zu Papier. Nordrhein-westfälische Bundespolitiker waren dabei. Haben sie zugestimmt? ( MP3-Audio , Beitrag von Christine Heuer)

    Ich freue mich sehr, Hildegard Müller am Telefon begrüßen zu können. Frau Müller, haben Sie sich mit Händen und Füßen gewehrt?

    Hildegard Müller: Guten Tag, Frau Durak, erst einmal. Der Bericht, den Sie gerade gebracht haben, kommt zu Stande, wenn man selber bei Sitzungen nicht dabei ist und sich dann davon berichten lässt und leider in dem Fall auch Betroffene nicht fragt, wie es gewesen ist.

    Ich habe sehr deutlich mich zu diesem Punkt zu Wort gemeldet, habe den Gesamtzusammenhang hergestellt und auch verwiesen auf das, was die Union ja in ihrem Parteitag in Leipzig insgesamt zu diesem Themenfeld beschlossen hat. Übrigens haben wir dort 13 Seiten beschlossen mit ganz vielen Teilbereichen zum Thema Sicherung der Rente, des Alterseinkommens insgesamt für die Zukunft. Ich habe dann deutlich gemacht in der Landesvorstandssitzung, warum ich glaube, dass die Verkürzung, wie sie in dem NRW-Antrag vorgenommen wird, nicht ausreicht, um das Problem zu lösen, und ein falscher Ansatz ist. Dann wurde noch etwas verändert an diesem Antrag. An der Schlussabstimmung konnte ich in der Tat nicht teilnehmen. Die Diskussion über das Gesamtpapier ging dann noch weiter. Ich musste schließlich zu einem Folgetermin und konnte an der Abschlussabstimmung nicht teilnehmen. Aber da geht es ja auch gar nicht drum.

    Durak: Moment mal, Frau Müller. Im Augenblick geht es mir schon noch darum. Wenn es Ihnen so wichtig war und Sie einen Änderungsantrag eingebracht haben und Sie dort mitdiskutiert haben, dann wäre es doch vielleicht ganz gut gewesen, im Landesvorstand wenigstens den Finger für ein Nein zu heben, um gegen den Rüttgers-Antrag zu stimmen.

    Müller: Ja, aber ich bitte Sie jetzt mal. Sie können gerne sich den Verlauf der Sitzung insgesamt ansehen. Es war relativ am Anfang des Antrages. Es wurde dann noch weiterdiskutiert über weitere Passagen, und ich musste schlichtweg einfach weiter. Aber ich habe ja deutlichst hinterlegt, dass ich das Ziel, Altersarmut zu vermeiden, teile, aber eine unterschiedliche Auffassung zu diesem Punkt habe. Ich habe meinen Veränderungswillen da zum Ausdruck gebracht. Da können Sie jeden fragen, der auf der Landesvorstandssitzung war, dass ich die einzige war, die sich dort in der Frage inhaltlich klar positioniert hat.

    Durak: Ich würde jetzt zu Ihrem Änderungsantrag kommen. Zu den Details: Was würden Sie anders machen als Rüttgers?

    Müller: Ich habe erst einmal einen Halbsatz herausstreichen lassen, der sich bezog, eine Ergänzung, auch wenn es geringe Beiträge sind. Und das Zweite: Ich möchte noch einmal etwas zu so einem Antragsverfahren sagen. Der Landesvorstand bringt diesen Antrag in den Landesparteitag ein. Damit ist die Diskussion darüber ja nicht beendet, sondern wir werden jetzt - ich bin auch Mitglied einer Kreispartei, ich bin Mitglied von Vereinigungen - am 14. Juni abschließend über diesen Antrag diskutieren, und Sie können sicher sein, dass ich meine Meinung da auch deutlich machen werde und auch konstruktiv Passagen einbringen werde, wie aus meiner Sicht die Passage besser formuliert ist.

    Durak: Wie sollte sie besser formuliert werden?

    Müller: Ich sage noch mal: Wir haben uns ja als Bundes-CDU seit Langem mit diesem Thema wirklich gut beschäftigt - übrigens auch unter Beteiligung der Nordrhein-Westfalen. Ich selber komme aus Nordrhein-Westfalen, war Mitglied der Herzog-Kommission. Herr Laumann war mit dabei. Herr Rüttgers hat damals schon auch mit diesen Weg begleitet in der Bundespartei. Alles das floss ja in den Leipziger Parteitag ein.

    Wir haben uns alleine zum Thema Altersarmut ganz viele verschiedene Bereiche angesehen. Die demografische Veränderung, die auf unser Land zutrifft, die ist eine Frage bei der Zukunftsperspektive des Rentensystems. Eine zweite Frage ist zum Beispiel die immer noch ungelöste Frage: Wie sieht es mit einer eigenständigen Alterssicherung von Frauen aus? Eine dritte Frage, die sich ergibt: Was machen wir eigentlich mit gebrochenen Erwerbsbiografien von Ostdeutschen? All diese Fragen sind in einen umfangreichen Komplex eingeflossen, der in der Herzog-Kommission dann beantwortet worden ist. Ich will das nur sagen: Es waren 13 Seiten alleine in dem Antragspapier von Leipzig. Das kann man jetzt nicht mit einem Satz und einem Herausgreifen, glaube ich, beantworten. Wenn man redlich mit dem Thema umgehen will - und das wollen wir alle, weil wir in großer Sorge sind, wie das Rentensystem der Zukunft sich gestaltet -, dann muss man diese verschiedenen Teilaspekte zusammen diskutieren.

    Durak: Herr Rüttgers tut es aber genau anders herum, und er ist immerhin Ihr Landesvorsitzender und ein ziemlich erfolgreicher. Er hat NRW zurückgewonnen. Betreibt er tatsächlich verantwortungslose Politik, wie ihm vorgeworfen wird aus eigenen Reihen, und verlässt christlich-soziale Wurzeln?

    Müller: Ich glaube, dass die Diskussion uns nicht weiterhilft. Das ist auch keine Äußerung von mir. Deshalb finde ich es richtig, dass auch eine Landespartei in einem Demografieantrag sich zu Recht mit dem Thema Altersarmut einbringt. Aber ich sage halt auch, ich finde, dass es nicht ausreichend behandelt ist und dass wir überlegen müssen, wie wir den Gesamtblick auf die Perspektive richten.

    Mir ist auch wichtig zu sagen, dass wir da für die Zukunft Dinge verändern müssen. Das müssen wir langfristig tun. Deshalb sind solche Debatten richtig. Aber ich will auch nicht den Eindruck erzeugen, dass wir aktuell in dramatischem Maße in unserem Land Altersarmut haben. Dem möchte ich auch widersprechen.

    Durak: Um auf das Rentenproblem konkret noch mal zu kommen, das, was er will: "Ein Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen, der sein Leben lang Rentenbeiträge zahlt und dann zum Sozialamt gehen muss, weil seine Rente nicht zum Leben reicht, das ist ein Missstand, den wir beheben müssen", Zitat Rüttgers, Zitat Ende. Diese Auffassung teilen Sie so nicht?

    Müller: Die Grundkonstitution unseres Rentensystems ist, dass es eine Beitragsfinanzierung hat. Das heißt, für eingezahlte Beiträge werden Leistungen, sprich Rentenanwartschaften, erworben und führen dann im Alter zur Rente.

    Die zweite Frage, die richtigerweise ja betont wird: Wie gehen wir insgesamt mit dem Altersarmutsphänomen um. Ich habe das bei Frauen erwähnt, ich habe das bei gebrochenen Erwerbsbiografien erwähnt, bei Teilrenten und vielen anderen Dingen, die nötig sind. Das heißt, insgesamt den Blick auszurichten, wie bekommen die Leute eine angemessene Altersvorsorge auch in Zukunft, das ist richtig. Ich glaube nur, es lässt sich nicht so allein im System der gesetzlichen Rente lösen, sondern wir müssen betriebliche, private Vorsorge mit dabeirechnen, und wir müssen natürlich auch beirechnen, was macht der Staat über die Grundsicherung? Hier greifen viele verschiedene Elemente, und die muss man auch im Zusammenhang sehen. Den Ansatz, das über ein beitragsfinanziertes System zu richten, würde ich für falsch halten.

    Durak: Rüttgers hat schon einmal Recht behalten, Frau Müller, als er sich für die Verlängerung der Zahlung von Arbeitslosengeld I eingesetzt hatte und zunächst CDU-weit belächelt, dann auch angegriffen worden war. Hat er vielleicht einen guten, einen richtigen Riecher für Themen, die die CDU besetzen soll?

    Müller: Erst einmal: Die CDU dieses Thema besetzt. Insofern greift der NRW-Landesverband das mit seinem Leitantrag zur Demografie, zum demografischen Wandel in Nordrhein-Westfalen richtigerweise auf. Aber hier ist ein Thema besetzt durch die Bundes-CDU, das muss nicht erst besetzt werden.

    Durak: Frau Müller, Sie sind sehr nah an Frau Merkel. Ist sie besorgt über den Linksangriff aus Düsseldorf?

    Müller: Ach, wissen Sie, ich finde es richtig und Frau Merkel, denke ich, auch. Das müssen Sie im Zweifel sie aber selber fragen.

    Durak: Gerne!

    Müller: Wir müssen dieses ganze Thema sensibel diskutieren. Wir müssen insbesondere darauf achten, Menschen nicht zu verunsichern, und wir müssen Aktuelles und Zukünftiges hier sehr genau voneinander trennen. Deshalb ist diese Debatte über Rentenpolitik nichts für solche aufgeregten Debatten wie in der letzten Zeit, sondern ich sage noch mal: ein ganz einheitlicher Ansatz muss her. Ansonsten wird das alles Stückwerk bleiben.

    Durak: Danke Frau Müller, aber eine kleine Nachbemerkung hätte ich schon. Aufgeregte Diskussion findet auch auf den Straßen statt. Wenn Sie sich die Fernsehbilder der letzten Tage anschauen: Es sind viele Rentner auf der Straße.

    Müller: Natürlich! Es verunsichert alle, aber ich sage noch einmal: Ich finde es zum Beispiel bedauerlich, dass die jetzige Rentnergeneration verunsichert wird. Ich sage noch einmal: Etwa 2,5 Prozent der Rentner sind von Armut bedroht - im Übrigen 17 Prozent der Kinder. Wir haben hier mit einem Phänomen zu tun, wo wir aktuell Antworten haben über Grundsicherung und anderes, aber wo wir insbesondere auf die Zukunft gesehen viel größeren Herausforderungen gegenüberstehen als aktuell. Deshalb sage ich noch einmal: Um die Menschen nicht zu verunsichern, muss diese Debatte in Ruhe und bitte ganz einheitlich geführt werden.

    Durak: Sagen Sie das auch Herrn Rüttgers?

    Müller: Natürlich sage ich das. Das habe ich im Landesvorstand auch schon gesagt.

    Durak: Dankeschön. Hildegard Müller (CDU), Staatsministerin im Kanzleramt. Danke für das Gespräch, Frau Müller.

    Müller: Bitteschön. Auf Wiederhören.